Fromme Industrie. Heinz Nauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinz Nauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783039199280
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Gästen in Brunnen gehörte im Sommer 1881 auch König Ludwig II. von Bayern, der damals die Zentralschweizer Schauplätze des schillerschen Tell-Dramas besuchte. Adelrich B.-Koch hatte eine gewisse Affinität zu den «grossen Männern» seiner Zeit. Er war stolzer Besitzer eines reich verzierten Säbels, den ihm der Familienüberlieferung zufolge der amerikanische Präsident Abraham Lincoln persönlich geschenkt haben soll.237 In den Quellen belegt sind Audienzen im Weissen Haus in Washington bei Präsident Ulysses S. Grant (1822–1885) im Jahr 1869 sowie sechs Jahre später in Rom bei Papst Pius IX., der ihm für seine Verdienste um die «katholische Sache» im selben Jahr den Ritterorden des heiligen Gregor des Grossen (Gregoriusorden) verlieh.

      Die Firma wusste Beziehungen zu einflussreichen Zeitgenossen, wie sie Adelrich B.-Koch, aber auch andere Mitglieder der Verlegerfamilie pflegten, geschickt zu Werbezwecken zu nutzen. Über den Empfang Adelrichs bei Präsident Grant im Weissen Haus beispielsweise liess man über Mittelsleute Artikel in englischsprachigen Zeitungen verfassen. Einige der Associés mahnten aber auch zur Bescheidenheit und kritisierten ein «das gesunde Mass überschreitende[s] Quantum» an «Extravaganz».238

      1880 zog sich Adelrich B.-Koch vollständig aus der Firma Benziger zurück und liess sich seinen finanziellen Anteil am Geschäft auszahlen. Fünf Jahre später gründete er in Einsiedeln unter dem Namen «Adelrich Benziger & Co.» in Konkurrenz zur Firma Benziger eine «Anstalt für kirchliche Kunst und Industrie», mit der auch eine Buch- und Kunsthandlung in Einsiedeln sowie ein Zweiggeschäft in Thann im Elsass verbunden waren. Gesundheitliche Probleme zwangen ihn mit fortschreitendem Alter immer wieder zu längeren Kuraufenthalten, etwa in Meran im Südtirol oder in Algiers (Algerien). Wenige Jahre vor seinem Tod unternahm er auch eine Pilgerreise nach Lourdes.239 Adelrich B.-Koch starb 1896 in seinem Wohnhaus in Einsiedeln.

      Adelrich B.-Koch und seine Mitassociés in Einsiedeln legten Wert darauf, möglichst viele Geschäftskontakte persönlich wahrzunehmen. Darauf wiesen sie auch ihre jüngeren Associés in den USA in der Briefkorrespondenz immer wieder hin.240 Ein Prinzipal selbst fände bei Kunden weit bessere Aufnahme und erzielte mehr Erfolg als ein angestellter Reisender, die «Provisionen wegfressen» und «wie Schmarotzer viele Säfte aus dem Baume» pressen würden.241

      Die häufigen Geschäftsreisen konnten für die Verleger allerdings auch zur Belastung werden. «Einstweilen versichere ich Sie nur, dass mir in meinem Leben noch nichts ekelhafter u. widriger vorkam, als mir jetzt das Reisen geworden ist», schrieb im Dezember 1859 der damals 26-jährige Adelrich B.-Koch aus Prag an seinen Vater und seinen Onkel in Einsiedeln von einer mehrmonatigen Geschäftsreise, die ihn neben Prag auch nach Salzburg, Wien, Berlin, Leipzig, Frankfurt und München führte.242

      Klagen der Verleger über die ständige Pflicht zu reisen waren eine Konstante in der geschäftlichen Korrespondenz. Adelrich B.-Koch dachte bereits mit 32 Jahren laut über seinen Ruhestand nach: Ich «wünschte mir für das Geschäft u. für mich, mit 50 Jahren mich zurückziehen zu können. Ich hätte dann 33 Jahre im Geschäfte gearbeitet u. Verdienst gethan […] der ich kaum Theil dieser Zeit mit meiner eigenen Familie verleben konnte.»243

      Mit der Ausdehnung des Geschäfts war es den Geschäftsinhabern aber je länger je weniger möglich, alle Geschäftsreisen selbst zu unternehmen. Sie sahen sich dazu gedrängt, wie ihre Konkurrenten professionelle Handelsreisende einzustellen. «Wir sollten unbedingt auch reisen lassen», schrieb Adelrich B.-Koch im Dezember 1859 von einer Geschäftsreise aus Nürnberg an seinen Vater nach Einsiedeln, nachdem er gehört hatte, wie viele Reisende Verlage in Stuttgart oder Berlin beschäftigten.244 Wenig später wurde mit Josef Bopp aus Bayern ein erster Reisender eingestellt, der für die Firma vor allem die südlicheren deutschen Staaten sowie das Kaiserreich Österreich bereiste. Bald folgten weitere Reisende für Preussen und das nördliche Deutschland sowie für Frankreich.245 1892 beschäftigte die Firma Benziger in Einsiedeln sieben Reisende, die Zentral- und Nordamerika, Italien und Südtirol, Elsass-Lothringen, Spanien und Südamerika, Frankreich und Belgien, Württemberg, Bayern und Österreich-Ungarn, Baden, Hessen, Unterfranken sowie das nördliche Deutschland bereisten.246

