Der weibliche Weg. Martine Texier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martine Texier
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783863744830
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noch einmal zu dem Moment kurz vor dem Austritt des Babys zurück: zur spirituellen Dimension der Geburt. Ich möchte Ihnen die Bedeutung dieses Augenblicks für die Eltern und für ihr Kind nahebringen.

      1. Es gibt diese Verbundenheit zwischen der Mutter, dem Vater und ihrem Kind in einer eigenen Dimension. Was in diesem Augenblick passiert, kann weitreichende Folgen für das weitere Leben des Kindes haben.

      In diese Erfahrung außerhalb von Raum und Zeit kann vonseiten der Eltern ein »Aufruf ans Leben« dringen, der ihrem Kind gilt. Hinter einem solchen Aufruf ans Leben steht im Moment dieser Verbundenheit das sehnliche Verlangen der Eltern, dass ihr Kind leben möge. Hinter diesem Sehnen steht die Lebenskraft, die sie ihrem Kind für die Zukunft mitgeben.

      Vater und Mutter wollen so ihrem Kind einen Impuls geben: die Grundlage für seinen Wunsch zu leben. Diesen Wunsch erkennt man bei der Geburt an der Intensität des ersten Blicks aus den Babyaugen. Die Intensität, die in diesem Blick zum Ausdruck kommt, obwohl das Baby doch so klein ist, erschüttert viele Eltern. Sie gleicht der »gebündelten Lebenskraft«, zu der auch die Eltern dank ihrer Öffnung Zugang haben.

      Laetitia

      »Es war Mitternacht, als die Wehen einsetzten. Ich war zu Hause. Dann habe ich beschlossen, erst mai meinen Koffer fertig zu packen. Und ich glaube, die Tatsache, ein Zimmer nach dem anderen anzusteuern, in der Wohnung herumzulaufen, ein bisschen aufzuräumen, hat mir sehr gut getan (ich war mir jeder meiner Bewegungen bewusst …). Weil ich die ganze zeit auf war, konnte ich die richtige Position einnehmen, damit das Baby nach unten rutscht.«

      2. Stellen Sie sich nur dieses Lichtwesen vor, das aus der kosmischen Dimension kommt und in die engen Grenzen eines kleinen Körpers aus Fleisch und Blut eintaucht. Das Durchqueren des Tunnels, der Weg durch das Becken der Mutter, hat einen Zweck. So kann sich das Kind in seinem Körper einrichten, sich seine körperlichen Grenzen bewusst machen, ausdrücklich Gestalt anzunehmen. Die dauernde Anwesenheit der Mutter ermöglicht es dem Kind, diesen Weg nicht einsam und allein gehen zu müssen. Man kann sich vorstellen, dass es einen Unterschied für das Kind macht, ob es diesen Weg allein zurücklegt oder in Begleitung seiner Mutter und seines Vaters. Noch wichtiger ist jedoch der Grad an Bewusstseinserweiterung aufseiten der Mutter, der Eltern, im Moment dieses Übergangs.

      Ich glaube, je offener die Mutter sich in diesen Momenten zeigt, desto größer wird das Potenzial des Kindes aus der Dimension als Lichtwesen und der Dimension der Unendlichkeit sein, Potenziale, die es dann in seinem Leben auf dieser Welt ausstrahlen kann.

      Wir befinden uns an einem Wendepunkt. »Das einundzwanzigste Jahrhundert wird spirituell sein oder es wird nicht sein« lautet ein Zitat, das André Malraux zugeschrieben wird. Könnten doch die Mutter, die Eltern, die spirituelle Dimension der Geburt erleben!

      Die Veränderung wird kommen, denke ich, sobald die Frauen nicht mehr damit einverstanden sind, in einer unterwürfigen Position zu gebären, auf dem Rücken, die Beine in der Luft. Sie werden erst Zugang zu dieser heiligen Rolle finden, wenn sie ihre Kinder in der senkrechten Dimension gebären. Unsere patriarchische Gesellschaft hat Angst vor der Macht der Frauen und ihrer heiligen Rolle der Mutterschaft. Diese Position ist also alles andere als unbedeutend.

      Ich hoffe, dass die Frauen sich bald aufrichten, um ihre wahre Dimension im Moment der Geburt zu erleben: Die senkrechte Dimension eines »geerdeten« Menschen, der fest mit der Erde verbunden ist, aber offen ist für die feinstofflicheren Dimensionen.

      Christine

      »Wir kommen alle drei in den Kreißsaal. Der Muttermund ist bei acht Zentimeter. Da erleben wir eine solche Symbiose, dass die Hebamme sich gar nicht traut, uns zu stören. Instinktiv gehe ich bei jeder Wehe in die Hocke …«

      Ich kümmere mich seit über dreißig Jahren um Paare, die sich auf die Ankunft eines Kindes vorbereiten. Inzwischen blicke ich sorgenvoll auf die Entwicklung hin zu einer Überbetreuung Schwangerer und Gebärender durch die Medizin.

