»Sein Pech.«
»Ja, absolut.«
»Trotzdem merkwürdig.«
»Ja, wirklich.«
»Also gut, ich muss jetzt hier weitermachen. Viel Glück mit dem Wellensittich, Liebes.«
»Ach, mit dem Wellensittich werde ich schon fertig. Das Schwierigste sind die Offiziellen von der Kommunalverwaltung. Die muss man wirklich mit Samthandschuhen anfassen.«
»Sie kennen dich noch nicht, oder? Mit denen wirst du schon fertig.«
Frank konnte praktisch durchs Telefon hören, wie sie am anderen Ende der Leitung lächelte.
»Ich komme, so bald ich kann. Tschüss, mein Lieber.«
Und dann war die Leitung tot.
***
Die größte Erleichterung war, dass er eine Toilette gefunden hatte. Es waren drei Stunden vergangen, seit das Eingangsportal zugeschlagen und er eingesperrt war. Obwohl er gerufen, dagegen getreten und gebetet hatte, gab die gewaltige alte Tür nicht nach, und er saß hier fest. Am schlimmsten von allem war der Augenblick etwa fünf Minuten nach dem Zufallen der Tür gewesen, als er gemerkt hatte, dass sein Aktenkoffer immer noch hinter dem Hocker in Margarets Küche stand, auf dem er von Kater Archie in Schach gehalten worden war. Darin befand sich nämlich sein Handy, und ohne Handy hatte er keine Chance, sich bemerkbar zu machen.
Einen kurzen, hoffnungsvollen Moment lang hatte er geglaubt, jemanden an der Tür gehört zu haben, aber genau zu dem Zeitpunkt war er in der Sakristei gewesen und hatte sich dort die Papiere auf dem Schreibtisch und die Bücher in den Regalen angeschaut, um sich die Zeit zu vertreiben. Er hatte gerade ein Gesangbuch aufgeschlagen in der Hoffnung, dass vielleicht eine Strophe von »Großer Gott wir loben dich« seine Stimmung ein bisschen heben würde, da war ihm gewesen, als hätte er etwas gehört – vielleicht Schritte; und war da nicht auch eine Stimme gewesen, die seinen Namen gerufen hatte? Er war ins Hauptschiff gerannt und den Mittelgang entlang nach hinten zur Eingangstür, hatte gerufen, so laut er konnte, und dann so fest er konnte mit den Fäusten gegen die schwere alte Tür gehämmert, die ihn gefangen hielt und sich keinen Millimeter bewegte – aber nichts. Keine erleichterte Stimme von draußen, niemand, der die Tür geöffnet hätte. Gar nichts!
Vor lauter Frust ganz erschöpft, war Neil zurück Richtung Altarraum gewankt und hatte sich an das alte steinerne Taufbecken gelehnt. Wie konnte es sein, dass sie ihn gar nicht vermissten? Wo war Margaret? Wunderte sich Frank denn gar nicht, dass er noch nicht wieder zurück war?
Was hatte Margaret noch gleich über die Tür gesagt? Dass sie klemmte? Dass sie nur schwer wieder aufzubekommen war? Neil ließ sich in die hinterste Bankreihe fallen, entnervt und erschöpft von einem weiteren erfolglosen Versuch, die Tür durch Zerren, Betteln, Drücken und sogar Treten aufzubekommen. Sie gab keinen Millimeter nach.
Er schlug die Hände vors Gesicht, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und verstand einfach nicht, wieso niemand kam und nach ihm suchte. Konnten das Margaret oder Frank gewesen sein, die er vorhin zu hören geglaubt hatte? Dachten sie vielleicht, dass er einfach wieder abgefahren war, ohne sich auch nur zu verabschieden? Sie mussten doch seinen Aktenkoffer in der Küche entdeckt haben. Ihm kam der Anblick der Küche wieder in den Sinn mit all den Stapeln und Haufen von Sachen auf jeder nur denkbar freien Fläche. Er hatte seinen Aktenkoffer hinter den Hocker gestellt, auf dem er gesessen hatte. Ob sie ihn dort überhaupt entdecken würden? Doch – sie würden ihn sicher finden! Allerdings fragte er sich auch mit leicht gerunzelter Stirn, ob sie in dem Durcheinander dort überhaupt jemals etwas fanden.
