Meine Antwort auf Ihr Buch, Herr Sarrazin. Evelyn Kreißig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Evelyn Kreißig
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783944224046
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soziales Verhalten, wenn überhaupt genetisch bedingt, hängen von tausenden, wenn nicht sogar zehntausenden Genen ab. Die Untersuchungen belegen, dass die genetischen Unterschiede innerhalb einer Gruppe von Schwarzafrikanern weitaus größer sind als die zwischen dieser Gruppe und einer Gruppe hellhäutiger Nordeuropäer. Weiter heißt es in der überarbeiteten Fassung des Textes von 2003: „Außerdem sind Menschen eine mobile Spezies, Wanderbewegungen führten immer wieder zu Vermischungen des Genpools.“ Auf die Behauptung, dass die Juden ein bestimmtes Gen teilen, haben Sie in Ihrem Buch, Herr Sarrazin, nach mehrfachen Protesten aus verschiedenen Richtungen verzichtet und diese Aussage dann auch später mit der Begründung, kein Genetiker zu sein, relativiert. Professor André Reis, Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik, der auf stern.de von Lea Wolz zu der Frage, ob es ein Juden-Gen gibt, interviewt wird, formuliert: „Mit dieser Aussage hat sich Sarrazin meiner Meinung nach disqualifiziert. Da ist er völlig auf dem Holzweg. Es gibt keine genetischen Merkmale, die einzelne Bevölkerungs- und Religionsgruppen charakterisieren.“

      Laut Wikipedia entstand der Begriff „Rasse“ im 15. Jahrhundert in Spanien und bedeutete ursprünglich, von guter oder schlechter Herkunft zu sein. Er wurde hauptsächlich bei der Beschreibung von Adelsfamilien und in der Pferdezucht verwendet. Schon lange wenden sich Menschenrechtler gegen den Gebrauch des Begriffes im Grundgesetz, wogegen sich aber die Mehrzahl der Politiker zu wehren scheint. Nach dieser Definition unterscheiden wir also heute immer noch Menschen wie Tiere nach Rassen! Ich frage mich, warum es so kompliziert sein soll, dieses Wort aus der Verfassung der BRD zu streichen.

      Motivationen

      Cristiane ist eine schöne und temperamentvolle und im wahrsten Sinne des Wortes rassige Brasilianerin und lebt seit vier Jahren in Deutschland. Sie ist mit einem Deutschen verheiratet, den sie bei einem Arbeitseinsatz in Brasilien kennenlernte. Ihre Muttersprache ist Portugiesisch. Motiviert durch ihre Beziehung zu ihrem späteren Mann, eignete sie sich schnell einen großen Wortschatz der deutschen Sprache an. Seit August 2010 besucht sie die Vorbereitungsklasse mit berufsbildenden Aspekten am Berufsschulzentrum in Freiberg, in der jugendliche Migranten die deutsche Sprache lernen bzw. vervollkommnen. Da sie sehr mitteilungsbedürftig ist, erzählte sie mir viel aus ihrem Leben in Brasilien. Wir fanden schnell einen Draht zueinander und eines Tages machte ich die Bemerkung, dass sie über ihre Erlebnisse doch ein Buch schreiben könnte. Mit der Entgegnung, dass ich das auch könnte, da ich ja so viele Ausländer kenne und gute Beziehungen zu ihnen habe, gab sie mir den letzten Anstoß, dieses Buch zu schreiben, was ich schon längst als Vorhaben in meinem Hinterkopf hatte.

      Meine zusätzliche Motivation war Ihr Buch „Deutschland schafft sich ab“, Herr Sarrazin, das ich gerade lese. Dieses habe ich mir von meinem Mann zum Geburtstag schenken lassen, das heißt, eigentlich schenkte er mir die Autobiografie von Angelina Jolie, aber die interessierte mich weniger als die Problematik, um die es in Ihrem Buch geht. Deshalb habe ich es kurzerhand umgetauscht. Ein anderes Buch, das ich gleichzeitig lese, hat den Titel „Entweder Broder“ und ist eine Deutschland-Safari mit Henryk M. Broder, einem polnischen Juden, und Hamed Khaled-Samad, einem ägyptischen Moslem, die beide in Deutschland vollkommen integriert sind. Angeregt wurde ich dazu durch eine Fernsehsendung in der ARD, die mich neugierig auf die beiden Männer machte und über die ich mehr wissen wollte. Ich verbinde in dem vorliegenden Buch meine Erlebnisse und Erfahrungen mit Migranten in meiner langjährigen Tätigkeit als Lehrerin mit autobiografischen Fakten und Antworten auf Ihr Buch, Herr Sarrazin. An verschiedenen Stellen stelle ich Fragen an Sie und kommentiere Meinungen über Sie und Ihr Buch. Dabei gehe ich auf einzelne Textabschnitte ein, ergänze Meinungen von mehr oder weniger bekannten Personen und reflektiere aktuelle und geschichtliche Ereignisse.

