Abb. 4-1 Weltweite MIH-Prävalenz (Quelle: Schwendicke et al.1; mit freundlicher Genehmigung von Elsevier). a) Regionale Ebene. b) Mittlere Anzahl der prävalenten Fälle im Jahr 2015. c) Mittlere Anzahl der auftretenden Fälle im Jahr 2016 auf Länderebene.
Ein etwa zeitgleich publiziertes Review5 mit einem etwas anderen Berechnungskonzept und 70 eingeschlossenen Studien ermittelte eine gepoolte internationale Prävalenz von 14,2 %. Die Prävalenzdaten der Länder liegen hier zwischen 0,54 und 40,2 %3. Dabei identifizierten die Autoren ebenfalls die höchsten Prozentzahlen für das Vorkommen der Krankheit in Südamerika.
Beide Übersichtsarbeiten konnten keinen signifikanten Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Patienten finden.
Die Zahl der weltweit Betroffenen wurde 2015 auf 878 Millionen Menschen geschätzt1. Der höchste Verbreitungsgrad wurde dabei in Süd- und Ostasien sowie Nordamerika ermittelt. Aufgrund ihres Bevölkerungsreichtums trugen vor allem Indien, China und die USA stark zur globalen Krankheitslast bei1,2. Die Anzahl der Neuerkrankungen für das Jahr 2016 wurde mit 17,5 (15,8 bis 19,4) Millionen berechnet. Maßgebend waren hier erneut Süd- und Südostasien (Indien, Indonesien, Pakistan), aber auch afrikanische Länder1,2.
Neben den reinen Prävalenzzahlen ist weiterhin von Interesse, welche Schweregrade einer MIH in den einzelnen Populationen vorhanden sind und wie hoch der Behandlungsbedarf einzuschätzen ist. Es ist anzunehmen, dass Patienten mit kleinen Opazitäten und ohne Schmerzsymptomatik wahrscheinlich eine geringere Behandlungsnotwendigkeit aufweisen als solche mit Überempfindlichkeiten und großflächigen Schmelzeinbrüchen. Auch hierzu sind Daten verfügbar. So wird der Anteil der Betroffenen, die unter Schmerzen, Hypersensibilitäten oder posteruptiven Schmelzeinbrüchen leiden, mit 27,4 % (23,5 bis 31,7 %) beziffert1,2. Nimmt man an, dass es global 13 % von MIH betroffene Patienten gibt, kann somit geschlussfolgert werden, dass mindestens ca. 3 bis 4 % der weltweiten Bevölkerung eine MIH aufweisen, die entweder bereits therapiert wurde oder noch therapiebedürftig ist. Aufgrund der Anzahl der weltweit berechneten Neuerkrankungen pro Jahr bedeutet dies, dass global gesehen pro Jahr mit 5 Millionen neuen Behandlungsfällen gerechnet werden muss.
Für Deutschland liegen verschiedene regionale Untersuchungen und Städtestudien vor, in denen die Prävalenz der MIH analysiert wurde. Eine Zusammenfassung der Daten findet sich in Tabelle 4-1.
Tabelle 4-1 Prävalenzen und Schweregrade der MIH in Deutschland
Die erste Studie stammt bereits aus dem Jahr 2003 – 2 Jahre nach der Erstdefinition des Krankheitsbilds – und wurde in Dresden durchgeführt6. Hier wurden 2408 Kinder im Alter von 10 bis 17 Jahren im Rahmen von Schuluntersuchungen befundet. Die Prävalenz lag bei 5,6 %. Zu 84,5 % wurde dabei eine milde Form der MIH diagnostiziert. Bei den betroffenen Kindern waren im Durchschnitt 4,8 hypomineralisierte Zähne zu finden. Bei etwa der Hälfte davon (2,2 Zähne) handelte es sich um die ersten Molaren.
In 28,1 % der Fälle waren alle vier Molaren von der Hypomineralisation betroffen.
Gut 10 Jahre später wurden zeitgleich vier Städte hinsichtlich ihrer MIH-Prävalenz analysiert7,8. In Greifswald, Hamburg, Düsseldorf und Heidelberg konnten insgesamt 2395 Kinder im Alter von 7 bis 10 Jahren untersucht werden. Die durchschnittliche Prävalenz lag hier bei 10,1 %. In der Detailanalyse zeigte sich jedoch, dass starke Differenzen im Städtevergleich beobachtet werden konnten. Die höchsten Daten wurden für Düsseldorf und Hamburg mit 14,6 % bzw. 14,0 % ermittelt, Greifswald zeigte den niedrigsten Wert mit 4,3 % und Heidelberg lag bei 6,0 %. Eine Erklärung konnte hierfür nicht gefunden werden. Die durchschnittliche Anzahl der von MIH betroffenen permanenten Zähne betrug bei den Kindern mit MIH 2,8 (± 1,7). Als häufigster klinischer Befund imponierten umschriebene Opazitäten (82,8 %). Posteruptive Schmelzeinbrüche wurden in 10,2 % der Fälle und atypische Restaurationen in 6,9 % der Fälle entdeckt. Die Zahl der fehlenden Zähne aufgrund einer MIH wurde mit 4,1 % beziffert.
Weitere regionale Daten liegen aus dem gleichen Jahr von einer anderen Autorengruppe für München vor9. Hier wurden 693 Kinder aus einer laufenden Geburtskohortenstudie (GINIplus-10) zu ihrem 10-Jahres-Follow-up zahnärztlich untersucht. Es fand sich eine Korrelation zwischen betroffenen und untersuchten Molaren von 14,7 %.
Ein erstes bundesrepräsentatives Bild konnte mit der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V)10 gezeichnet werden. Ihr zufolge weisen 28,7 % der 12-Jährigen mindestens einen Molaren mit einer begrenzten Opazität auf. Diese Zahl erscheint auf den ersten Blick recht hoch. Allerdings sollte die Interpretation der Datenlage mit angemessener Umsicht erfolgen: Eine hohe Prävalenz impliziert nicht automatisch auch eine hohe klinische Relevanz. So liegt bei den untersuchten Probanden mit MIH überwiegend (81,0 %) ein geringer Ausprägungsgrad vor, großflächige Schmelzeinbrüche wurden nur in seltenen Fällen beobachtet. Dennoch verlangt diese deutliche Prävalenz auch in Deutschland eine Intensivierung der Forschung über Ursachen und Vermeidung der MIH.
Kürzlich publiziert wurden zudem Daten für Hessen11. Im Schuljahr 2014/2015 wurden an fünf Schulen in Frankfurt am Main und neun Schulen im ländlichen Raum (Lahn-Dill-Kreis) 2103 6- bis 12-jährige Kinder im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen jährlichen schulischen Zahnarztprüfung untersucht. Die Prävalenz der MIH betrug bei den untersuchten Kindern 17,4 % für Frankfurt und 9,4 % für den Lahn-Dill-Kreis. In der Mehrzahl der Fälle zeigten sich im Erscheinungsbild abgegrenzte Opazitäten. Für den Lahn-Dill-Kreis liegen zudem Ergebnisse aus den Untersuchungen von 2002/2003 vor. Damals wurde die Prävalenz mit MIH 5,9 % beziffert, sodass sich ein Anstieg zu den aktuellen Daten um 3,5 % ergibt.
Schwendicke et al. schätzten im Jahr 2018 für Deutschland die Anzahl der Betroffenen auf knapp 10 Millionen1,2. Die Inzidenz wurde mit über 82 200 beziffert.
Die geschätzte