Katholiken in den Thüringer Kleinstaaten. Martin Gebhardt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Gebhardt
Издательство: Bookwire
Серия: Erfurter Theologische Studien
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783429062866
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Kleinstaaten vom 15./16. Dezember 1848 und vom 3. bis. 5. Januar 1849 wurde die Bildung eines größeren Staatengebildes debattiert, jedoch nicht zu einem erfolgreichen Abschluss geführt, denn letztlich waren die Staaten nicht bereit ihre Selbstständigkeit aufzugeben und eine sich abzeichnende übergroße Führungsstellung des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenachs zu akzeptieren.161

      Zu den eher hypothetischen Verhandlungen der Nationalversammlung in Frankfurt über die Zukunft der Deutschen Kleinstaaterei, kamen, nach einer eher ruhigen „Frühphase“ der Revolution, konkrete revolutionäre Aufstände hinzu, die sich im Sommer 1848 auch in Thüringen manifestierten. Extreme demokratische Vereine versuchten eine republikanische Ordnung durchzusetzen und schufen damit auch im demokratischen Lager große Differenzen.162 Die Revolution kippte, indem eine neue restriktivere Haltung durch die Staatsorgane ausgeübt wurde und so gesamtdeutsche Verfassungs- und Einheitsfortschritte immer unwahrscheinlicher erschienen. So genannte Reichskommissare waren fortan für die Ordnung in Deutschland, auch in den Thüringer Kleinstaaten, verantwortlich.163

      Letztlich entschieden wurden die Anliegen der Revolution zwischen der Frankfurter Nationalversammlung und der preußischen Regierung. Die Schaffung eines vereinten Deutschlands scheiterte an der Uneinigkeit der Nationalversammlung und an der ablehnenden Haltung König Friedrich Wilhelms IV. (1795-1861) von Preußen diesem neuen Deutschland vorzustehen.164

      Die Bemühung, die deutschen Bundesstaaten zu einem vereinigten Deutschland zusammenzuführen, hielt in den nächsten Jahrzehnten an, wurde jedoch zunehmend von oben herab gelenkt. Preußen konnte sich in Folge des Deutschen Krieges nach 1866 als die bestimmende Macht in Deutschland herausstellen und damit selbst die Bedingungen eines vereinigten Deutschlands, ohne jeglichen Druck durch ein revolutionäres Volksbegehren, diktieren.165

      Nach dem Sieg Preußens und dessen Bündnispartner166 im Deutsch-Französischen Krieg 1870/1871 nutzte Bismarck die aktuelle Stärke Preußens, um eine Reichsgründung unter preußischer Oberhoheit zu ermöglichen. Im Spiegelsaal von Versailles wurde am 18. Januar 1871 König Wilhelm I. zum Kaiser eines geeinten Deutschen Kaiserreiches, unter Ausschluss Österreichs, ausgerufen. Preußen erhielt eine herausragende Bedeutung im Reich und konnte diese bis 1918 halten.

      Neben den sich verändernden politischen Rahmenbedingungen waren insbesondere die wirtschaftlich-industriellen Umformungsprozesse sowohl für die gesellschaftliche Struktur Thüringens, als auch für die Entwicklung katholischer Gemeinden wichtig.

      Die Thüringer Wirtschaftspolitik war bis ins frühe 19. Jahrhundert durch den Kameralismus geprägt, der vom Landesherrn und dessen Ministerien gelenkten Förderung von Landwirtschaft und Produktionsgewerbe. Allerdings konnte diese landesherrlich gelenkte Ordnungsform kaum den Anforderungen eines freien Wirtschaftswachstums, getragen durch Privatinitiativen, entsprechen.167 Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nahm die Erteilung von landesherrlichen Privilegien und Konzessionen an privat motivierte Geschäftsgründungen erheblich zu.168 Der Kameralismus kam damit an seine Grenzen.

      Als hemmend für den wirtschaftlichen Aufschwung erwies sich die bestehende kleinstaatliche Landesstruktur.169 Nur die Schaffung eines größeren Wirtschaftsgebiets, das Zollgrenzen überwand, konnte dem abhelfen. Dies widersprach aber schon im Grundansatz der kleinstaatlichen Souveränitätspolitik, so dass 1818 ein Anschluss an den neu gebildeten preußischen Zollverband nicht erreicht wurde. Die Nachteile zeichneten sich schnell ab: Die bis dato durch Thüringen verlaufenden Handelsrouten wurden zu Jahrhundertbeginn ebenso gemieden wie der thüringische Absatzmarkt selbst, der sich für Außenstehende nur noch wenig rentierte.170

