Was ihm als Erstes auffiel, war der helle Flur, in den durch ein Seitenfenster auf halber Höhe der Treppe Sonnenlicht fiel. Das Haus roch nach frischer Farbe und Putzmittel mit Zitronenduft. Hier war seinetwegen eindeutig schwer geschuftet worden, eine Vorstellung, die ihn rührte und ihm das Gefühl gab, wirklich willkommen zu sein.
Von dem hellen Flur aus gelangte er in ein großes, schönes Wohnzimmer, das durch einen halbrunden Durchgang unterteilt war in einen Wohnbereich, der zur Straße hinausging, und einen Essbereich mit bodentiefen Fenstern zum Garten hinaus. An der linken Esszimmerwand befand sich eine Durchreiche, durch die Neil in die mittelgroße, gut ausgestattete Küche schaute.
Als er wieder im Flur war, um von dort aus in die Küche zu gehen und sie sich ein bisschen genauer anzusehen, entdeckte er eine Tür unter der Treppe, von der er glaubte, es könnte sich vielleicht eine Gästetoilette dahinter befinden, aber stattdessen fand sich dort eine Sammlung praktischer Gegenstände, wie zum Beispiel ein Staubsauger, ein Mopp, ein Eimer und ein Wäscheständer. Die Leute aus der Gemeinde hatten anscheinend wirklich an alles gedacht. Es war überall picobello sauber und aufgeräumt, und an einer Hakenleiste in der Küche hingen sogar gestärkte und frisch gebügelte Geschirrhandtücher. Es war eine Besteckschublade vorhanden, in der in ordentlichen Reihen Messer, Gabeln und Löffel lagen, und im Schrank standen Müslischalen, Essteller, Servierschüsseln- und platten, blank polierte Gläser und bunte Eierbecher.
Sogar eine blühende Topfpflanze stand auf der Fensterbank, an der eine Karte mit der Aufschrift »Herzlich willkommen!« lehnte.
Neil war gerührt über diesen freundlichen Empfang, aber ihm war auch klar, dass die Pflanze angesichts seines so gar nicht grünen Daumens kaum Überlebenschancen hatte. Sie würde trotz aller Bemühungen spätestens in ein paar Wochen das Zeitliche segnen.
Neil verließ die Küche wieder und ging zum Treppenaufgang. Links davon befand sich eine weitere Tür, die in einen Raum führte, der offensichtlich als Arbeitszimmer gedacht war. Es war eingerichtet mit einem Mahagonischreibtisch, Bücherregalen und einer Sitzgarnitur bestehend aus einem zweisitzigen Sofa und einem gemütlichen Sessel, in dem er sich in Gedanken schon Gespräche mit Gemeindemitgliedern führen sah.
Als Nächstes ging er die Treppe hinauf und fand im Obergeschoss das Schlafzimmer, das in einem geschmackvollen Beige gestrichen war, daneben das Bad, das zu Neils Erstaunen und leichter Beunruhigung beherrscht war von einer cremefarbenen Eckbadewanne mit Whirlpoolfunktion und allen möglichen Knöpfen und Schaltern für diverse Funktionen noch unbekannter Art.
Im Obergeschoss befanden sich noch zwei weitere Zimmer, von denen das größere als Gästezimmer mit einem Doppelbett eingerichtet war und das kleinere mit einem zusammenklappbaren Gästebett und einem Schreibtisch, sodass Neil den Raum entweder als zweites Gästezimmer oder als persönliches Arbeitszimmer nutzen konnte, weil es weniger öffentlich war als das untere. Neil konnte es kaum erwarten, sich hier einzurichten, und nachdem er all seine Sachen aus dem Auto ausgeladen hatte, werkelte er noch so lange im Haus herum, bis alles an Ort und Stelle war. Er freute sich sehr, als er feststellte, dass er am Ende des Gartens hinter dem Haus sogar eine eigene Garage hatte, in der er unter anderem sein Klappfahrrad, ein Ergometer, das er nur ein einziges Mal benutzt hatte (von dem er aber trotzdem das Gefühl gehabt hatte, es mitnehmen zu müssen), und einen Stapel leerer, bereits ausgepackter Plastikkisten abstellen konnte.
Er beschloss, die Bücher, die er »zum Vergnügen« las (unter anderem seine vollständige Reihe von Bernard-Cornwell-Romanen) im Wohnbereich unterzubringen, die theologischen Bücher und Nachschlagewerke dagegen im Arbeitszimmer, seine persönlichen Unterlagen und Ordner brachte er in das persönliche Arbeitszimmer im Obergeschoss. Seine Kleidung räumte er in den Kleiderschrank in seinem Schlafzimmer, seinen Talar und alles Zubehör brachte er in dem etwas höheren Kleiderschrank im Gästezimmer unter. Seine Schuhe stellte er paarweise in eine Reihe auf den Boden des begehbaren Kleiderschrankes und reservierte den letzten Platz für die Joggingschuhe, die er gerade anhatte. Den Inhalt seines Kulturbeutels räumte er in den Spiegelschrank im Bad um, bevor er als Letztes seine elektrische Zahnbürste einstöpselte.