      Das äussere Erscheinungsbild und die Fähigkeit, sich weltgewandt zu präsentieren, waren für Geschäftsreisende entscheidend. Nikolaus B.-Benziger II schrieb im Januar 1867 an seine Associés in den USA: «Ob aber ein schwarzer Zylinder auf dem Kopf nicht auch in America den Leuten Respekt einflösst […] müssen Sie erwägen. In Europa ist es so u. nicht ohne Grund heisst es Kleider machen den Menschen.»247 Bei der Anstellung von Reisenden konnten, wie folgendes Beispiel zeigt, äussere Merkmale gar höher gewichtet werden als kaufmännisches Geschick. Im Dezember 1874 reiste Adelrich B.-Koch nach Lyon und Paris, um einen geeigneten Reisenden für die Firma zu suchen. Seine Auswahl begründet er mit den folgenden Worten: Ein erster Kandidat sei «erster Angestellter von Girard248, ein kleiner Mann v. ca. 24–26 Jahren, sehr intelligent […], scheint bescheiden u. anspruchslos. […] Seine Sprache ist nicht sehr schön, er redet etwas durch die Nase.» Man habe ihm deshalb «einen Mann vorgezogen, der sich etwas besser repräsentirt, aber wahrscheinlich weniger intelligent u. jedenfalls weniger Kaufmann ist».249

      Was aber taten die Geschäftsreisenden der Firma Benziger unterwegs? In den Quellen finden sich einige aufschlussreiche Beispiele. Ein Reisender schrieb im Juni 1865 aus Regensburg nach Einsiedeln, er habe gehört, die Firma Pustet in Regensburg plane, in den USA eine Filiale in direkter Konkurrenz zur Firma Benziger zu errichten. Mehrere Angestellte seien daran «eifrig englisch zu lernen». Unter falschem Namen erschlich sich der Reisende darauf Zugang zum Firmengebäude, wo er laut eigener Aussage vom Verlagsleiter Friedrich Pustet (1831–1902) «rasch herumgeführt» wurde und tatsächlich einige Interna zu Gesicht bekam – etwa einen auf dem Schreibtisch des Chefs aufgeschlagenen «Cincinnatier Kalender» aus dem Benziger Verlag, was er als Hinweis darauf deutete, dass auch Pustet Pläne hegte, in den USA einen eigenen Kalender verlegen zu wollen.250

      Im Normalfall verliefen die Geschäftsreisen aber wenig spektakulär. Die Reisenden besuchten Papier- und Maschinenfabriken, Kunst- und Buchhandlungen, trafen sich mit Künstlern, Kunsthandwerkern und Literaten und verglichen die Einkaufs- und Produktpreise in verschiedenen Städten und Ländern. Zudem betrieben sie auch eine Art Marktanalyse, indem sie Informationen über regional unterschiedliche Vorlieben der Käuferschaft sammelten.

      Wenden wir uns zur weiteren Verdeutlichung nochmals den Geschäftsreisen von Adelrich B.-Koch zu. Was interessierte ihn auf den Reisen? Worüber legte er Notizen an? Im Spätherbst 1859 schrieb er aus Berlin, Prag, München und Nürnberg lange Briefe ans Geschäft in Einsiedeln, in denen er detailliert über sein Tun auf Reisen Auskunft gab. Wir erfahren, dass er in Wien zunächst zahlreiche Kirchenornaments-, Kunst- und Buchhandlungen besuchte, darunter auch damals bekannte Geschäfte wie Neumann, Paterno oder Artaria. Was er sah, beeindruckte ihn aber allgemein wenig. In ganz Wien gebe es beispielsweise nur einen «einzigen guten Xylographen», dessen Arbeiten aber sehr teuer seien, schrieb er. Auch die Wiener Staatsdruckerei, die er danach besuchte, hatte seiner Meinung nach wenig zu bieten: «Zu viel Protektion unter Arbeitern; zu viel alte Faulenzer, Ceremonienmeister, Dummköpfe …» Lediglich vier neue Schnellpressen, die mit «endlos Papier», das heisst mit automatischen Papierrollen funktionierten, erregten seine Aufmerksamkeit: «Also sollen in Zukunft alle Schnellpressen gemacht werden. […] Diese Erfindung ist sehr gut, besonders wo grosse Auflagen und ich glaube dass die nächste Schnellpresse die wir haben müssen eine solche sein wird.»

      In Leipzig besuchte Adelrich B.-Koch die Firma Brockhaus, die eine «grossartige Buchdruckerei» habe. Alle übrigen technischen Betriebe seien aber «vernachlässigt» und «bei Meistern nicht was sein Katalog u. Programm verspricht». Begeistert war er hingegen von der Ausstattung der Kunstanstalt von Albert Henry Payne, welcher der einzige sei in ganz Leipzig, «der Texte galv.[anisiert] und zwar auf engl. Art». Payne selbst habe ihm den Zutritt zur Firma zwar verbieten wollen, «durch Bestechen eines Arbeiters» aber sei ihm dennoch «das Ganze genau erklärt worden». Alles in allem fand Adelrich B.-Koch aber auch in Leipzig, wohlgemerkt einem der bedeutendsten Buchhandelszentren in jener Zeit, wenig Spannendes: «Im Ganzen ist Leipzig langweilig, die Anstalten etwas bedeutend alt eingerichtet u. zu wenig amerikanisch.»

      Das