Ein paar der Auswege, die Marterbauer, geboren 1965, Orter, geboren 1949, Vogt, geboren 1938, ihr Berufsleben lang zu erarbeiten und zu realisieren versucht haben, werden am heutigen Abend weitererzählt und öffentlich gewogen werden. Fritz Orter hat sich in den Gesprächen der Auswege-Reihe unter anderem gefragt, warum es kein Unterrichtsfach gibt, das Helfen heißt. An Marterbauer habe ich z. B. die Frage gestellt: Bevor es zu spät ist – was jetzt, was tun? Und an Vogt z. B. die Frage: Wie schützt man Menschen und wehrt sich selber?
Es geht sowohl bei Vogt als auch bei Orter als auch bei Marterbauer, meine ich, richtig verstanden zu haben, immer wieder darum, dass der Zweck selber das anzuwendende Mittel ist. Ich weiß nicht, ob Sie, sehr geehrte Damen und Herren, für die folgende Stelle Verwendung haben. Es ist ein Vogtzitat, dem Orter zugestimmt hat. Mit Vorbehalt von Ort und Zeit, aber doch voll und ganz. – Zitat Vogt: Das Ziel ist da tatsächlich der Weg. Auf die Weise erspart man sich und den anderen die zeit- und kraftraubenden Umwege, die zu nichts führen als in die Irre, und die Ausflüchte, die ohnehin danebengehen. Wenn das Ziel der Weg ist, braucht man und darf man nichts aufschieben. Das, was zu tun ist, wird dadurch getan, dass man es tut.
Mit anderen Worten: Der Rechtsstaat wird aufrechterhalten, indem man ihn aufrechterhält, die Demokratie wird dadurch praktiziert, dass man sie praktiziert, gelernt wird dadurch, dass man lernt, geredet miteinander wird dadurch, dass man miteinander redet, geholfen wird dadurch, dass man hilft. Was schadet, wird dadurch unschädlich gemacht, indem man es unschädlich macht. Nicht aufgegeben wird dadurch, dass man nicht aufgibt. Durchgesetzt wird etwas dadurch, dass man es durchsetzt. Gewollt wird dadurch, dass man will. Und so weiter.
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Um den Alltag geht es heute Abend, um nichts sonst. Als ich mich vorweg ein paar Wochen lang umgehört habe, um die Möglichkeiten des heutigen Abends zu verstehen, bin ich just angesichts des Alltags gefragt worden, ob es in Wahrheit nicht ganz offensichtlich eine Lüge sei, dass unser aller Lebenserwartungen inzwischen derartig hoch sind und künftig noch höher sein werden. Zwar hören, hieß es, die Leute verständlicherweise dankbar und liebend gerne, dass sie selber alt werden und ihre Kinder lang und wohlbehalten leben werden. Und die Leute glauben deshalb auch sofort, dass das jetzige Pensions- und Pensionsantrittssystem völlig falsch aufgestellt sei – aber sind in Wirklichkeit nicht die Unterschiede in der Lebenserwartung je nach Arbeits-, Wohn- und Lebensbedingungen beziehungsweise Schichtzugehörigkeit nach wie vor krass und gewaltig? Außerdem gebe es von der Statistik Austria ein Programm im Internet, das einem ausrechne, wann man sterben werde, man brauche einzig nur sein eigenes Geburtsdatum eingeben und sogleich erscheine einem per Mausklick das eigene Lebensende auf die Kommastelle genau. Wenn man in dieses Programm der Statistik Austria allerdings die Geburtsdaten seiner Kinder eingebe, werde man perplex sein, weil wahrscheinlich feststellen, dass die eigenen Kinder eine kürzere Lebenserwartung haben als man selber. Wie geht das denn alles akkurat mit dem zusammen, was die Gesundheits- und Pensionsökonomen in Permanenz medial reden und in Expertenmanier politisch anraten? – Und wieder jemand anderes wollte auf der Stelle wissen, ob es wirklich wahr sei, dass man als Kassenpatient ein höheres Infektionsrisiko bei Operationen habe als die Klassepatienten, weil die Klassepatienten üblicherweise früher am Morgen operiert werden, in noch frischsauberstem OP. Und ob man als Kassenpatient wirklich Gefahr laufe, eher den schlechteren Heimplatz zu bekommen denn als Klassepatient. Warum der ORF nicht ganz selbstverständlich – beispielsweise ausgehend von den Bemühungen Friedrich Orters um mediatorenartigen, die Konflikte bereits im Entstehen analysieren wollenden und dadurch aufzulösen versuchenden Journalismus –, warum also der ORF nicht ein Friedensprogramm entwickle, sozusagen ein Friedensformat, wurde auch gefragt. Und vor allem, wann die Filmdokumentation fertiggestellt und zu sehen sein werde, von der Orter im Auswege-Buch erzählt. Genannte Dokumentation handelt, soweit ich weiß, davon, wie die Schicksale waren und sind, also was aus den Menschen geworden ist, von denen er in den letzten Jahrzehnten mithilfe seiner Kamerateams berichtet hat, aus 14 Kriegen. Und wo er, ich weiß nicht, ob das in der Dokumentation vorkommen wird, zum Beispiel Zeuge war, als ein Mann in seinem Haus zu verbrennen drohte. Weil Orters Kamerateam filmte, wurde dieser Mann von den örtlichen Einsatzkräften gerettet, sonst hätte man ihn