33 Tage. Marko Rostek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marko Rostek
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783990402542
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der Monarchie zur Folge haben – für István Tisza eine Vorstellung, die es um alles in der Welt zu verhindern gilt. Berchtold ist überrascht, dass sich der Ungar auf diese Weise öffnet und seine eigentlichen politischen Motive durchblicken lässt. Er blickt ihn, eine Falle vermutend, fragend an. Keine Regung, nichts dergleichen.

      „Ich bin selbstverständlich Ihrer Meinung“, Berchtold versucht nun, Zeit zu gewinnen, um sich ein klareres Bild zu verschaffen, „dass wir noch ein wenig Zeit brauchen, wenn es darum geht, wie wir mit Serbien abzurechen gedenken – aber …“ Der Graf macht eine Pause und seine Augen wenden sich dem Tee zu, der noch immer heiß dampfend am Tisch steht, „… aber eine Verbesserung unserer internationalen Lage wird sich nicht einstellen, denn die Zeit arbeitet gegen uns. Wir können unmöglich mit der Aufrüstung Russlands, die ja von Frankreich finanziert wird, mithalten. Wir haben jetzt noch die Möglichkeit, in Anbetracht der allgemeinen Empörung nach der Gräueltat von Sarajevo und der noch nicht vollendeten russischen Aufrüstung einen Beweis zu liefern, dass wir nicht der kranke alte Mann Europas sind!“

      Berchtolds Stimme ist immer lauter geworden, nun hält er inne. Für einen Moment glaubt er, General Conrad zu hören, wie dieser vor zwei Tagen auf ihn eingeredet hat. Nun sitzt er dem ungarischen Ministerpräsidenten gegenüber und kann dessen abwartende Haltung genauso wenig nachvollziehen, wie es offensichtlich Conrad mit ihm selbst ergangen ist. „Ich weigere mich, dabei mitzumachen, Herr Minister, das Attentat in Sarajevo zum Anlass für eine Abrechnung mit Serbien zu nehmen. Ich halte das schlichtweg für einen Fehler. Solange nicht genügend Anhaltspunkte für die Verantwortung Serbiens und eine ablehnende Erklärung desselben vorliegen, können wir keinen Krieg entfachen, der sich unter ungünstigen Umständen zu einem Weltbrand entfacht. Ich werde die Verantwortung hierfür nicht mittragen!“

      Tisza, seit mehr als 30 Jahren in der Politik, weiß, wann es Zeit ist, mit taktischen Floskeln aufzuhören und Klartext zu sprechen. Vielleicht hat er die Lage der Monarchie, was ihre zukünftige Rolle in der Staatengemeinschaft anbelangt, bisher falsch eingeschätzt, aber er will sich nicht leichtfertig von den österreichischen Kriegstreibern in einen Feldzug hetzen lassen. Erst recht nicht von einem Mann wie Leopold Berchtold, der ganz offensichtlich davon getrieben ist, seine außenpolitische Schwäche von 1912 und 1913 vergessen zu machen. Darüber hinaus will er sich keinesfalls den Kopf darüber zerbrechen müssen, wie er das ungarische Parlament davon überzeugen kann, aus Rache für jemanden in den Krieg zu ziehen, der als erklärter „Ungarnhasser“ bekannt war.

      Berchtold, der Tiszas Einmischung in die Außenpolitik mit dessen ausschließlich ungarischem Standpunkt nicht länger hinzunehmen gewillt ist, gibt erregt zurück: „Ich betone nochmals, dass ich ebenso wenig wie Sie gewillt bin, Hals über Kopf ins Unglück zu stürzen. Ich bin jedoch Realist genug, um zu sehen, dass das gegenwärtige, hoch in der öffentlichen Meinung Europas vorherrschende Momentum eines Rechts auf Sühne alsbald erlöschen wird.“

      Hin und her schwappen die Argumente, beide Seiten beharren auf ihren Standpunkten. Weder der Minister des Äußeren noch der ungarische Ministerpräsident weichen zurück. Kurze Zeit später tritt eine Pattstellung ein, beide Männer haben die Sackgasse erkannt, in der sie stecken. Berchtold sieht ein, dass am heutigen Tag kein Ergebnis in seinem Sinne herbeigeführt werden kann. Die weitere Gestaltung der Außenpolitik der Monarchie wird fürs Erste weiterhin von ihm und Tisza auf gegensätzlichem Kurs bestimmt werden. Berchtold ist gereizt. Wie kann es sein, dass er als amtierender Minister des Äußeren auf Gedeih und Verderb den Ansichten des ungarischen Ministerpräsidenten ausgeliefert ist?