Eine Stunde später ließ er sich zufrieden in einen Sessel sinken in dem Wissen, dass sein neues Heim jetzt ordentlich und organisiert war, genauso wie er es gern hatte.
Er wurde in seinen angenehmen Gedanken unterbrochen, als es zweimal hintereinander kurz und forsch läutete. Als er die Tür öffnete, stand ein großer, distinguierter Mann mit silbergrauem Haar vor ihm, der ihn freundlich anlächelte.
»Sie müssen Neil Fisher sein. Herzlich willkommen in St. Sephen's! Ich bin Peter Fellowes, der erste Vorsitzende des Kirchenvorstandes. Ich wollte mich nur vergewissern, ob Sie gut angekommen sind und mit allem versorgt sind, was Sie brauchen.«
Neil erwiderte den freundlichen Händedruck des Mannes herzlich und sagte: »Freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Peter. Wahrscheinlich muss ich mich bei Ihnen für das wundervolle Haus bedanken, nicht wahr? Es ist deutlich zu merken, dass hier sehr viel Arbeit investiert worden ist.«
»Ach, das war ja nicht ich allein, sondern dazu haben ganz viele beigetragen. Der Kirchenvorstand hat zu dem Zweck extra einen Unterausschuss gebildet. In solchen Dingen sind wir richtig gut.«
»Und ich«, sagte eine melodiöse Frauenstimme von irgendwo hinter dem blühenden Geißblattstrauch, der die Haustür umrankte, »ich habe ein Willkommenspaket für Sie vorbereitet!«
Peter wurde mit Nachdruck zur Seite geschoben, und hinter ihm tauchte eine Frau auf, die mit ihrer Präsenz alles beherrschte. Neil bemerkte ihre eleganten hochhackigen Schuhe, ihr fachmännisch frisiertes Haar und den maßgeschneiderten kirschroten Blazer, der kaum den Ausschnitt ihrer Bluse bedeckte, der selbst für Neils unerfahrenen Blick erstaunlich tief war für eine Dame »in einem gewissen Alter«.
»Glenda Fellowes«, sagte sie affektiert und sah Neil dabei tief in die Augen. »Ich hoffe, Sie haben alles, was Sie brauchen. Brot, Milch, Cornflakes, Zucker …« Das letzte Wort sagte sie mit einem dermaßen lasziven Unterton, dass es beinah wie eine Liebkosung klang. Und bevor Neil wusste, wie ihm geschah, war sie mit zwei schnellen Schritten im Haus und bedachte ihn mit einer stürmischen Umarmung, an die er sich noch Jahre später erinnern sollte. Das Gefühl, wie sie ihn fest an sich presste und er beinah an ihrem berauschenden Parfüm erstickte, weil sein Gesicht dabei in ihren üppigen Busen gepresst wurde, war wirklich unvergesslich.
»Willkommen, lieber Neil«, raunte sie ihm mit leicht rauchiger Stimme ins Ohr, »im Namen von uns allen hier von St. Stephen's. Und wenn Sie etwas brauchen …«
Sie löste sich wieder von ihm, hielt ihn auf Armeslänge von sich entfernt, sah ihm wieder tief in die Augen und fuhr fort: »… egal, was es ist … dann sagen Sie einfach Bescheid. Ihr Wunsch ist mir Befehl.«
Neil stand einfach nur da und fühlte sich wie unter Hypnose. Ein leichtes Hüsteln von der Seite unterbrach die Stimmung.
»So«, sagte Peter mit einem Hauch von Ungeduld in der Stimme. »Jetzt lass aber den armen Mann weitermachen. Wir sehen uns ja dann wahrscheinlich morgen früh bei der Morgenandacht, Neil. Unter der Woche ist die Kirche nur ein paar Mal für Andachten geöffnet. Es sind dann meistens nur wenige Leute da, aber ich bin immer gern dabei.«
Seinen Blick immer noch gleichermaßen fasziniert wie erschrocken auf Glenda gerichtet brachte Neil daraufhin nicht mehr zustande, als Peter kurz zuzunicken.
»So, jetzt komm aber, Glenda!«, sagte Peter und wandte sich ab, um zu gehen, während Glenda dem armen Neil noch einen langen, innigen Blick zuwarf und ihm dabei einmal kurz mit der Hand über die Wange strich. Dann trippelte sie sie so schnell und anmutig, wie es ihre Stöckelschuhe zuließen, hinter ihrem Mann her.
***
Neil brauchte mehrere Stunden und einen Becher Tee mit viel Zucker, um sich von der Begegnung mit Glenda zu erholen, aber als dann die Sonne über seinem neuen Zuhause unterging, hatte er sich so weit wieder beruhigt, dass er bereit war, seine gewohnte Abendandacht zu halten. Er überlegte, welcher Platz im Haus sich wohl am besten zu diesem Zweck eignete, und entschied sich schließlich für das Arbeitszimmer mit den bequemen Sesseln