Wohlensee. Thomas Bornhauser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Bornhauser
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783038182801
Скачать книгу
sich von der Türe zu entfernen.

      Vorsichtig betraten die Ermittler die Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung, wo sie wenige Augenblicke später hinter einer Türe einen Toten sahen, der nicht erst seit heute am Boden lag, inmitten eines einzigen Durcheinanders. Moser ging direkt auf zwei Fenster im Wohnzimmer zu, um sie zu öffnen. Ohne miteinander zu sprechen, wussten sie, was zu tun war. Keine halbe Stunde später glich der Kappelenring 7 einer belagerten Festung. Vor dem Haus standen mehrere Autos der Blaulichtorganisationen, aber auch zivile Fahrzeuge. Der Zugang zum Gebäude war abgesperrt, hinter den rotweissen Kunststoffbändern drängten sich die Schaulustigen. Das Parterre mit drei weiteren Wohnungen wurde isoliert, zumal niemand auf das Läuten reagierte, was vermuten liess, dass alle Parteien bei der Arbeit oder in den Ferien waren. Der Zugang zum Lift blieb frei.

      Da sich der Gestank bis zum Eintreffen der Spezialisten dank den jetzt offenen Fenstern im Wohnzimmer leicht verflüchtigt hatte, konnten alle ihre Arbeit aufnehmen. Veronika Schuler, nach nur wenigen Stunden Schlaf, kniete mit einer Assistentin neben der Leiche, um sie oberflächlich zu untersuchen, Eugen Binggeli und Georges Kellerhals waren auf Spurensuche, Stephan Moser versuchte, Mieter auf den übrigen Etagen zu möglichen Beobachtungen zu befragen, Elias Brunner wiederum sprach mit Herrn Hänni und Silvia Zimmermann, fragte sie, ob sie eine spezielle Betreuung benötigen würden, was diese verneinten. Beide verliessen kurz danach den Kappelenring 7 mit der Zusage, mit niemandem im Detail über das Gesehene zu sprechen. Minuten später traf auch Gabriela Künzi vom Mediendienst der Kantonspolizei Bern ein. Regula Wälchli erhielt von Joseph Ritter den Auftrag, von Magglingen aus direkt nach Hinterkappelen zu fahren, um ihre beiden Kollegen zu unterstützen.

      Aufgrund der Umstände war rasch klar, dass die auf 14.00 Uhr angesetzte grosse Informationsrunde sich auf ein besseres Tête-à-tête reduzieren würde, ein eher kurzes, mit Joseph Ritter, Staatsanwalt Max Knüsel, Kapokommandant Christian Grossenbacher und Ursula Meister vom Mediendienst. Der Dezernatsleiter Leib und Leben wurde unmittelbar vor der Sitzung von seinen Leuten über den neuesten Stand der Dinge in Hinterkappelen informiert. Als Erster verliess der Staatsanwalt der Runde, mit seinem inzwischen bekannten «Ritter, halten Sie mich auf dem Laufenden», was dazu führte, dass sich Ritter und Meister belustigt zuzwinkerten.

      «Christian, kannst du das grösste ungelöste Rätsel der Menschheit lösen?», wollte Joseph Ritter vom Polizeikommandanten wissen.

      «Wenn du mir das zutraust, gerne.»

      «Wer ist dieser Max Knüsel eigentlich, ich meine, privat?»

      «Ihr seid doch die Ermittler… Aber ich helfe gerne auf die Sprünge. Er wohnt zusammen mit Laika in Stettlen.»

      «Er ist verheiratet?»

      «Nein, Laika ist seine Hündin, er nennt sie nach der ersten Hündin im Weltall. Meines Wissens ist er geschieden und hat keine Kinder. Ich selber weiss auch nicht viel über ihn. Fährt anscheinend einen Oldtimer, wenn er nicht gerade mit dem ÖV unterwegs ist. Aber wieso die Frage?»

      «Einfach so. Denn obwohl wir schon jahrelang mit ihm zusammenarbeiten, wissen wir wenig über ihn. Aber stimmt, zur Verlobungsfeier von Regula und Elias ist er allein gekommen. Auch ohne Laika.»

      Hinterkappelen am frühen Morgen im Februar.

      «J. R., der Mann ist ein Workaholic, jede Wette, dass er einmal Generalprokurator wird. Mehr kann ich beim besten Willen nicht sagen.»

      «Immerhin. Danke, Christian», sagte Ritter, worauf sich der Polizeichef ebenfalls verabschiedete.

