Dantes Theologie: Beatrice. Stefan Seckinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Seckinger
Издательство: Bookwire
Серия: Bonner dogmatische Studien
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783429062156
Скачать книгу
Rückbezüglichkeit in der Sichtweise des Konstruktivismus öffnet eine neue Perspektive »der Partizipation und Interpretation, in der Subjekt und Objekt untrennbar miteinander verbunden sind […]. Daß die Welt von so plastischer Beschaffenheit sein soll, weder subjektiv noch objektiv, weder einheitlich noch trennbar, noch zweierlei und untrennbar, ist faszinierend.«104

      Eine christliche Sicht der Rückbezüglichkeit leuchtet generell im Verständnis des ›Schon-und-noch-nicht‹ auf : Die Erfahrung des Heils setzt seine Erwartung als endgültige Erfüllung voraus, die endgültige Erfüllung ihre Vorerfahrung als Verweis darauf. Wer nach dem Heil sich sehnt, hat es implizit schon erfasst. Ewigkeit ist daher schon immer, fällt mit der Zeit zusammen.105 Zeit ist auf Ewigkeit rückbezogen, diese auf die Zeit, in welcher Dante sich mit seiner Jenseitigkeit konfrontiert sieht.

      Ein weiteres charakteristisches Merkmal bei Dante wie im Konstruktivismus ist die Bedeutung analogen Sprechens. Watzlawick unterscheidet zwischen digitaler und analoger Kommunikation. Letztere fällt in den Bereich der menschlichen Beziehungen. Digitale Kommunikation erweist sich hierbei als ungenügend. Der digitale Inhaltsaspekt wird stets von dem ihn beherrschenden analogen Beziehungsaspekt überlagert.106 Die Übersetzung des jeweils Gemeinten ist in beide Richtungen notwendig, wobei die Übersetzung vom Digitalen zum Analogen Verlust an Information, die Übersetzung vom Analogen ins Digitale Verlust von Beziehungsrealität mit sich bringt. Auf die analoge Welt jenseitiger Erfahrung in der Göttlichen Komödie bezogen bedeutet dies, dass im Bereich der Theologie durch eine derartige Darstellung Inhalte zugunsten von Beziehungsgeschehen zurückstehen müssen. Andererseits verlangen die geschilderten Begegnungen ihre inhaltlich-theologische Reflexion. Ohne die Begegnungen im Jenseits wäre die eschatologische Wanderung Dantes empfindungsleer, ohne theologische Bedenkung wäre sie blind.

      Schließlich unterscheidet Watzlawick drei Stufen des Wissens : Wissen von etwas (das über die Sinne vermittelt wird), Wissen über etwas (ein Metawissen zweiter Ordnung) und schließlich ein Weltbild als sinnvolle Prämisse der eigenen Existenz. Während auf der zweiten Stufe Anpassungen kein Problem darstellen, würden auf der dritten Stufe Widersprüchlichkeiten zur Sinnlosigkeit des Ganzen und damit auch zur Sinnlosigkeit der eigenen Existenz führen. Die Frage nach dem Sinn und ihre Beantwortung in einem bestimmten Weltbild sind allerdings existentiell von grundlegender Bedeutung und gehören dieser dritten Stufe an. Eine Änderung auf dieser dritten Stufe kann nach Watzlawick nur durch ein intuitives, empathisches Erlebnis hervorgerufen werden. Um das eigene Weltbild noch einmal zu übersteigen, bedarf es daher einer Erfahrung, die alles Bisherige in Frage stellt. Für Dante wird seine Jenseitsreise zu dieser Erfahrung. Sein eigenes Weltbild wird aus der Perspektive der Ewigkeit in Frage gestellt und neu interpretiert. Ermöglichungsgrund dieser Erfahrung ist seine Liebe zu Beatrice ; sie lässt ihn zunächst durch die Hölle gehen als Voraussetzung, für das Purgatorium und Paradies überhaupt bereit zu sein.107

      Gewinnbringend für eine neue theologische Interpretation der Göttlichen Komödie ist auch die Aussage des Kommunikationswissenschaftlers Watzlawick, »dass die sogenannte Wirklichkeit das Ergebnis von Kommunikation ist.«108 Somit steht nicht die Suche nach Ursachen des Verhaltens im Vordergrund (welche letztlich ohnehin nicht befriedigend abgeschlossen werden kann), sondern die Frage nach den kommunikativen Gesetzmäßigkeiten, die zu einer Stabilisierung (bzw. Destabilisierung) des zwischenmenschlichen Beziehungsgeflechtes beitragen : »Daher kann in allen Fällen, in denen das Warum ? einer Verhaltensform ungeklärt bleibt, die Frage : Wozu ? trotzdem noch eine vollgültige Antwort geben.«109 Schließlich ist Watzlawicks metakommunikatives Axiom »Man kann nicht nicht kommunizieren«110 auch auf die Kommunikation mit Gott bzw. auf die Auseinandersetzung mit der Sinnfrage anzuwenden – dies vor dem Hintergrund, dass jegliche Kommunikation einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt aufweist, wobei Letzterer den Ersteren im Sinne einer Metakommunikation bestimmt : »Der Inhaltsaspekt vermittelt die ›Daten‹, der Beziehungsaspekt weist an, wie diese Daten aufzufassen sind.«111 Wenn Wirklichkeit das Ergebnis von Kommunikation ist, dann sind die Begegnungen Dantes im Jenseits als wirklichkeitsschaffend für das Verständnis des Werkes von zentraler Bedeutung.112 Die Kommunikation Dantes mit den Menschen im Jenseits lässt dessen Wirklichkeit erst lebendig werden, konkret aufscheinen.

