Ich zähle jetzt bis drei. Egon Christian Leitner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Egon Christian Leitner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783990471173
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da, meint er, der Sozialarbeiter, nicht zum Davonlaufen.

      13.11. Brecht dichtete zirka, wer keinen Ausweg weiß, soll jetzt still sein, damit er das herrschende Wirrwarr nicht mehrt. Des Weiteren, dass es um einen Staat schlecht bestellt ist, selbiger falsch beschaffen ist, der Helden braucht. Und dass man den Finger ja auf jeden Zahlenposten legen soll, denn man muss ja die Rechnung bezahlen. Ihr, die ihr dies hört, mögt nicht in Zorn verfallen, denn alle Kreatur braucht Hilf’ von allen! ist auch von Brecht, kommt mir vor – und dass die Ärztin, der Sozialarbeiter gestern, vorgestern alles, was sie sagten, so gemeint haben wie Brecht. Außer das mit dem Zorn.

      14.11. Werde auf meinen Coronatagebucheintrag angesprochen im Netz. Soll das Sozialstaatsvolksbegehren erklären. Die Jungen heutzutage kennen das ja nicht mehr, sagt ein »Alter« zu mir, der dann sagt, dass er 2002 gerade sein Haus gebaut, von nicht viel sonst was mitbekommen hat. Die Dörnerexperimente soll ich ihm auch für heutzutage erklären. Erwidere, beides sei nicht nötig; er habe mich gewiss ganz genau verstanden. Dann verspreche ich ihm aber Genaueres in den kommenden Wochen. Verweise ihn bis dahin auf Werner Vogts Arztroman. Der sei in ehrlicher, nüchterner, packender Biografieform eine Sozialgeschichte der Zweiten Republik, der Hilfseinrichtungen und der tatsächlichen Zivilgesellschaft. Wie man Menschen hilft & sich selber schützt, stehe drinnen. Immer jeweils, wie man Unglück in Glück zu drehen vermochte. Trotz Unbill etwas bewerkstelligt, das Hand & Fuß hat & Nutzen. Unter anderem z. B. 2002 eben das Sozialstaatsvolksbegehren. Zur Prävention damals gegen bevorstehende Ausweglosigkeit, z. B. jetzige.

      15.11. Eine Lehrerin ruft mich aus der Türkei an. Die Schulen sind ganz geöffnet, die Fenster auch immer, es ist fürchterlich kalt in den Klassen, anstrengend. Denke mir, die jetzt so dafür sind bei uns, dass die Schulen ja offen bleiben, vielleicht bedenken die nicht, dass der Winter kommt; wie kalt die frische Luft ist auch bei unseren Fenstern herein. Freilich: Wenn dann Kinder krank sind, kann man sagen: Nein, nicht Corona! Nicht einmal Grippe! Die Schulsachen ärgern mich immer. Apropos: Das berühmte Peterprinzip besagt, dass man aufsteigt bis zur Unfähigkeit. In Machtpositionen dann Schaden macht, sich wichtig oder bestenfalls Nutzloses (laterale Arabesken). Peters Gegenbeispiel: die gute Lehrerin, die nicht einmal Direktorin werden will, sondern jahrzehntelang nur 1. Klassen unterrichtet. Aber bei niemandem lernen die Kinder so leicht, hilfreich wie bei ihr. Bei uns sind viele Lehrer in der Politik, Regierung. Habe keinen Eintragsplatz mehr jetzt für die Alternativlehrer Erich Fromm, Paulo Freire, Ivan Illich, Leopold Kohr. Die wären zurzeit wichtig wie das österreichische Sozialstaatsvolksbegehren. Pierre Bourdieu war für so etwas europaweit. Von Besagten next week same time same station! (Hoffe, die Soldaten, die mich, die Meinen, ganz Österreich wöchentlich [?] auf Corona testen werden, arbeiten clean.)

      *

      16.11. Das Sozialstaatsvolksbegehren, Schlingensief, der Aktionskünstler, würd’s sofort versuchen da hier. & die Leut’ würden mitmachen & alles würde gut ausgehen.

      17.11. Eine Virologin, international renommiert, sagte heute, man wisse nicht, ob die Impfung gegen Corona vor der Infektion schützt oder den Krankheitsverlauf mildert; auch nicht, ob es durch die Impfung zu einem Herdenschutz kommt. Das seien wichtige Unterschiede. Denn je nachdem könnte man in der Folge zu Virusträgern werden, die andere anstecken.

      18.11. Ein Freund, der in den letzten Monaten ein paar Mal getestet werden musste, sagt, dass es beim letzten Mal lang gedauert hat – Autoschlange, Radfahrer, zu Fuß auch viele, Luft schlecht. Wie die Massentestung also wohl werden wird? Unansteckend hoffentlich! Habe keinerlei Zutrauen, dass die Verantwortlichen das Prozedere logistisch zustande bringen, ohne Kollateralschäden. – Es ist aber ja doch eh alles im Freien! An der frischen Luft! Ja, aber wo ist die in Graz im Winter? Smog war da bis dato! Unsere Luft ist gesünder als sonst wo. Ja, in Teheran z. B. ist’s, als ob jeder 24 Stunden lang Kettenraucher wäre & in Peking haben wegen des Smogs die Verkehrspolizisten eine Lebenserwartung von 40 Jahren. Graz ist super!

