4. Vorschau auf die Argumentationsstruktur
Inhaltlich wird dieser Dreischritt innerhalb der vorliegenden Ausarbeitung wie folgt gefüllt werden.
Im ersten Schritt der Kairologie wird mithilfe soziologischer bzw. empirischer und theologischer Grundlagen ein Phänomen gegenwärtiger pastoraler Praxis zu erfassen gesucht: Das andere Volk Gottes, das später genauerhin als postmoderne Volkskirche definiert werden wird, soll in einem ersten Blick mithilfe verschiedener Studien bzw. soziologisch-theologischer Wahrnehmungen zusammenfassend und auf gemeinsame Vergleichspunkte hin darstellend erfasst werden. Anschließend wird die pastoralsoziologische Forschung daraufhin befragt, inwieweit innerhalb ihrer Reihen Ergebnisse zu finden sind, welche sich mit den Ergebnissen des ersten Schritts decken. Ein Resümee beschließt diesen Teil und ein Fazit stellt gleichsam den Kairos heraus, dem es sich im Rahmen der weiteren Reflexionen in Kriteriologie und Praxeologie zu stellen gilt.
Der zweite, kriteriologische Teil schaut insgesamt in zwei Perspektiven auf das bislang wahrgenommene Phänomen: zum einen in der Perspektive der Gemeindeidee im Kontext der (Nach-)Konzilszeit, zum anderen in der dann erweiterten Perspektive der Volk Gottes-Theologie des II. Vatikanums.
Die erste Perspektive der Gemeindetheologie wie der Würzburger Synode stellt die bis in die Gegenwart fortdauernden Ideale einer Gemeindekirchlichkeit dar. Hieran soll näherhin nachvollziehbar werden, wieso die Gemeindeidee als Produkt eines als zuweilen neuzeitlich identifizierbaren innerkirchlichen Paradigmenwechsels für postmoderne VolkschristInnen eine wenig attraktive Möglichkeit bedeutet, um ihr Christsein bzw. ihre Religiosität zu leben.50 Dies wird umso evidenter, als vor dem Hintergrund verschiedener Versuche, welche das Konzept der Gemeinde für die seinerzeit sogenannten Gemeindefremden attraktiv zu machen versuchten, deren langfristige Unwirksamkeit konstatiert werden muss.
Daher wendet sich der zweite Teil danach einer anderen Perspektive zu, welche allerdings bereits den Hintergrund der Gemeindetheologie bildete: die konziliare Theologie des Volkes Gottes. Diese wird mithilfe dreier theologischer Hauptaxiome auf das kairologisch dargestellte Phänomen hin reflektiert: Das Volk Gottes als Leib Christi, als gesandte Communio wie in der Theologie der Mehrheit seiner Glieder, der Laien. Alle drei Reflexionspunkte stellen theologische Themenbereiche dar, welche die Existenz einer postmodernen Volkskirche anfragt: Inwieweit kann es eine (Paradigmen-)Pluralität von unterschiedlichen Entwürfen des Christseins im Volk Gottes geben? Was bedeutet die Rede von der Kirche als Communio unter postmodern werdenden Bedingungen? Und: Wie lässt sich darin die Berufung der Laien im Volk Gottes adäquat beschreiben?
Diesen zweiten Hauptteil beschließen wiederum ein ergebnissicherndes Resümee und ein Fazit, welche beide einen Übergang zu den abschließenden praxeologischen Reflexionen bahnen.
Dieser dritte, letzte Teil verfolgt das Ziel, die im theologischen Diskurs ermittelten Ergebnisse für eine pastorale Praxis der Gegenwart denkbar zu machen. Zunächst müssen dazu die Grundvollzüge als Dimensionen der pastoralen Existenz der Kirche nachvollzogen und so auf postmoderne Verhältnisse hin reformuliert werden. Hiernach werden Initiativen vorgestellt, welche, den oben entwickelten Kriterien entsprechend, die Berufung der Laien außerhalb der Gemeindekirchlichkeit bereits exemplarisch, weil transversal-evangelisierend leben. Als theologische Ordnungsfigur dient dabei die Urgestalt christlicher Existenz von Sammlung und Sendung, wie sie im kriteriologischen Teil zentral herausgearbeitet werden konnte: Die Sammlung zum Ausgangspunkt der Sendung zu machen. Zugleich zeigen sich konstruktive Perspektiven, wenn sich mancherorts bereits ein anderes, umgekehrtes Zueinander dieser Ordnungsfigur abzeichnet: Wo die Sendung des Volkes Gottes zum Maßstab für dessen Sammlung wird, ergeben sich aussichtsreiche, für postmoderne Verhältnisse zunehmend kompatible Weisen des Christseins. Abschließend werden vertiefende Reflexionen für die Praxis der Begegnung zwischen Gemeinde- und postmoderner Volkskirche im Gemeindekontext angestellt, da diese aller Voraussicht nach auch künftig weiterhin einen Schwerpunkt im pastoralen Umgang mit der postmodernen Volkskirche bilden werden. Ein Schlusswort stellt wesentliche Ergebnisse dieser Studie zusammen und entwirft eine Antwort auf ihre eingangs entwickelte Fragestellung.
