Wenn wir schreiben, Sie hätten bereits alles, was Sie brauchen, um gute Eltern zu sein, wollen wir damit natürlich nicht behaupten, dass Ihre Instinkte immun gegen negative Einflüsse wären oder es keine Störfaktoren in der äußeren Welt gäbe. Wie Ihre Eltern oder andere Bezugspersonen Sie aufzogen hat Ihren eigenen Bindungsstil genauso geprägt, wie Ihre Erziehung den Bindungsstil Ihrer Kinder prägen wird. Das gilt für uns alle, und wir alle haben, je nach Bindungsstil, ein Quäntchen Unsicherheit in Bezug auf bestimmte emotionale Bedürfnisse. Zwar sind Sie sich dieser Einflüsse nicht unbedingt bewusst, da sie in Erinnerungen abgespeichert sind, die in das vorsprachliche Alter zurückreichen, aber erstaunlicherweise hat Ihr Baby ein angeborenes Gespür dafür und versucht möglicherweise, Sie vor unangenehmen Gefühlen zu schützen, indem es so tut, als hätte es bestimmte Bedürfnisse nicht. In diesen Bereichen werden Sie wahrscheinlich Schwierigkeiten haben, und diese übertragen sich oft auf die nächste Generation. Wenn Sie diese Tendenzen mit Hilfe von Kapitel 5 und 6 an die Oberfläche bringen, können Sie Ihre Kinder und Enkelkinder davor bewahren, dass sie mit den gleichen Aspekten des Elternseins Schwierigkeiten haben werden. Wenn Sie wissen, wie hinter Ihren eigenen Kulissen die Fäden gezogen werden, können Sie sich aktiv dafür entscheiden, Ihrem Kind Sicherheit zu geben.
Viele Menschen, die den Kreis der Sicherheit kennenlernen, stellen fest, dass Ihr neu gewonnenes Verständnis über die wichtige Bindung zwischen Eltern und Kindern bereits das Wesentlichste ist, was sie brauchen, um sich für Sicherheit zu entscheiden. Wenn Stress oder Verwirrung entstehen, ziehen sie einfach ihre mentale Karte des Kreises hervor (oder schauen auf den Ausdruck, den sie sich an den Kühlschrank geheftet haben). Doch manchen Menschen fällt dieser Prozess auch weniger leicht (und wir alle finden ihn zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Situationen schwierig). Diese Menschen sind sich meist bewusst, dass Sicherheit in ihrer eigenen Vergangenheit nicht immer gegeben war. Für sie ist es wichtig, genauer herauszufinden, was ihnen im Wege steht – wobei herauszufinden, was uns im Wege steht, natürlich für uns alle enorm erhellend sein kann. Dieses Interesse zu entwickeln und die verborgenen Alarmglocken zu entdecken, die durch Erfahrungen in unserer eigenen Kindheit ausgelöst werden, ist etwas, worin Sie der zweite Teil des Buches unterstützt. Sie finden darin Fragebögen zur Selbsterkundung und weitere Beschreibungen, wie Bindung in ihren zahlreichen Variationen aussehen kann. Wir stellen Ihnen verschiedene Eltern und Kinder vor, die den so wichtigen Prozess der Bindung von der frühesten Kindheit an bis ins Jugendalter durchlaufen. Sie werden sehen, dass wir alle unsere Schwierigkeiten haben und Fehler machen, und Sie werden sehen, wie wir unsere Fehler wiedergutmachen und unsere Kinder darin unterstützen können, sich gesund zu entwickeln.
Willkommen im Club!
Einmal im Kreis herum
Bindung und die Bedeutung von Sicherheit verstehen
Du glaubst, weil eins und eins zwei ergeben, verstehst du zwei. Aber um das Wesen von zwei wirklich zu begreifen, musst du zuerst das „und“ verstehen.
JALALUDDIN RUMI,
Dichter und Gelehrter aus dem dreizehnten Jahrhundert
Bindung:
Warum sie wichtig ist
In ganz gewöhnlichen Momenten zwischen Eltern und Kindern geschieht etwas durchaus Bemerkenswertes:
Danny wartet auf das aufmunternde Lächeln und Nicken seiner Mutter, bevor er zu den anderen Kindern in den Sandkasten klettert.
Die einjährige Emma beruhigt sich augenblicklich, als ihr Vater sie auf seinen Schoß hebt, obwohl er weiter auf seinem Telefon herumtippt und das kleine Mädchen kaum ansieht.