       1.9.3 Der Konstruktivismus als Hermeneutik der Eschatologie ?

      Watzlawick unterscheidet zwischen einer Wirklichkeit erster Ordnung, in welcher Experiment und Beobachtung ihren legitimen Ort haben, und einer Wirklichkeit zweiter Ordnung, durch die den Fakten erster Ordnung Sinn, Bedeutung und Wert erst verliehen werden. Innerhalb des naturwissenschaftlichen Paradigmas bleiben Letztere Desiderat. Theologie ist in diesem Sinn sozusagen Wissenschaft zweiter Ordnung. Wenn Watzlawick allerdings schreibt, »dass die Welt weder einen Sinn noch keinen Sinn hat – dass die Sinnfrage sinnlos ist. Was die Welt nicht enthält, kann sie auch nicht vorenthalten«113, so grenzt er damit die Möglichkeiten konstruktiver Weltsicht ein. Das Feld konstruktivistischer Auseinandersetzung und Interpretation bleibt auf das in der Welt Vorfindbare beschränkt. Hintergrund von Watzlawicks Reserviertheit gegenüber universalen Sinndeutungen ist seine skeptische Sichtweise der Ideologien (in) dieser Welt. Seine Überlegungen drehen sich dabei um die Paradoxien des Ewigkeitswertes und derer von Vollkommenheit und Unendlichkeit. Auf endliche Lehren und auf im Diesseits zu verwirklichende Ideologien bezogen muss sich Enttäuschung und Ernüchterung zwangsläufig einstellen, oftmals erst nachdem die ideologische Irrlehre selbst viele Opfer kostete, um die irrige Position so lange als möglich aufrechtzuerhalten. Nach dem Konstruktivismus kann sich jegliche Lehre nur aus sich heraus begründen (womit wiederum das Problem der Rückbezüglichkeit angesprochen ist). Was die Ideologie auch zu erklären vermag, ihr Erklärungssystem selbst bleibt auf der Metaebene unerklärt.

      Das Christentum unterscheidet sich jedoch nach Watzlawick von politischen Ideologien, da es gerade über die Welt hinaus verweist.114 Der eschatologische Metarahmen ist zwar Konstruktion, vermag aber die Spannung der Widersprüchlichkeit von Ideal und Wirklichkeit – im Gegensatz zu den immanenten Ideologien dieser Welt – aufzulösen. Insofern könnte ein theologischer Konstruktivismus, der um die Möglichkeit und Notwendigkeit konstruierter Reflexion über Gott, die Kirche, das Heil des Menschen weiß, die Sinnfrage gerade deshalb angehen, weil hier etwas in den Blick genommen wird, was die Welt so nicht enthält und so nicht in ihr einfach vorfindbar wäre.

      Ein eingestandener theologischer Konstruktivismus bekennt sich dazu, eine bestimmte und konstruierte Wirklichkeitssicht zu vertreten.115 Er baut auf der Grundannahme des Konstruktivismus auf, dass auch jede innerweltliche und wissenschaftliche Sichtweise sich letztlich als konstruiert erweist.116 Innerhalb aller Konstruktion hat aber die Sinnfrage ihren legitimen Ort, ist treibendes Moment der Konstruktion selbst, die damit eine sinnstiftende werden kann.117 Auch wenn Watzlawick jeglicher Metaphysik kritisch gegenübersteht, so ist für ihn doch unbezweifelbar, dass Menschen aufgrund ihrer existentiellen Fragen und Nöte dazu veranlasst werden, ihre Welt zu deuten (was auch immer wieder durch ihre selektive Aufmerksamkeit Bestätigung erfährt). Im Gegensatz zu Watzlawicks Verständnis der selbsterfüllenden Prophezeiung118 kann sich der Glaubende sein Paradies auf Erden aber nicht erschaffen. Die Verheißung bezieht sich in der Spannung des ›Schon-und-noch-nicht‹ auch und gerade auf ein erhofftes Jenseits. Bleibt zu fragen, ob innerhalb des Konstruktivismus die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod mit einer Realität begründet werden kann, die unabhängig von der menschlichen Konstruktion als Jenseits tatsächlich existent ist.

      Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Konstruktivismus insofern als möglicher Schlüssel zum Verständnis eschatologischer Aussagen dienen kann, als er die Notwendigkeit und Legitimation analoger Sprechweise über das Jenseits unterstreicht. Die Hermeneutik als Methodik der Geisteswissenschaften unterscheidet dabei zwischen Sinn und Wahrheit der jeweiligen Aussage.119 Im Bereich der systematischen Theologie gilt allerdings, dass die theologische Hermeneutik in Entsprechung der Grundstruktur des christlichen Glaubens angewandt wird.120 Letztlich ist der Glaube – dessen Angebot einer Sinnstruktur für das Leben – Kriterium seiner Hermeneutik, die wiederum diesen in seiner eigentlichen