2.6 Abweichungen von der klassischen Definition
Wie oben beschrieben, ist die MIH klassischerweise für die Molaren und Inzisiven definiert. Mittlerweile wurden MIH-charakteristische Defekte vereinzelt auch an anderen bleibenden Zähnen (7er, 5er, 3er) beobachtet11,12. Diese Hypomineralisationen können dabei sowohl in Kombination mit einer klassischen MIH auftreten als auch nicht. Bislang sind die wissenschaftlichen Daten hierzu allerdings spärlich.
In einer griechischen Untersuchung12 bei 1156 14-jährigen Jugendlichen, von denen 21,1 % eine klassische MIH aufwiesen, konnte gezeigt werden, dass 48,1 % zusätzlich mindestens eine Hypomineralisation an einem anderen Zahn aufwiesen. Zudem zeigten 16,2 % der nicht von einer klassischen MIH betroffenen Kinder Hypomineralisationen an anderen permanenten Indexzähnen. Deren Häufigkeit war nach Zahntyp wie folgt: zweiter Molar 33,7 %, Eckzahn 25,7 %, erster Prämolar 23,6 %, zweiter Prämolar 17,0 %.
Die Abbildungen 2-18 bis 2-20 zeigen exemplarisch die beschriebenen möglichen Variationen. Des Weiteren können sich Hypomineralisationen auch an Milchzähnen finden. Am häufigsten betroffen sind dann die zweiten Milchmolaren (siehe Kapitel 17) mit/ohne Einbezug der Milcheckzähne (Abb. 2-21). Die strukturgeschädigten Zähne zeichnen sich ebenfalls klinisch durch eine Veränderung in der Transluzenz des Schmelzes aus. Aufgrund ihrer beachtlichen Prävalenz weltweit hat sich dafür im Rahmen der Forschung ein eigener Terminus etabliert. Solch ein Befund wird als Milchmolaren-Hypomineralisation (MMH) bezeichnet.
Abb. 2-18 Zusätzliche Hypomineralisation bei einem oberen permanenten Eckzahn bei einer Patientin mit MIH. An Zahn 21 ist ebenfalls die klassische Opazität zu erkennen.
Abb. 2-19 MIH-Patientin, die neben dem Befall am Zahn 36 zusätzlich eine abgegrenzte Opazität am Zahn 37 aufweist.
Abb. 2-20 12-jähriger Patient mit hypomineralisiertem zweitem Molaren in Kombination mit dem Befall einzelner Prämolaren. a) OK-Aufsicht: die Zähne 17, 27 und 14 mit Hypomineralisationen. b) UK-Aufsicht: die Zähne 37, 47 und 35 mit Hypomineralisationen.
Abb. 2-21 Hypomineralisierte zweite Milchmolaren im Oberkiefer einer 3-jährigen Patientin. Die Milchmolaren weisen neben einer Opazität auch erste posteruptive Schmelzverluste auf.
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Um die Pathogenese der MIH besser verstehen zu können, ist es unabdingbar, die strukturellen, mechanischen und chemischen Unterschiede von hypomineralisiertem Zahnschmelz im Vergleich zu gesunder Zahnhartsubstanz zu kennen und zu verstehen. Im vorliegenden Kapitel werden zunächst die Prozesse einer normalen Amelogenese beschrieben, bevor auf die Besonderheiten von verändertem MIH-Schmelz eingegangen wird.
Ausgereifter Zahnschmelz ist das am stärksten mineralisierte und härteste Gewebe des menschlichen Körpers. Er besteht zu 95 % aus anorganischer Substanz (Kalzium und Phosphat in Form von Hydroxylapatit), zu 1 % aus organischer Substanz und ca. 4 % aus Wasser1. Somit weist Schmelz eine fast reine kristalline Struktur auf. Der kristalline Anteil besteht vorwiegend aus Kalzium und Phosphor. Zudem sind geringe Anteile von Natrium, Magnesium, Chlor und Kalium enthalten. In ausgereiftem Zahnschmelz findet sich zusätzlich eine Reihe von Spurenelementen