1 Diese Studie ist unter dem ursprünglichen Titel „Das andere Volk Gottes. Ein transversaler Diskurs zwischen Gemeinde- und postmoderner Volkskirche“ als Dissertationsschrift eingereicht worden. Zu dieser Themenformulierung ist für ihr richtiges Verständnis anzumerken, dass es sich bei Gemeinde oder Gemeindekirche um Begriffe handelt, die seitens der katholischen Pastoraltheologie im Kontext des II. Vatikanischen Konzils vorwiegend im deutschsprachigen Raum entwickelt wurden (vgl. die Darstellung am Anfang des II. Teils). Damit ist in keiner Weise negiert oder relativiert, dass sich die katholische Kirche ekklesiologisch als Bischofskirche versteht; es werden daher lediglich die seinerzeit entwickelten bzw. übernommenen und bis heute mentalitätsmäßig prägenden Begriffe verwandt.
2 Hier ist darauf hinzuweisen, dass die unten definierte postmoderne Volkskirche vorwiegend in jenen Gegenden des deutschsprachigen Kulturraumes anzutreffen ist, welche nicht durch eine Diasporasituation geprägt sind. Dies sei bereits an dieser Stelle eingrenzend benannt.
3 So berichtet der vormalige Spiritual des Münsteraner Priesterseminars und heutige Weihbischof Stefan Zekorn, wie einer der Seminaristen seine Eindrücke eines Gemeindepraktikums in folgende Worte fasste: „Es begegnen einem bei allen Veranstaltungen dieselben Gesichter.“ [Zekorn, S., Der „Heilige Rest“? Christliche Gemeinde und ihre Zukunft, Kevelaer 2007, 12.] Handfest und prägnant ist damit benannt, was Soziologen mit dem Begriff der „Milieuverengung“ erfassen. Vgl. dazu den Aufsatz von Sellmann, M., Milieuverengung ist Gottesverengung, in: LS 57 (2006), 284-289. Oder auch: Ebertz, M. N., Gleichberechtigte Partner? Entlohnte und nichtentlohnte Dienste und Ämter, in: HerKorr Spezial, 1-2009, 14-18, 16.
4 Zu den Querverweisen innerhalb dieser Studie sei erläuternd angemerkt: Die drei Teile werden jeweils mit den römischen Zahlen I-III bezeichnet, weitere Unterstrukturierungen ohne Punkt angefügt, etwa: II 2.3.2.3 bedeutet Teil II Unterpunkt 2.3.2.3.
5 Zudem ist eine solche Vorläufigkeit für eine transversale Vernunft konstitutiv (vgl. dazu näher: 0 2.3).
6 Was man neben den spezifischen, unumgänglich klassischen Orten kategorialer Pastoral eigentlich während der Nachkonzilszeit immer fraglos voraussetzt. Wie weit diese Mentalität bis in die Gegenwart hinein prägend ist, die kirchliches Leben und gemeindliche Existenz gleichsetzt, mag unbeschadet der detaillierteren Aussagen im Laufe dieser Studie eine Ausführung auf der Bistumsseite kirchensite der Diözese Münster illustrieren: „Die Kirche lebt in den Gemeinden. Dort ist der zentrale Raum für das christliche und gemeindliche Leben der Gläubigen.“ [http://kirchensite.de/bistumshandbuch/—p/pfarreien-bistum-muenster; Zugriff 30.07. 2009]
7 Bieger, E. / Fischer, W. / Mügge, J. / Nass, E., Pastoral im Sinus Land, Berlin 22008, 156.
8 Der Münchner Soziologe Armin Nassehi rät aus seiner fachlichen Perspektive genau dies den beiden deutschen Großkirchen, wenn er auf die Frage nach kirchlichen Verlustängsten und Szenarien einer Minderheitenkirche bestechend reell antwortet: „Wie alle Großorganisationen müssen sich die Kirchen […] fragen, welches die eigentlichen Motive sind, bei ihnen Mitglied zu werden.“ [„Den Unterschied deutlich machen“. Ein Gespräch mit dem Münchner Soziologen Armin Nassehi, in: HerKorr 63 (2009), 447-451, 451.]
9 Höhn, H.-J., Religiös im Vorübergehen? Urbanität als Herausforderung für die Kirche, in: StZ 115 (1990), 363-373, 371.
10 Bucher, R., Vom bösen Zauber falscher Vorstellungen. Zur pastoraltheologischen Problematik der soziologischen Kategorie „Ehrenamt“, in: Diak 40 (2009), 269-275. 274.
11 Dieses letztzitierte Diktum, welches vielfach als Ausdruck postmoderner Beliebigkeit bzw. eines gleichnamigen Relativismus herangezogen wird, bezieht sich