19. Hilfreich ist es in der Tat, rechtzeitig, wirklich und gemeinsam über das zu reden, worüber ansonsten nicht geredet wird. Z. B. darüber, wodurch das Zusammenhalten, Zusammenhelfen, Füreinandereinstehen, Füreinandereinspringen, die Solidarität also, verhindert und verwirkt wird und wodurch das alles andererseits ermöglicht und verwirklicht wird. Also über das Im-Stich-Lassen und Im-Stichgelassen-Werden. Bourdieus Idee im Elend der Welt war, dass immer mehr Menschen sich anderen Menschen öffentlich anzuvertrauen beginnen. Ein affines Demokratie- und Politikmodell ist der israelisch-palästinensische Verständigungs- und Vertrauensort Newe Schalom. Das Gespräch der Feinde in Newe Schalom, Bourdieus Elend der Welt, praktiziert quer durch die Milieus und Metiers, und vor allem die Redepraxis der Anonymen Alkoholiker sind bislang von den Sozial-, Alternativ- und Demokratiebewegungen völlig ungenutzte Gegenmittel gegen die Ohnmacht der Öffentlichkeit. Diese ständigen Ohnmachtsanfälle sind durch die Zerstörung des zwischenmenschlichen Vertrauens verursacht, also von Politik und Wirtschaft.
20. Nichts muss so sein, wie es ist.
21. These 20 gilt im Schlechten wie im Guten.
22. Die Menschen sind gut und klug, wenn man sie lässt.
23. Gott hilft, so viel er kann. Vermutlich braucht er aber selber Hilfe.
24. Jesus heißt, dass Gott hilft. Nicht zuletzt aus den Details der Evangeliumsstelle vom Barmherzigen Samariter entwickelten abendländische Denker den Sozialstaat. Die buddhistischen Ideen zum Sozialstaat, v. a. die des Ambedkar, Justizminister und Verfassungsbeauftragter unter Gandhi, waren aber weltweit nicht weniger interessant, da sie das Kastenwesen aufbrechen, jegliches, also die Faschismen aller Orte und Zeiten und Parteien. Im Wissen, dass alle Kreatur Hilf’ von allen braucht.
25. Das Wichtigste auf der Welt sind Liebenswürdigkeit, Hilfsbereitschaft, Einfallsreichtum, Lachyoga (= Humor + Geistesgegenwart) und Verlässlichkeit.
26. Alles, was wichtig ist, kann man lernen.
27. Lernen ist einfach.
Leseproben (S. 3–8) aus Egon Christian Leitner, Des Menschen Herz. Sozialstaatsroman, Wieser Verlag, 2012
Intervention November 2020 bis Februar 2021
2.–9.11. [...]
1. Die Schwester der Ermordeten: Frieden!; Sprengstoffgurt Attrappe; Mörderlauf. Das Opferfest, die Freude für die Kinder, das schönste, innigste Ereignis, freundlich. Der Vater teilt sein Trinkwasser mit den Gefährten, die einander Weisungen vorlesen. Der Vater kehrt heim, umarmt seinen kleinen Sohn, dann seinen alten Vater; kauft mit dem Kind Geschenke auf dem Markt, Spielzeug, Spielzeugwaffen, für den Buben auch Kampfanzug, Kopfbedeckung, Gürtel. Das Essen wird bereitet, geteilt, verzehrt. Hierauf auch gemeinsam in die Moschee und ins Spital, dort werden Verwundete besucht, mit Süßigkeiten beschenkt. Vater und Sohn sitzen jetzt lachend im sich drehenden Riesenrad. Wieder auf festem Boden wirft der Vater den Sohn ein paar Mal hoch in die Luft, fängt ihn glücklich auf. Ein Vater schnallt seiner kleinen Tochter und seinen zwei kleinen Söhnen Sprengstoffgürtel aus Pappendeckel um. Eine Frau läuft mit ihrem Kind verzweifelt um Wasser, werden verdursten. Im Einzelnen: Ein Werbefilm des IS für m. W. Wien; eine Demo in Berlin; die Urgeschichte von Herkunft und Errettung der Araber, Moslems. Die Religionspsychologie hilft, Wünsche, Ängste, Alltagsgewalt assoziativ-therapeutisch leichter auszusprechen. Dass »wir« miteinander reden, wünscht sich ja die Schwester der Ermordeten. Es ändert aber nichts, ist die Grunderfahrung von Kriegsberichterstatter Orter. Zu ihm haben die Mörder wie folgt geredet: Wir bringen dich nicht um, du gehörst zu uns. Wer zu uns gehört, braucht keine Angst zu haben! Wir bringen nur die um, die uns umbringen. Wir machen mit denen nur, was die mit uns machen. Denen ist egal, wenn wir verrecken, deswegen ist es uns egal, dass die verrecken. – Aber vielleicht töten die »uns« bei »uns« da hier, weil »wir« »sie« bei »ihnen« dort töten.