Jake hört auf, auf seine Spielzeugtrommel einzuschlagen, nachdem seine Mutter nicht länger von ihm verlangt, sie wegzulegen, sondern stattdessen ausruft: „Wow, du hast ja ein tolles Rhythmusgefühl, mein Lieber!“
Momente wie diese sind ebenso alltäglich wie schnell vergessen, meist bleiben sie sogar unbemerkt. Doch was sich den Kindern durch viele solcher kleiner Momente einprägt, ist ausgesprochen tief greifend. Jedes Mal, wenn Sie auf das Bedürfnis des Kindes nach Geborgenheit oder nach Ermutigung eingehen, knüpfen Sie ein Band des Vertrauens. Jedes Mal, wenn Sie dem Kind zeigen, dass Sie verstehen, wie es sich fühlt und was es will, demonstrieren Sie die Kraft einer ursprünglichen Verbundenheit, nach der wir alle uns unserem Wesen nach sehnen. Jedes Mal, wenn Sie Ihr Baby oder Kleinkind darin unterstützen, mit all den unangenehmen Gefühlen und der Frustration umzugehen, die ein neues Menschenkind erlebt, lehren Sie es, seine eigenen Gefühle sowie auch die anderer Menschen zu akzeptieren (sogar die „unschönen“).
Das sind die Geschenke einer sicheren Bindung. Eine sichere Bindung entsteht in einem Kind von selbst, wenn ein Elternteil oder eine andere primäre Bezugsperson in der Lage ist
• dem Kind zu helfen, sich sicher zu fühlen, wenn es Angst hat oder sich unwohlfühlt
• dem Kind zu helfen, sich sicher genug zu fühlen, um die Welt zu erkunden, was essenziell für sein Wachstum und seine Entwicklung ist
• dem Kind zu helfen, seine emotionale Erfahrung zu akzeptieren und damit umzugehen
Sowohl Eltern als auch Kinder haben die Veranlagung, sich zu binden. Die Entwicklung dieser besonderen Verbundenheit beginnt schon vor der Geburt, und wunderbarerweise kommt Ihr Baby mit dem starken Instinkt auf die Welt, Ihnen nahe sein zu wollen. Dazu reicht ihm nicht einfach irgendein Erwachsener, auch wenn theoretisch viele Erwachsene die Nahrung, die Wärme und den Schutz bieten könnten, die zum physischen Überleben des Babys notwendig sind. Aus jahrzehntelanger Forschung lässt sich schlussfolgern, dass ganz kleine Babys sich augenblicklich in das Gesicht der Mutter oder des Vaters verlieben, denn obwohl sie es noch kaum scharf sehen können, können sie doch bereits die Liebe und die Hingabe der Eltern spüren. Das ist der Mensch, so ahnt das Baby, der für mich da sein wird. Das ist jemand, der mir helfen wird, diese verwirrende neue Welt zu verstehen und das Gute darin zu finden.
Was uns als Eltern verbindet, ist, dass wir alle Gutes für unsere Kinder wollen – Liebe und Mitgefühl, Verständnis und Akzeptanz, Sinn und Erfüllung. Und die Kinder wollen und brauchen Gutes von uns, wenn sie auf die Welt kommen. Eine unserer wichtigsten Mentorinnen, die Entwicklungspsychologin Jude Cassidy definierte (gemeinsam mit dem Sozialpsychologen Phillip Shaver) Bindungssicherheit als „Vertrauen in die Möglichkeit des Guten“. Unserer Meinung nach geht es genau darum. Wir wollen für unsere Kinder das, was gut, wirklich notwendig und erfüllend ist. Und mit genau diesem Wunsch kommen sie auch auf uns zu – auf ihre einzigartige, wunderbare, immer frische und oft auch fordernde Art und Weise. „Bitte hilf mir, in das Gute in dir, das Gute in mir und das Gute in uns zu vertrauen.“ Und dazu sind wir ja schließlich da.
Die große Bedeutung des kleinen Wörtchens „Und“
Wir alle beginnen unser Leben in tiefer Verbundenheit mit einem anderen Menschen, nicht allein. Das heißt nicht nur, dass das gemeinsame Bewohnen eines Körpers vor der Geburt eine Bindung zwischen Müttern und Babys schafft, die zumeist auch danach bestehen bleibt. Babys entwickeln ebenso eine Bindung an ihre Väter, ihre Großeltern oder