      Der Mensch versteht erst in Teilen das Wunder des Lebens, das Zeugung und Geburt eines Kindes darstellen. Leider will er aber alles kontrollieren. Unter dem Vorwand, die Sicherheit von Mutter und Kind gewährleisten zu wollen – eine Sorge, die ich durchaus teile, machen manche Ärzte aus Schwangerschaft und Geburt eine Krankheit. Die Anwesenheit eines Geburtshelfers (Obstetrikers) wird zu häufig durch die Zahl der medizinischen Eingriffe gerechtfertigt, wozu Geburtszange, Saugglocke, Dammschnitte, Einleiten der Geburt und Kaiserschnitt gehören.

       Die Medizin setzt falsch an

      Christine

      »Die Hebamme weint: Es ist lange her, dass sie eine normale Entbindung erlebt hat, ohne PDA, Syntocinon-Spray oder Saugglocke! Sie ist so ergriffen, dass sie erst beim Verlassen des Kreißsaals merkt, dass sie auf dem Protokollbogen gar nichts eingetragen hat …

      Bei der Visite am nächsten Morgen gesteht die Hebamme uns, noch immer ergriffen: ›Ich habe Panik gekriegt, als Sie meine Hand genommen haben. Ich habe gesehen, dass Sie auf mich zählen, um Ihnen zu helfen. Aber ich weiß gar nicht mehr, wie man so entbindet. Man bringt uns nicht bei, Frauen auf natürlichem Weg zu entbinden. Heutzutage ist alles fest in ärztlicher Hand!‹«

      Ich habe mehrfach mitbekommen, dass Geburtshelfer sich freuten, wenn sie in einer Arbeitswoche bei schwierigen Geburten eingreifen konnten. Eine »uninteressante Woche« bedeutete dagegen, dass alle Geburten gut verlaufen waren!

      Ich leugne ja gar nicht, dass technische Errungenschaften wichtig sind, aber werden sie auch immer zu Recht angewandt? Die Situation wird zweideutig bleiben, solange sich mit einem Dammschnitt Geld machen lässt. Man wird sich immer fragen können, ob er zum Wohle der Frau durchgeführt wurde oder weil er Geld bringt. Werden wir noch erleben, dass Ärzte sich für die Prävention einsetzen und Geld verdienen, weil es ihnen gelungen ist, einen Kaiserschnitt oder einen Dammschnitt zu vermeiden?

      In einer Hebammenschule sagte eine Lehrerin immer, die Schule bilde die »Technikerinnen für Geburten« aus. Gebärende brauchen nicht nur Technikerinnen für Geburten, sondern auch Warmherzigkeit und ermutigende Worte. Geburtsbegleitung ist eine experimentelle Wissenschaft, die Heldentaten vollbringen kann, das weiß man heutzutage sehr wohl. Die Technik ist wichtig, die menschliche Seite aber auch. Das Schwierige ist, einen Mittelweg zwischen beiden zu finden, nicht eines auf Kosten des anderen vorzuziehen. Den Hebammen, die ich regelmäßig treffe, liegt es häufig am Herzen, Geburten zu betreuen und dabei das Elternpaar wie das Kind zu respektieren, aber ihre Arbeitsbedingungen sind viel unmenschlicher geworden. Ich verstehe, wenn den Hebammen unbehaglich ist, weil sie sich nicht anerkannt und gegenüber den Ärzten minderwertig fühlen. Um sich Anerkennung zu verschaffen, setzen manche auf die Technik, also auf die männliche Domäne, obwohl sie eigentlich Frauen bei der Entbindung und der Geburt ihres Babys beistehen wollen: das Weibliche miteinander teilen.

      Es bleibt noch viel zu tun, damit es rund um die Geburt nicht zum Machtkampf zwischen Ärzten und Hebammen kommt. Ist es wirklich ein Zufall, dass die Geburtshilfe oder Obstetrik sehr männlich ist, während der Beruf der Hebamme ein größtenteils weiblich dominierter ist? Hinter diesem fundamentalen Problem zeichnet sich der Gegensatz, der hartnäckige Machtkampf zwischen Mann und Frau ab, zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen. Die liegende Position der Frau bei der Entbindung sagt viel aus über diesen Machtkampf. Diese Position ist eine aufgedrängte, denn sie ist für die Geburtshelfer sehr komfortabel, nicht aber für die Frau. Betrachten wir Claudies Geburtsbericht, der zwar schwer zu ertragen, aber leider durchaus typisch ist. Ihre Aussage erinnert mich an zahlreiche andere, die genauso lehrreich und unglaublich waren. Insbesondere der Artikel einer Hebamme aus einer Fachzeitschrift ist mir im Gedächtnis geblieben: »Dann kam Zorro«. Der Geburtshelfer kam gegen Ende der Entbindung hinzu, schubste die Hebamme zur Seite, die während der gesamten Geburt anwesend war, und machte einen unnötigen Dammschnitt, direkt bevor das Baby kam!!!

      Claudie

      »Als