      Er startet noch einen letzten Versuch, Tisza von den geplanten Maßnahmen gegen Serbien zu überzeugen. „Ihre Anregung, Bulgarien und Rumänien näher an den Dreibund zu binden, halte ich für eine richtige und Erfolg versprechende diplomatische Aktion. Aber sie darf die rasch auszutragende Sühne- und Sicherungsaktion gegen Serbien nicht verzögern.“ Dann appelliert er an die Loyalität Tiszas, indem er anfügt: „In beiden Fällen brauchen wir aber Ihre Unterstützung, die Unterstützung Ungarns.“

      Kaum hat er den letzten Satz ausgesprochen, bereut er ihn auch schon wieder, denn die Reaktion Tiszas überzeugt Berchtold, dass er das Heft wieder aus der Hand gegeben hat. Tisza weiß, dass ohne ihn keine Außenpolitik in Österreich-Ungarn zu machen ist, und lehnt sich nach dem unerwartet intensiven Gespräch wieder einigermaßen entspannt zurück. „Mein verehrter Herr Minister“, beginnt er mit nun hörbar ruhigerer Stimme, „ich werde im Anschluss an unser Zusammentreffen meine Ansichten Allerhöchst vorzutragen die Ehre haben. Dabei werde ich dem Kaiser neben einer Zusammenfassung unseres Gesprächs insbesondere darlegen, dass ich ein Vorgehen gegen Serbien für bedenklich halte, solange nicht zwei Vorbedingungen erfüllt sind.“ Berchtold kann den schulmeisterlichen Tonfall in dieser Stimme kaum ertragen. Zu oft hat er dieses zweifelhafte Vergnügen schon gehabt. Er wendet sich wieder dem Tee zu, der schon kühl zu werden beginnt.

      Tisza fährt fort: „Erstens ist ein Beweis für die Mitschuld der serbischen Regierung vorzulegen und zweitens will ich Sicherheit haben, dass Deutschland hinter uns steht.“

      Berchtold erkennt, dass mit diesen Forderungen eine rasche, entschiedene Strafexpedition gegen Serbien nicht mehr möglich sein wird. Der Kaiser würde ohne Einvernehmen mit Tisza einem solchen Vorhaben niemals zustimmen. Die Ausweglosigkeit der Lage erfassend, zieht Berchtold in Gedanken Bilanz: „So gut das Gespräch mit Conrad verlaufen ist, habe ich soeben gegen Tisza wieder den Kürzeren gezogen.“ Die Entscheidung muss also beim nächsten Ministerrat fallen.

      Die Außenpolitik für den Moment ausblendend, verweist Berchtold in fließendem Französisch auf den exquisiten Geschmack des Tees, der noch immer auf dem Tisch steht und eine erfrischende Duftwolke verströmt. Er nimmt eine Tasse und reicht sie Tisza, der sie dankend annimmt und sogleich an die Nase führt, um das köstliche Aroma auszukosten. Berchtold prüft auf die gleiche Weise den Tee und genießt einen ersten kleinen Schluck. Die beiden Männer stehen auf und gehen, die Tassen in der Hand, wortlos zum Fenster. Sie schwenken ihre Tassen ein wenig, führen sie ein weiteres Mal zur Nase. István Tisza schließt kurz die Augen und bemerkt, ebenfalls in exzellentem Französisch und mit hörbarer Vorfreude auf seinen ersten Schluck: „Fürwahr, Exzellenz, das ist ein herrliches Aroma.“ Berchtold hebt seine gläserne Tasse an, um das Farbenspiel der grünbraunen Flüssigkeit zu betrachten. Dabei fällt sein Blick auf die im Hintergrund wehenden schwarzen Fahnen am Dach der Hofburg. Eine Weile hält er so die Tasse und beobachtet durch diese hindurch, wie sich die Fahnen sanft im Wind bewegen. Einen kräftigen Schluck nehmend beschließt er dann, den ungarischen Ministerpräsidenten rasch zu verabschieden und sich auf seine eigene morgige Audienz beim Kaiser und die nunmehr geänderten Rahmenbedingungen vorzubereiten.

      „Seine Majestät empfängt Sie nun, Herr Minister.“ Leopold Berchtold erhebt sich aus dem Wartesessel und schreitet der ihm zugewiesenen Tür entgegen. Unauffällig, so hofft er wenigstens, versucht er nochmals seine Haltung, seinen Gesichtsausdruck und eigentlich seine gesamte Erscheinung zu korrigieren und dem bevorstehenden Anlass anzupassen. Sogar ein leises Räuspern entfährt ihm. Doch ein verstohlener Blick auf den Adjutanten des Kaisers belehrt ihn im Vorbeigehen eines Besseren. Seine Bemühungen sind aufgefallen. Mit einem aufmunternden Lächeln und einer zustimmenden Kopfbewegung weist ihn dieser in das Arbeitszimmer des Kaisers und schließt die Tür.

      Stille.

      ***

      Der Minister des Äußeren war am Morgen wie gewohnt von Anton Brauer geweckt worden. Im Vergleich zu den letzten Nächten in Wien hatte er diesmal jedoch eine unruhige Nacht hinter sich. Er fand lange keinen Schlaf und ging im Geiste oftmals das Gespräch mit Ministerpräsident Tisza durch. Natürlich warf die heutige Audienz beim Kaiser ihre Schatten voraus und er versuchte in den wachen Phasen immer wieder, mögliche taktische Fehler in seinen Formulierungen auszumerzen. Nach dem Aufstehen konnte er keine nennenswerte Erholung in Körper und Geist feststellen. Nach dem Frühstück schrieb er, einer alten Gewohnheit treu bleibend, seiner Frau ein Telegramm und berichtete ihr darin auch von der heutigen Audienz. Für das Studium der Morgenzeitungen hatte er nur eine kurze Zeitspanne übrig, die doch lang genug war, damit ihm wie schon während der letzten Tage auffiel, dass die österreichische und internationale