      Die folgenden Minuten benutzten Joseph Ritter und Ursula Meister, um die Kommunikation für den späteren Nachmittag zu besprechen. Ursprünglich war ja vorgesehen, eine Medieninformation durchzuführen. An dieser hielt Ursula Meister nach wie vor fest, auch angesichts der neuesten Entwicklung. Sie erklärte ihren Entscheid damit, dass die Informationen somit gezielt kanalisiert werden konnten. Denn: Zwar waren die beiden Gewaltverbrechen innerhalb nur weniger Tage praktisch am gleichen Ort ungewöhnlich, den offensichtlichen Zusammenhang zwischen Elchin Guseinow, dem Kotzbrocken, und Karl-Heinz Becker kannte indes niemand, mit Ausnahme der Ermittler und Spezialisten. Für Ursula Meister, auf dem Sprung zu ihrer Kollegin Gabriela Künzi nach Hinterkappelen, schien klar, dass die Journalisten selber einen vermuteten Zusammenhang zwischen den beiden Fällen konstruieren würden.

      «Gabriela und ich schaffen die Sache allein, J. R., du brauchst nicht zwingend dabei zu sein.»

      «Ursula, zum einen hatte ich noch nie Grund, an eurer Kompetenz zu zweifeln, zum anderen danke ich dir, dass ich im Büro bleiben kann. Ich will via Fedpol, eventuell auch via Bundesanwaltschaft, herauszufinden versuchen, was es mit der Niederlassung von Becker auf sich hat. Eine komische Sache.»

      «J. R., man muss keine Prophetin sein, um zu wissen, was bei uns ablaufen wird: Die Elektronischen und die Boulevardblätter werden in erster Linie selber zu recherchieren versuchen und mit Nachbarn sprechen, weil von uns nebst den bekannten Fakten zur Auffindung der beiden Leichen nur ein ‹Wir ermitteln in alle Richtungen› kommen wird. Die Vertreter der Tagespresse hingegen haben ein paar Stunden mehr Zeit, ich bin selber gespannt, was da alles zu hören, zu sehen und zu lesen sein wird.»

      Eine Viertelstunde später musste sich Ursula Meister regelrecht eine Gasse durch eine Menschentraube vor dem Kappelenring 7 bahnen. Und per Zufall hörte sie im Vorbeigehen Wortfetzen einer Frau, die mit einem Journalisten von «20 Minuten» sprach, den sie kurz grüsste, ohne stehen zu bleiben und ihm somit die Illusion nahm, dass sie selber mit ihm reden würde. «Mein Mann beobachtet Vögel…, der Polizei heute Morgen gesagt….» Ganz klar: Frau Rindlisbacher hatte ein offensichtliches Mitteilungsbedürfnis. Ob ihr Mann Lukas davon wusste? Wie auch immer: Damit musste man rechnen. Immerhin war es von Vorteil zu wissen, welche Fragen an der Medieninformation gestellt werden konnten.

      Minuten später standen die beiden Kommunikationsspezialistinnen vor der Wohnung «Becker», wo man im Innern die Leute bei ihrer Arbeit sah. Noch immer drang ein wenig appetitlicher Geruch aus der Wohnung, weshalb alle, inzwischen auch die Kollegen Brunner und Moser, die bekannten weissen Überzüge trugen, samt Gesichtsmasken, denn man wusste nie, was für Infektionsherde sich um oder in einer Leiche versteckten. In diesem Moment gesellte sich Elias Brunner zu den beiden Frauen.

      «Mon Dieu! War das ein Gestank!»

      «Elias… war?»

      «Ja, denn wie es jetzt noch stinkt, das ist kein Vergleich zu vorher. Die Assistentin von Veronika musste sich sogar übergeben, eher ungewöhnlich in der Rechtsmedizin, aber die Gute ist ja noch nicht sehr lange dabei… Ich erspare euch Details.»

      «Ist der Tote dieser Karl-Heinz Becker?»

      «Eine heikle Frage. So, wie er da liegt, kann man der Hauswartin keine Identifizierung zumuten. Iutschiin und Schöre suchen in diesem Durcheinander gezielt nach einem Foto des Mannes, damit sie einen provisorischen Abgleich vornehmen können, um sicher zu sein, dass er unsere Leiche ist, dann erst bitten wir Frau Zimmermann um eine erste Einschätzung.»

      «Und Veronika, was sagt sie zu den Todesumständen?»

      «Liiiiiiiiiiiiiebe Ursula, was wird sie schon gross sagen wollen? Einmal nur darfst du raten.»

      «Weitere Informationen nach der Autopsie.»

      «Volltreffer. Immerhin schränkt sie die Tatzeit schon einmal ein, mit Einbezug der hohen Zimmertemperatur. Mindestens vier, höchstens sechs Tage. Was heisst, dass…»

      «…was heisst, dass der KB für die Tat nicht in Frage kommen kann», schaltete sich Gabriela Künzi in Richtung Elias Brunner dazwischen.

      «An deinem messerscharfen Verstand werden wir uns noch einmal alle schneiden, Gabriela. Genau das heisst es», liess sich Elias Brunner verlauten.

      Die Ermittler gingen nämlich davon aus, dass die übereinstimmenden Beobachtungen von Lukas Rindlisbacher und Herrn Kim sowie die Aussagen von Veronika Schuler und des KTD den Schluss zuliessen, dass KB am späten Abend des 21. Januar zu Tode kam. In diesem Moment traten