      Herr Sarrazin, auf Ihrer Homepage (vom 23.08.2010) kündigen Sie die Veröffentlichung Ihres Buches mit folgenden Worten an: „Trotz meiner extrem harten Arbeit bei der Deutschen Bundesbank geht unser deutsches Vaterland für mich immer vor. Deshalb habe ich nebenher ein Meisterwerk analytischer Probleme geschaffen. […] Anständige Deutsche sollten dieses Buch kaufen.“ Man kann nur hoffen, dass Ihre extrem harte Arbeit bei der Deutschen Bundesbank trotzdem einen Einfluss auf die positive Entwicklung unseres (wen Sie auch immer zu den Unsrigen zählen) Landes hatte. Es bleibt abzuwarten, ob unsere Nachkommen Ihr von Ihnen als Meisterwerk bezeichnetes Buch auch als solches einschätzen. Ihr Rat an die anständigen Deutschen, das Buch zu kaufen und nicht einfach nur zu lesen, ist ja von sehr vielen erhört worden. Anständig waren sie zumindest in Bezug auf die Mithilfe bei Erhöhung der Verkaufszahlen. Ob es alles Anständige waren im Sinne dieser Charaktereigenschaft ist zu bezweifeln. Meine Frage an Sie ist, was verstehen Sie eigentlich unter einem anständigen Deutschen? Ich meine, was für den einen anständig ist, muss es für den anderen noch lange nicht sein, oder? Sie schätzen sich ja offensichtlich als anständig ein und ich darf mich auch dazu zählen, denn ich habe Ihr Buch gekauft und sogar gelesen! Da das Gegenteil von anständig unanständig ist, müssen sich wohl diejenigen, die Ihr Buch noch nicht gekauft haben, wirklich schämen! Aber vielleicht hatten sie einfach nicht das Geld dazu oder geben es nur für Trivialliteratur aus. Auf jeden Fall habe ich Ihr Buch in meiner „anständigen“ Familie zum Lesen ausgeliehen.

      Familienbande

      Cristiane ist die Einzige aus ihrer Familie, die in Deutschland lebt. Doch trotz der großen räumlichen und zeitlichen Entfernung zwischen ihr, ihren zwei Schwestern und ihren Eltern ist für sie ihre Familie sehr wichtig, was sie immer wieder zum Ausdruck bringt. In meiner eigenen Familie sieht es anders aus. So äußerte eine Verwandte bei einer Familienfeier, bei der auch ihre Schwiegereltern anwesend waren: „Freunde kann man sich aussuchen, die Familie nicht.“ Seitdem, es ist ungefähr zehn Jahre her, haben ihre Schwiegereltern kein Wort mehr mit ihr und ihrem Mann gewechselt und sich nie mehr gesehen. Mein Bruder, der für eine Versicherung arbeitet, hat seit vier Jahren keinen Kontakt mehr zu mir und meinen zwei Schwestern, weil er von der Familie eine Auszeit wollte.

      Den Grund dafür habe ich damals nicht erfahren. Erst bei einem Gespräch mit meinem Bruder, das ich vor ungefähr zwei Jahren mit ihm suchte, schilderte er mir seine Motive. So erzählte er mir, dass er für ein Versicherungsangebot für das Auto seiner Nichte viel Zeit investiert hat, sie dann den Vertrag jedoch nicht abschloss. Außerdem wären ihm die Zusammentreffen der Familie zu häufig. Das klingt sicher für Außenstehende ziemlich lächerlich und ist auch für mich nicht nachvollziehbar.

      Ich will weitere Einzelheiten gar nicht genau ausführen, aber hier bewahrheitet es sich, dass man mit der Familie lieber keine Geschäfte machen sollte. Ich muss dazu sagen, dass mein Bruder meiner Meinung nach zu den „Reichen an Geld“ der Gesellschaft gehört. Das hat mit seiner Cleverness zu tun, die er bei der Ausübung seinen Jobs bei einer Versicherung anwendet. Aber Reichtum beschränkt sich ja bekannterweise nicht nur auf Geld, sondern auch auf menschliche Eigenschaften wie Toleranz, Großzügigkeit und Herzlichkeit.

      Trotz meiner Bemühungen um eine Kontaktaufnahme zu meinem Bruder habe ich keine Beziehungen mehr zu ihm und seiner Familie. Das ist zwar schade und tut weh, aber ich habe dieses Kapitel in meinem Leben jetzt abgehakt.

      Ich habe gerade ein Lied von Udo Jürgens gehört, das er zu Ehren von Udo Lattek sang und die Liedzeile hatte: „Was du bekommst, ist immer das, was du gegeben hast.“ Ich finde, das ist eine große Wahrheit, nach der man leben sollte. Übrigens, Herr Sarrazin, mein Bruder muss einige Gemeinsamkeiten mit Ihnen in Bezug auf sein Verhältnis zu Zahlen haben, das ja bei der Arbeit bei einer Versicherung bzw. im Bundesamt der Finanzen oder als Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank von großer Bedeutung ist.

      „Seit man begonnen hat, die einfachsten Behauptungen zu beweisen, erwiesen sich viele von ihnen als falsch.“

      (Bertrand Russell)

      Berufswahl

      Mein Name ist Evelyn Kreißig und ich bin nur eine einfache Lehrerin und kann Ihnen, Herr Sarrazin, sicher in vieler Hinsicht nicht das Wasser reichen. Sie sind bestimmt ein überdurchschnittlich intelligenter, wortgewandter und belesener Mann und haben viele Erfahrungen in der Arbeit mit Ausländern innerhalb Ihrer Tätigkeit