2. Die Dörner-Simulationen per Computer dienen seit 50 Jahren der Schulung von politischen, ökonomischen, technischen Eliten in extrem schwierigen Situationen: (A) Eine Stadt in der BRD mit viel Arbeitslosigkeit, Umweltproblemen, Rechtsextremismus. (B) Ein Dritte-Welt-Land mit Seuchen, Hunger, hoher Sterblichkeit. (C) Die realen Geschehnisse der Tschernobyl-Katastrophe. Je mehr Fehler die Versuchspersonen machen, umso herrischer, uneinsichtiger, grausamer, rücksichtsloser agieren sie, egal ob Mann oder Frau. Diese lebensgefährlichen Fehler kommen daher, dass man diese im Routinealltag immer mehr zulässt, die Grundregeln außer Kraft setzt, so immer weiter in die nicht mehr bewältigbare Ausnahmesituation, Katastrophe, gerät. Nahezu alle VP sind den Zusammenhängen, Geschwindigkeiten, Abläufen nicht gewachsen, zerstören das, was sie aufbauen oder retten sollen. Scheiternd reden sie sich ein, das Grundproblem bereits, immer oder demnächst im Griff zu haben. Die Experimente sind gruseliger als die Zimbardos oder Milgrams, denn die jeweilige VP handelt frei, ungezwungen, keine beigestellte Autorität manipuliert sie weiterzumachen, egal, wie es den überantworteten Menschen dabei ergeht. Die lebensbedrohlichen, quälenden Interventionsfolgen werden vom Computertäter als notwendige Durchgangsphase deklariert.
3. Warum gibt es in der Schule kein Unterrichtsfach, das Helfen heißt, und warum im Fernsehen kein Friedensprogramm? Ein paar Stunden pro Woche. Auf jedem Sender die Analysen, was man wo tun kann, und in jeder Schule Helfen als Pflichtfach für da hier. Und warum wird nicht endlich – Herrschaftszeiten! – das präventive Sozialstaatsvolksbegehren wiederholt von 2002 (initiiert damals u. a. durch Frauenministerin Dohnal, den Volksschullehrer, Notfallchirurgen, Pflegeanwalt Vogt, den Ökonomen Schulmeister, den Theologen, Historiker Tálos)? Warum drücken sich SPÖ, ÖGB, AK, Armutskonferenz, Caritas, Diakonie, APO samt KPÖ permanent vorm Sozialstaatsvolksbegehren, verstärken so die Helferhilflosigkeit massiv, welche die Folge der Defekte und Defizite des Sozialstaats ist. Z. B. der Pflegenotstand in Wahrheit seit Jahrzehnten. Oder die Resozialisierung in der Jugendarbeit. Meine Erklärung des unsolidarischen Desasters, roten wie christlichen: der geschäftliche Konkurrenzkampf. Aber der wäre in Wirklichkeit der guten Sache wegen ja nur als gegenseitige Kontrolle und rechtzeitige, konsequente Fehlerkorrektur von Nutzen. (Im Sinne K. Poppers. Und der Dörner-Experimente, die früher grünes Basiswissen waren. Wie sehen Gesundheitsminister Anschober, Simulationsexperte N. Popper das?) Die Spielaufstellung ist zurzeit wie folgt: Entweder Kooperation oder Konkurrenz, entweder Prävention oder Pathologie. Richtig wäre z. B. Schonung. Schonen, sich, die anderen. Dadurch wird man leichter gesund. Nicht so leicht krank. Ein Lockdown im Sinne von Lessings Freund Moses Mendelssohn wäre das: Verschonet Euch untereinander!, hat der nämlich gesagt zu den Leuten.
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10.11. Ihre gebrauchten Masken tragen Mann wie Frau offen wie Schmuck am Handgelenk, Oberarm, Hals. Aber die Masken sind ja eigentlich benutzte Taschentücher oder Unterhosen. Derlei wechselt man oder wirft’s weg! In Österreich nicht. Da benimmt man sich auf Straßen, Plätzen, Einkauf, Geselligkeiten s. o. Bei uns ist auch der verordnete Mindestabstand am engsten: 1 m; in Deutschland 2. Die Maskenpflicht hier soll’s Distanzdefizit kompensieren und ist o. k. Die massenweis’ falsche Verwendung schweinisch + virulent. Die Leut’ können nichts dafür. Ihr Informationsdefizit ist politisch + medial. Dass die Politiker die Schuld an der Seuche jetzt der Bevölkerung geben, ist schamlos.
11.11. Die Ärztin, seit einem Jahr in Pension, telefoniert mit einem Freund (aktiven Spitalsarzt). Der sagt, horrend viele Leute kommen mit anderen Problemsymptomen in die zentrale Erstaufnahme, aber es ist SARS. Und dass so viele sterben. Die Pensionistin sagt, man suche nach pensionierten Ärzten & Pflegern. Sie könne nicht mehr. Die meisten Schwestern, Pfleger seien seit jeher mit 55 Jahren ausgezehrt, verheizt. Dazu jetzt das! & die jungen Kräfte haben Familie, Angst, dass die eigenen Lieben angesteckt werden, draufgehen. Das Politikergerede über Heldentum, Großartigkeit sei schäbig, Unfähigkeit.
12.11. Der Behindertenbetreuer erträgt die mediale Berichterstattung nicht. Die verwirre, zerstöre das Vertrauen, auf nichts könne man sich verlassen. Die Politiker werden nie wirklich zur Rede gestellt. Von Anfang an sei das unterlassen worden. Alles wurde immer unverständlicher, bedrohlicher. Seine Supervisorin, eine Therapeutin mit Mutter (im Heim), weiß auch keinen Rat außer Augen zu und durch, auf sich selber