Während der gesamten Zeremonie dringt aus der Kapelle nichts nach draußen auf den Platz. Als schließlich mit vielstimmiger Kehle die Kaiserhymne erklingt, stimmen die Menschen vor der Hofburgkapelle begeistert ein und ein riesiger Chor der Eintracht, der Trauer und der Ergriffenheit lässt das „Gott erhalte“ durch die Straßen Wiens schallen.
Nach einer knappen halben Stunde ist das Requiem für Erzherzog Franz Ferdinand und Sophie vorüber. Ebenso schnell, wie sie gekommen sind, verlassen der Kaiser und die Familie die Hofburgkapelle über einen Seiteneingang, der sie direkt in die Hofburg bringt. Zuletzt erscheint wieder Montenuovo und gibt den Seiteneingang für die restlichen Trauergäste frei, die sich dadurch den Trubel vor der Kapelle ersparen. Von vorne beginnend erheben sich nun die geladenen Trauergäste, verneigen sich vor den Särgen und verlassen die Kapelle durch den ihnen zugewiesenen Ausgang. Nach einigen Minuten ist der Kirchenraum menschenleer.
Dann gehen Türen auf und Ordensbrüder erscheinen. Mit hastigen Hangriffen und spürbarer Hektik beginnen sie mit den Vorbereitungen für den Einlass der Bevölkerung. Stühle werden weggeräumt, Bänke verschoben, Absperrungen aufgebaut und die Särge neu positioniert. Schweigend werden die erforderlichen Aktivitäten abgeschlossen, sodass dem kommandierenden Offizier in kürzester Zeit Zeichen gegeben werden kann, die Tore zu öffnen. Genauso geheimnisvoll, wie sie erschienen sind, verlassen die Ordensbrüder die Kapelle wieder, um den nun hereinströmenden Soldaten, die sich, wie vorgesehen, zu einem Spalier aufstellen, Platz zu machen.
Jetzt, nach weiteren Minuten des Wartens, werden endlich die Tore der Hofburgkapelle geöffnet und ein Kommandant der Ehrenwache tritt vor die Menge. Mit lauter Stimme verkündet er die Regelungen und Bestimmungen für den Kondolenzbesuch in der Kapelle und weist seine Soldaten an, die Vorbereitungen für den Einlass zu treffen. Aus dem Hintergrund marschieren Soldaten vor die Kapelle, drängen Menschen zurück, rufen Kommandos, geben Befehle. Die Heranströmenden werden angewiesen, eine Reihe zu bilden und Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Immer wieder erschallen Ordnungsrufe, nur mühsam ist der grau-schwarze Organismus dazu zu bewegen, eine dem Kommandanten passende Ordnung in sein wellenförmiges Andrängen zu bringen. Ein dem Eingangsbereich gegenüberliegendes Tor wird geöffnet, durch das die Besucher wieder aus dem Andachtsraum ins Freie zu treten haben.
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Während vor der Burgkapelle Tausende auf Einlass hoffen, um innerhalb der ihnen zugewiesenen Stunde die Toten betrauern zu können, sind der Minister des Äußeren und der Chef des Generalstabes im Volksgarten bereits wieder in ein Gespräch vertieft. Sie haben nebeneinander in der Kapelle gesessen und diese, kurz nach Beendigung der Trauerfeier, gemeinsam verlassen. Sie sind durch Gänge, Foyers und Treppen der Hofburg gegangen, haben diese in Richtung Ballhausplatz verlassen und sich dann, kurz entschlossen, in den Volksgarten begeben, um ungestört einen Gedankenaustausch vorzunehmen. Innerhalb der Hofburg sind beide schweigend nebeneinander her geschritten. Sobald sie diese verlassen haben und von Straßenlärm und Menschen umgeben sind, beginnt Leopold Berchtold mit seinem Bericht von seiner gestrigen Audienz beim Kaiser. Der Minister schildert dem Chef des Generalstabes seine Eindrücke und schließt mit den Worten: „Der Kaiser hat sich meinem Standpunkt angeschlossen und verfügt, dass wir eine Rückversicherung aus Berlin einzuholen haben, die uns diplomatisch unterstützen soll. Leider hat sich Seine Majestät weitere Schritte vorbehalten und erteilte keine Auskunft darüber, was nach dem Eintreffen der Stellungnahme aus Berlin zu geschehen habe!“