      19.11. Meine Frau ärgert sich über den Virologen, der sagt, die Bevölkerung sei dumm, weil die sich nach dem Lockdown in den Weihnachtseinkaufsrummel stürzen wird. Das solle er den Politikern & Wirtschaftsleuten sagen! & mich ärgert der dumme Witz jetzt grad, dass Österreich über 9 Millionen Virologen verfüge. Denn die 9 Millionen ÖsterreicherInnen wissen m. E. tatsächlich selber, was sie jetzt brauchen.

      20.11. Parlamentssitzung: ein Gewerkschafter zur Regierung: Verarschts wen anderen!, & ein Gewerkschafter sagt, im Strafgesetzbuch stünden aufs Regierungsvorhaben bis zu 3 Jahre. Schleichts euch!, sagt auch einer; & einer, die große Regierungspartei benehme sich der kleinen gegenüber wie der Fuchs bei den Hühnern; & einer, dass er wegen seiner gewerkschaftlichen Tätigkeit unter Druck gesetzt & dass gegen ihn bei seinem Arbeitgeber intrigiert worden sei. & der ÖGB-Präsident verlangt 1.000 € für jede/n ArbeitnehmerIn heuer vor Weihnachten. Der Wirtschaftskammerpräsident detto. (Sozialpartnerschaftlich.) Ich find’s lustig, weil das 4,5 Milliarden wären auf die Schnelle & das bedingungslose Grundeinkommen einen Monat lang. Was Schlingensief da alles draus machen würde! Sofort zum Sozialstaatsvolksbegehren dazu das bedingungslose Grundeinkommen!

      21.11. Grad wieder sagt wer, es sei jetzt da hier zum Fürchten wie im Krieg. Mir fällt der Kriegsberichterstatter ein, der immer sagt, man müsse von den Opfern berichten & präventiv & was man tun, helfen kann. Rechtzeitig eben alles! Vorige Woche die beiden Ärzte z. B., die Coronakranke daheim betreuen. Alles daran setzen, dass die nicht ins Spital müssen. Es berichten jetzt ja immer mehr Menschen, wie es ihnen selber ergangen ist & was wer tun kann selber oder als Angehöriger. Es ist eben nicht wahr, dass Testen, Ausselektieren & Wegsperren Helfen ist. Da fehlt viel! Bourdieu (wahlverwandt Karl Kraus & Thomas Bernhard) sagte, dass nie die Ideen der Generäle die Abhilfe schaffen, sondern stets nur die der Untergebenen. Nun, es wäre in Österreich ja nicht das erste Mal, dass die vom Generalstab alles verhauen. In den Schwejkfilmen ist das lustig.

      22.11. Der Weltpriester offen, hilfsbereit, Fels in der Brandung; seine Worte Wohltat, seine Handlungen umsichtig, gewissenhaft. Lässt niemanden der ihm Anvertrauten verrecken. Sagt heute, Jesus sei nicht nervös gewesen. & dass man nicht nach Schuldigen suchen soll in der jetzigen Situation, sondern zusammenhalten & das Beste aus allem machen. Damit macht er mich aber wirklich wahr nervös, der ich mir ja wünsch’, dass die Kleriker jetzt einfach bloß sagen, der Ausweg für die Politik jetzt ist die Bergpredigt. & ein paar Schlingensief-Leut’ würd’s brauchen dann nur noch & die Bergpredigt wär’ – Simsalabim! – das Sozialstaatsvolksbegehren. Letzten Sonntag die Predigt von einem anderen vorbildlichen Priester – da war ich auch perplex. Ging um die Evangelienstelle, dass dem, der hat, gegeben, dem, der nicht hat, auch noch das Wenige weggenommen wird. Das Geld & die Banken stehen dort & viel Diktatur. Eine 97-jährige Ärztin hat mich gegen diese ihrer Meinung nach tyrannische Passage aufgehetzt, aufgeherzt, telefonisch. Die Frau ist gläubig, die Messe ihr heilig: das Wandlungssakrament, durch das sie ihres Empfindens immer wieder von neuem wirklich ein Mensch zu sein vermag; aber genauso das Messgeschehen insgesamt als von aller Last befreiende Gegenwart Gottes. Aber wegen genanntem Passus würde sie manchmal am liebsten austreten. Vor ein paar Tagen jetzt Knochenbruch. Verstand & Gewissen unkaputtbar; Seele ruhig, Sohn, Enkeltochter liebevoll, ruhig, da.

      *

      23.11. Seit Wochen, Monaten höre ich das Wort Problem nicht. Alle sagen Herausforderung. Wenn die wenigstens Überforderung sagten, ehrlicherweise! Nehme zurzeit fast nur Führungskräfte wahr, welche sich vor den tatsächlichen Problemen drücken. Meine das ernst. Nehm’s persönlich, wenn die Menschen, für die ich Verantwortung trage, durch die Fehlentscheidungen der jeweils offiziellen Obrigkeit Schaden an Leib, Leben, Existenz nehmen.

      24.11. Waldspaziergang, jetzt täglich Massenauflauf. Ein Mann sagt zu mir, dass er früher da hier auch Gämsen gesehen habe. Weiße Elefanten auch?, frag ich. Aber hier gehen jetzt ja wirklich an einem Tag so viele Leut’ wie früher in einem Jahr. Die Rehe, Kitze haben sich heuer auch völlig zurückgezogen, im Frühling schon. Sind sonst insgeheim zu den Häusern gekommen oder in den Wiesen gelegen.

      25.11. Die Theaterleut’, die die Arbeit, die Geber & die Nehmer & die Arbeitslosigkeit darstellen, die