verbrennen lassen. Oder zum Beispiel ein Kind mit weggefetzten Beinen, der Vater hat es in den Armen gehalten; infolge der Anwesenheit des Orterschen Kamerateams und aufgrund des Nachrichtenberichtes wurde der Bub ausgeflogen und behandelt und lebt. Und zum Beispiel hat auch gerade Orters Berichterstattung aus Rumänien während der Revolution, vor allem aus Temeswar – wo er die Arbeit der Unfall- oder vielleicht besser gesagt Kriegschirurgen Poigenfürst und Vogt mit seinen journalistischen Mitteln unterstützte –, dazu beigetragen, dass damals die österreichische Rumänienhilfe weiterhin möglich und tatsächlich hilfreich war und es auch blieb. Und wenn Orter zum Beispiel die beklemmenden Sprüche wiedergibt, die diverse Mordende immer wieder zu ihm gesagt haben: Wir bringen dich nicht um, du gehörst zu uns oder etwa Wir bringen nur die um, die uns umbringen, hätte Orter (nicht bloß meiner Meinung nach, sondern auch der Meinung von mich Fragenden nach) durch diese Beschreibung der beklemmenden Kriegspsychologie Wesentliches zur Herstellung von Frieden beizutragen. Und genauso auch, wenn er unideologisch berichtet, worum es in den selbstverständlich auch medial eskalierenden Konflikten und Kriegen tatsächlich geht, z. B. in der Ukraine um den Korridor, um die Landversorgung der russischen Flottenverbände auf der Krim, also um den einzigen eisfreien Zugang. Und im Kosovo um die größte NATO-Basis in Südosteuropa. Und im nicht mehr existenten Syrien samt expandierendem IS um die noch Jahrzehnte andauern werdende Aufteilung des Landes vor allem zwischen den Iranern und den Saudis.
Um den Alltag geht es heute Abend, wie gesagt, um nichts sonst. Sollte Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, das, was ich für meinen Teil Ihnen bislang zugemutet habe, bereits zu viel geworden sein, insbesondere angesichts des permanenten Ausnahmezustandes, in den wir alle politisch, sozial und ökonomisch gerade eben zu geraten scheinen: Systematisches Auslachen oder auch systematisches innerliches Lachen hilft angeblich auch in solchen Situationen. Hahaha sofort gegen jede Angst, Hihihi, auf dass das Gehirn munter ist, Hehehe für die eigene Immunität und den eigenen Hals, Hohoho gegen Groll, fremden wie vergeblichen eigenen, und Huhuhu fürs Gedärm in jeglicher Hinsicht. HahaHeheHihiHohoHuhu. Der Gewerkschafter Saul Alinsky zum Beispiel hat öffentlich viel gelacht. Hillary Clinton hat über ihn dissertiert. Ihre Abschlussarbeit ist jetzt seit vielen Jahren schon weggesperrt und öffentlich nicht mehr einsehbar. Nicht weil Frau Clinton zur Erlangung ihrer Graduierung geschwindelt hätte, sondern des bösen Blutes in den Wahlkämpfen wegen. Als der trotz allem doch lustige Alinsky (geboren 1909, gestorben 1972) auf Bitten und mit Geldern amerikanischer Kirchen in Oakland in einem Ghetto den Widerstand gegen die Lebensbedingungen zu organisieren sich bereit machte und Oakland betreten wollte, ließen ihn die Stadtväter von Oakland nicht einreisen, sondern schickten ihm ein 17 Meter langes Seil, auf dass er sich am nächsten Baum aufhängen möge. Möglichst hoch und für alle sichtbar solle er das tun. Alinsky schickte der Stadtregierung als Antwort auf diese ihre offene Lynchdrohung eine große Packung Windeln und betrat, den Verfassungsbruch der Stadtregierung symbolisch verspottend, Oakland höchst medienwirksam mit seiner amerikanischen Geburtsurkunde in den Händen. Alinsky galt zu Lebzeiten als einer der radikalsten und zugleich durchsetzungsklügsten Gewerkschafter der USA. Er war studierter Archäologe und Kriminologe. Seine Befürworter bewundern nach wie vor seine Fähigkeit, politisch Machtlose dazu zu bringen, den Spieß umzudrehen und sich erfolgreich zur Gegenmacht zu entwickeln. Allein Alinskys hierzulande – trotz 40 % Nichtwählern – fälschlich vielleicht als banal anmutende öffentliche Ankündigung, man werde die amerikanischen Nichtwähler dazu bringen, ihr demokratisches Recht wahrzunehmen und sich für die Wahlen regelmäßig als Wähler registrieren zu lassen, versetzte die amerikanischen Politiker seiner Zeit in Schrecken und machte sie sehr schnell kooperationsbereit. Geldmacht könne und müsse durch Menschenmacht gebrochen werden, gegen das viele Geld können die vielen Menschen viel ausrichten, und zwar nur sie; das war Alinskys Prinzip. Wie weit Alinskys demokratischer und rechtsstaatlicher Radikalismus von europäischen Gewerkschaftern strategisch aufgearbeitet wurde, entzieht sich völlig meiner Kenntnis. Rund um das Jahr 1968 war Saul Alinsky jedenfalls sowohl in den Protestbewegungen der USA als auch Mittel- und Westeuropas eine der kleinen Ikonen fürs Wesentliche. Sozusagen das damalige linke internationale Pendant zum jetzigen hiesigen Raiffeisen-/Herrn