Conrad gibt daraufhin mit einem nachdenklichen Kopfschütteln zu verstehen, dass er mit dieser Wendung nicht einverstanden ist. Eine Weile geht man dann wieder schweigend nebeneinander her und stellt sich im Volksgarten auf Wunsch Berchtolds in den Schatten einer großen Eibe. „Herr Minister, wie schon in unseren letzten Unterredungen betont“, Conrad beobachtet, wie Berchtold seinen Zylinder vom Kopf nimmt und den Gehstock über den linken Arm hängt, „weise ich nochmals darauf hin, dass die Zeit gegen uns arbeitet. Der Waffengang gegen Serbien ist unausweichlich für die Monarchie. Jede Verzögerung kann uns teuer zu stehen kommen.“ „Können Sie, Herr General, garantieren, dass Russland ruhig bleibt?“ Berchtold wartet die Antwort nicht ab, denn Conrad kann das selbstverständlich nicht. „Nein, das können Sie nicht und auch sonst kann es niemand! Wir haben daher der Entscheidung Seiner Majestät zu entsprechen und die Stellungnahme aus Berlin abzuwarten. Ich füge hinzu, dass ich diese Auffassung teile.“ Berchtold, ungeduldig geworden, erhebt erstmals gegenüber Conrad seine Stimme. Er muss sich jedoch eingestehen, dass er in den Unterredungen mit Conrad, Tisza und dem Kaiser keinen einheitlichen Standpunkt vertritt, sondern jeweils in abgeschwächter Form in die eine oder andere Richtung pendelt. Er hat seine Linie noch nicht gefunden und setzt daher viel auf die Meldung aus Berlin und den von dort erhofften Rückhalt. „Die Unterlagen sind vorbereitet und fertig und mit dem für diese heikle Mission vorgesehenen Mann habe ich bereits gesprochen. Er wird die Aufgabe übernehmen.“ Conrad blickt fragend auf Berchtold. Der General, zehn Jahre älter als Berchtold, lässt sich jedoch nicht dazu verleiten, diesen Blick mit Worten zu ergänzen. Berchtold erahnt die Bedeutung von Conrads Blick, hat aber keine Lust auf rhetorische Spielchen, sondern klärt ihn kurzerhand über seine Personalentscheidung auf: „Mein Sektionschef Alexander Hoyos bricht morgen nach Berlin auf!“
Conrad salutiert zufrieden lächelnd und verlässt mit der Bitte um ehestmögliche Mitteilung über diese Berliner Mission den Minister des Äußeren. Leopold Berchtold bleibt noch eine kurze Weile im Park stehen und blickt Conrad nach, wie dieser den Kieselwegen entlangmarschiert und alsbald hinter einer Hecke verschwindet. Er weiß, dass er sich mit seiner Wahl, Sektionschef Hoyos nach Berlin zu entsenden, einen kleinen Vorteil im Ringen um weitere Entscheidungen des Kaisers gegenüber Tisza verschafft hat. Hoyos ist innerhalb seines Ministeriums ein Verfechter der Präventivschlaggruppe und, gemeinsam mit Graf Forgách, der dieser Gruppe ebenfalls zuzurechnen ist, der Verfasser der Denkschrift, die nun in Berlin vorgelegt werden soll. Dieses Memorandum spiegelt in großen Zügen zwar auch seine, Berchtolds, Ansichten und jene Tiszas wider, ist jedoch nach dem Attentat von den beiden Ministeriumsbeamten mit schärferen Schlussabsätzen in Bezug auf eine raschere Lösung des serbischen Problems ergänzt worden. Diese Empfehlung zur raschen Problemlösung deckt sich vollkommen mit den Ansichten des Chefs des Generalstabes, der sich genau aus diesem Grund eines seiner seltenen Lächeln hat entlocken lassen.
Leopold Berchtold angelt nach einem Taschentuch in seiner Rocktasche, blickt in den wolkenlosen Himmel und wischt sich Schweißtropfen von der Stirn. Er setzt seinen Zylinder wieder auf, nimmt seinen Stock vom Arm und wendet sich in Richtung Ballhausplatz. Während der Minister des Äußeren langsam seinem Büro entgegenschlendert, drängen sich in der heißen Sommersonne die letzten Trauernden in die Hofburgkapelle, bevor diese unter wütenden Protesten der zurückgedrängten Bevölkerung verschlossen wird.
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Jeden