Als Lehrerin bekomme ich ein gutes Gehalt und kann mir deshalb auch einen relativ hohen Lebensstandard leisten. Reich bin ich allerdings nicht und ich kenne auch keine reichen Lehrer, nur Lehrer, die viel arbeiten und viele Ferien haben. Das Zweite ist zumindest eine häufig gehörte Äußerung von Mitmenschen, die Lehrer oft mit der Gegenfrage kommentieren: „Warum sind Sie oder bist du dann nicht selbst Lehrer geworden?“
Zugegeben, die Antworten fallen verschieden aus, aber auf mangelnde Intelligenz ihrerseits führen sie das eher weniger zurück. Im Gegenteil, man hört dann auch manchmal die Feststellung: „Mit mehr Intelligenz hätten manche Lehrer auch einen anderen bzw. besser bezahlten Beruf lernen können.“ Aber Geld ist eben auch nicht alles, was man zum Beispiel als Immobilienmakler, Finanzmanager, Banker oder Versicherungsvertreter reichlich verdienen kann. Damit hatte ich nie etwas am Hut, vielleicht, weil man dazu auch Mathematik braucht. Doch der Hauptgrund ist eher der, dass ich lieber Kindern und Jugendlichen etwas geben will (Wissen), anstatt ihren Eltern etwas wegzunehmen (Geld). Ich muss aber auch ehrlich zugeben, dass ich für die oben genannten Berufe ebenfalls kein Talent und keine Ambitionen habe. Natürlich gibt es noch ein paar andere Varianten für Berufsziele, die dazwischenliegen wie Frisörin, Verkäuferin, Bäckerin, Sekretärin oder Krankenschwester. Das wollte ich jedoch auch nie werden, vielleicht weil mir ihr ewig langer Arbeitstag nicht zusagte, aber auf den Köpfen anderer Leute wollte ich zum Beispiel auch nie arbeiten (Frisörin). Lieber wollte ich versuchen, in die Köpfe etwas hineinzubringen. Dafür nahm ich in Kauf, dass meine Schüler mir manchmal auf dem Kopf herumtanzten.
Ich war schon immer ehrgeizig, habe mir so das Abitur erkämpft und mein späteres Lehrerstudium durchgehalten, was nicht immer einfach war. Finanziell hätte ich mir das nie leisten können, da meine Eltern nicht viel Geld hatten und ich noch drei Geschwister habe. Und Kinder machen ja bekanntlich nicht nur Freude, sondern kosten ihren Eltern auch viel Geld.
Zum Glück hatte ich aber eine Großmutter, die mir regelmäßig Taschengeld zuschob, so dass ich nur zu lernen brauchte und nicht nebenbei arbeiten musste wie zum Beispiel meine vier Jahre jüngere Schwester, die sich ihr Lehrerstudium durch Kellnern finanzierte. Beinahe hätte ich aber alles hingeschmissen, und zwar, als meine Freundin, mit der ich mein Studium begann, dies tat und sich stattdessen auf die Erziehung ihres Kindes konzentrierte, das ich aber damals noch nicht hatte. Sie hat dann später in einem Energiebetrieb gelernt und gearbeitet und nach der Wende immer mehr Geld verdient als ich, worum ich sie manchmal beneidete. Seit sechs Jahren ist sie nun im Vorruhestand und lässt es sich zu Hause gut gehen, worum ich sie nicht mehr beneide. Für mich wäre dieses Leben einfach (noch) keine Option, da mich meine Arbeit ausfüllt und herausfordert.
Ich bin Deutsche, was ich erst seit dem vereinten Deutschland sagen darf, bis dahin war ich „nur“ DDR-Bürgerin und glaubte, in einer deutschen demokratischen Republik zu leben. Doch es war eine vermeintliche Volksherrschaft (aus dem Griech.), in der zwar die vom „Volk“ gewählten Vertreter die Herrschaft ausübten, der Wille des Volkes aber oft auf der Strecke blieb. Gleichzeitig war die DDR offiziell eine Diktatur, nämlich die des Proletariats. Wir Ostdeutschen hatten keine Wahl, welcher Partei wir unsere Stimme geben sollten, denn es gab quasi nur eine Partei, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED). Die anderen spielten nur eine untergeordnete Rolle. Unsere „Wahl“ bestand kaum darin, wählen zu gehen oder nicht, denn als „Nichtwähler“ war man so manchen Repressalien ausgesetzt. Das andere Deutschland, die damalige BRD, war für mich und die meisten Ostdeutschen kapitalistisches Ausland und ein unerreichbares Territorium. Die SED und das Ministerium für Staatssicherheit prägten sogar den Begriff des Klassenfeindes für die BRD und die USA. Im Staatsbürgerkundeunterricht haben wir einmal die Frage diskutiert, ob wir es uns vorstellen können, dass es in der Zukunft wieder nur ein Deutschland geben könnte. Es konnte sich keiner ausmalen oder es hat niemand gewagt, diesen Gedanken zu äußern. Mein damaliger Staatsbürgerkundelehrer hatte sicher eine gute Ausbildung in seinem Fach, so dass er uns Schüler sehr gut manipulieren konnte und sich niemand zu einer anderen Meinung hinreißen ließ. Aber mit siebzehn, achtzehn Jahren Leben in der DDR waren wir alle geprägt vom System des vermeintlichen Sozialismus, der sich einmal zum Kommunismus entwickeln sollte.