      Die Notwendigkeit einen größeren Wirtschaftsraum als den eigenen, nur den Kleinstaat umfassenden zu schaffen, war drängendes Kriterium für die wirtschaftliche Weiterentwicklung im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Zunächst versuchte man einen eigenen Zollverein zu begründen, der, wenn auch kleiner, zumindest einen neuen größeren Wirtschaftsraum begründen konnte, der am 24. Oktober 1828 im „Mitteldeutschen Zollverein“ geschaffen wurde.171 Seine Funktion als wirtschaftliches Abwehrbündnis, gebildet nicht nur aus den Thüringer Kleinstaaten, sondern auch dem Königreich Sachsen, dem Königreich Hannover, dem Kurfürstentum Hessen, den Herzogtümern Hessen-Nassau und weiteren Staaten und Städten, gegenüber preußischer Überlegenheit, konnte letztlich nur hemmend auf Handel und Wirtschaft wirken.172 Erst eine Umgestaltung unter preußischer Diktion im 1833 gegründeten „Zoll und Handelsvereins der Thüringischen Staaten“ brachte den wirtschaftlichen Durchbruch, trotz der vorherigen politischen Vorbehalte, die jedoch den wirtschaftlichen Anforderungen zunehmend untergeordnet werden mussten.173 Der am 1. Januar 1834 gegründete Deutsche Zollverein war durchweg preußisch geprägt, brachte damit aber auch die Öffnung für zahlreiche auswärtige Handelsbeziehungen.174

      Der erweiterte Absatzmarkt und die bessere Einbindung der Thüringer Produktionsstätten boten reichliches wirtschaftliches Wachstumspotential in der frühindustriellen Phase. Kleinere Handwerksbetriebe gingen immer mehr zu einer technisch orientierten Großproduktion über. Neue Herstellungsverfahren, insbesondere die Einführung von Großmaschinen und neue Arbeitseinteilungen ließen allmählich alte familieneigene Produktionsstätten eingehen und großgewerbliche Manufakturen bis hin zur technisierten Fabrikation entstehen. Diesen Endzustand einer industriellen Struktur zu erreichen gelang in Thüringen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts.

      Die ländliche Struktur des Landes blieb grundsätzlich erhalten, obwohl sich insbesondere die Residenzstädte zu wachsenden Industriezentren entwickelten.175 Neben dem bedeutenden Textilgewerbe, das die mechanische Produktion von Wollkämmerei, Garnerzeugung, Weberei und Wirkerei zur Blüte brachte, etablierten sich weitere Produktionszweige. Die Glasherstellung wurde zu einem bedeutenden Industriezweig in den Regionen des Thüringer Waldes, insbesondere um Lauscha.176 Neben der Glasproduktion wurde die Porzellanherstellung etabliert.177

      Nach den revolutionären Unruhen in Deutschland 1848/1849 begann die eigentliche Industrialisierung, die in ihrem Wachstum die Gesellschaft grundlegend veränderte. Auch in Thüringen wuchsen die Städte, die zum Anziehungspunkt für Arbeitssuchende wurden. Unternehmensgründungen mehrten sich und im Gegenzug sank die Bevölkerungszahl zahlreicher ländlicher Regionen.178 Zugleich veränderte sich die gesellschaftliche Zusammensetzung durch Zuzüge, eben auch katholischer Bevölkerungsteile.

      Um 1870 trat auch Thüringen in die Phase der Hochindustrialisierung. So waren um 1880 nur noch etwa die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung in der Land- und Forstwirtschaft tätig.179 Gefördert durch die regionale Politik entwickelte sich ein reiches Wirtschaftsleben, das anderen Regionen im Reich weit voraus war. Insbesondere die Nähe zum wirtschaftlich starken Sachsen mag hierbei eine wichtige Rolle gespielt haben. Trotz der allgemeinen industriellen Entwicklung stellen sich in der staatlichen Politik interessante Gegensätze dar. Kleinstaatlichkeit ging einher mit wirtschaftlicher Offenheit und Industrieförderung und einem daraus hervorgehenden Bevölkerungswachstum.180

      Das 19. Jahrhundert war ein Jahrhundert der Umbrüche. Besonders für die katholische Kirche ergaben sich tiefgreifende Veränderungen. Die Ereignisse im Rahmen der Französischen Revolution, der Napoleonischen Kriege und der Säkularisation führten zum Ende der alten Reichskirche.181 Für Deutschland bedeutete dies vor allem, dass katholische Kirche aufhörte, eine staatsbildende Größe zu sein.

       Säkularisation und Mediatisierung

      Im Jahr 1802 begann die Aufhebung vieler Klöster und geistlicher Einrichtungen in den von Frankreich besetzten linksrheinischen Gebieten. Am 24. März 1803 beschloss der Reichstag den in Regensburg erarbeiteten Reichsdeputationshauptschluss, der vom Römisch-Deutschen Kaiser Franz II. am 27. April des Jahres ratifiziert wurde.182 Damit wurde das Ende der geistlichen Gebiete im Reich und auch vieler kleinerer weltlicher Territorien, insbesondere der meisten Reichsstädte,