Gut, mein Lieblingsfach war Staatsbürgerkunde nicht gerade, trotzdem habe ich es studiert, weil es in Verbindung mit dem Fach Deutsch am Pädagogischen Institut, das während meiner Studienzeit den Status einer Hochschule bekam, in Zwickau angeboten wurde und ich nicht zu weit weg von meinem Wohnort und meinem Freund sein wollte. Einen großen Anteil an meiner Entscheidung für das Studienfach Deutsch hatte mein Deutschlehrer Herr Schellenberg.
Am meisten interessierten mich schon immer Gedichte, die ich leidenschaftlich gern vortrug und auch selbst schrieb. Jedes Jahr nahm ich an Rezitationswettbewerben der Erweiterten Oberschule „Bertolt Brecht“, die damals zum Abitur führte, teil und erreichte immer den ersten Platz. In der elften Klasse, als ich siebzehn war, war ich sogar Teilnehmerin am Bezirksrezitationsausscheid im damaligen Karl-Marx-Stadt mit dem Gedicht von Goethe „Willkommen und Abschied“. Ich erinnere mich noch genau, wie inbrünstig ich es aufsagte und nicht ein einziges Mal stecken blieb.
Die Jury war zwar begeistert, nahm mir aber meine leidenschaftliche Gestaltung nicht ab, da sie glaubte, dass ich für dieses Liebesgedicht noch zu jung sei, als dass ich mich in die Lage von Goethe als Geliebter von Lotte Buff hätte hineinversetzen können.
War ja auch so und ich nehme es im Nachhinein den in meinen damaligen Augen alten Lehrern nicht übel. Das Gedicht kann ich bis heute noch auswendig und ich kann Goethe mehr und mehr verstehen. Mein geheimer Berufswunsch war damals der einer Schauspielerin und er fasziniert mich heute noch.
Einer meiner Vorfahren ist der bedeutende Schriftsteller der deutschen Aufklärung Gotthold Ephraim Lessing, von dem ich sicher ein paar Gene geerbt habe. Sein Buch „Nathan der Weise“ und die in der Ringparabel aufgeworfene Frage, welche Religion, das Christentum, Judentum oder der Islam, denn nun die richtige sei, hat mich in meinem Denken und Handeln stark beeindruckt und beeinflusst. Da mich meine Eltern atheistisch erzogen haben, stand für mich diese Frage sowieso nie zur Debatte und Lessing hat mich mit seinen Anschauungen über die Bedeutung der Religionen in meinen bestärkt. Für mich war und ist immer zuerst der Mensch wichtig und nicht seine Religion, seine Herkunft oder seine Hautfarbe.
„Die Türken haben schöne Töchter, und diese scharfe Keuschheitswächter; wer will, kann mehr als eine frein: Ich möchte schon ein Türke sein.“
(Gotthold Ephraim Lessing)
Kindheitserlebnis
Mit einer Ausnahme hatte ich bis vor zehn Jahren keinen näheren Kontakt zu Ausländern. Ich war damals ungefähr zwölf Jahre alt, als mein Vater, der auch Lehrer war, einen Inder als Gast mit zu uns nach Hause brachte. Nach meinen heutigen Schätzungen war er ca. 20 Jahre alt, freundlich und trug einen Turban. Er saß lange mit meinen Eltern und uns Geschwistern zusammen im Wohnzimmer und unterhielt sich mit uns mehr oder weniger verständlich. Wir Kinder mussten später ins Bett gehen und als er sich dann verabschiedete, kam er noch in unser Kinderzimmer. Ich lag im oberen Stock eines Doppelstockbettes und schlief noch nicht, was ich jedoch von meinen zwei Geschwistern annahm. Plötzlich kam er an mein Bett und legte seine Hand zwischen meine Beine. Ich bekam Angst und schob ihn von meinem Bett weg. Daraufhin wiederholte er dasselbe noch einmal und ich sprang geistesgegenwärtig aus dem Bett. Er erschrak und ich habe ihn wohl irritiert, so dass er schnell aus dem Zimmer verschwand. Meinen Eltern erzählte ich später nichts davon.
Mein Bild von Ausländern entstand, indem ich ihnen dieses Erlebnis als typisch zuordnete. Heute weiß ich längst, dass so etwas nicht ausländertypisch ist, sondern in den besten Familien