Aber da war ja auch noch sein Wagen! Er stöhnte laut auf, als ihm klar wurde, dass er den ja ein Stück weiter die Straße hinauf geparkt hatte, um nicht die Einfahrt zum Pfarrhaus zu blockieren. Margaret und Frank wussten also gar nicht, dass der Wagen, der dort abgestellt war, ihm gehörte, und deshalb würde er ihnen wahrscheinlich auch nicht weiter auffallen.
Wann wohl die Kirche das nächste Mal wieder für eine Veranstaltung geöffnet werden würde? Vielleicht zur Abendandacht? Allerdings fielen in kleinen Gemeinden wie dieser mit nur einem hauptamtlichen Pfarrer die Andachten auch oft aus, weil der Pfarrer zu den festgesetzten Zeiten andere Termine hatte. Margaret war an diesem Tag den ganzen Nachmittag mit der Beerdigung des Wellensittichs beschäftigt. Wie lange es wohl dauern würde? Ob sie heute wohl noch Zeit für die Abendandacht haben würde?
Plötzlich bemerkte Neil ein tiefes, grummelndes Geräusch, das bei genauerem Hinhören von seinem Magen kam. Er war kein Mensch, der einfach Mahlzeiten auslassen konnte, ohne es zu merken. Sehnsuchtsvoll erinnerte er sich an das gekochte Ei und den Toast, die er morgens um acht verzehrt hatte. Als er jetzt auf seine Uhr schaute, stellte er fest, dass er mittlerweile seit beinah vier Stunden in der Kirche festsaß. Kein Wunder, dass sich sein Magen beschwerte. Er brauchte etwas zu essen, und zwar sofort! Wie ein Fuchs auf nächtlichem Beutezug beschloss Neil, jeden Winkel der Kirche nach etwas Essbarem abzusuchen. Es musste hier doch irgendwo ein paar Kekse geben! Schließlich wurden in jeder Gemeinde nach dem Gottesdienst Tee und Plätzchen angeboten!
Und so machte er sich wieder auf den Weg zur Sakristei – ein Mann mit einer Mission.
***
Es war schon nach sechs, als Frank Margarets Schlüssel im Schloss hörte.
»Melde Vollzug«, sagte sie grinsend. »Poppet hat doch noch einen sehr schönen stillen Abschied und ein würdevolles Begräbnis bekommen. Wir haben in Violets Wohnung ›Geh aus mein Herz … ‹ gesungen, und ich habe ein paar Worte gesagt, dann sind wir schnell nach unten in den Park geflitzt und haben den Frevel begangen, als der Verwaltungsmensch Feierabend hatte und uns deshalb nicht dabei sehen konnte.«
»Gut gemacht, meine Liebe. Ich wusste doch, dass dir etwas einfallen würde.«
»Immer noch kein Lebenszeichen von Neil?«
»Nein, nichts.«
»Merkwürdig.«
»Ja, das finde ich auch.«
»Kommt dieser verführerische Duft von den Koteletts?«
»Mit Backäpfeln, genauso, wie du sie magst.«
»Und mit Bratkartoffeln?«
»Womit denn sonst?«
»Ich bin am Verhungern! Gib mir fünf Minuten, um mich ein bisschen zu sammeln, dann komme ich und decke den Tisch.«
»Wie wäre es denn mit dem ganz besonderen Vergnügen, auf dem Sofa vor dem Fernseher zu essen?«, schlug Frank vor. »Dann können wir dabei die Nachrichten schauen.«
»Perfekt«, stimmte Margaret zu und war schon unterwegs nach oben.
Ein paar Minuten später kam sie wieder in die Küche, wo Frank gerade ein letztes Mal die Soße abschmeckte und umrührte. Beim Duft der Äpfel und Koteletts, die Frank auf zwei Tellern anrichtete, lief Margaret das Wasser im Mund zusammen, aber als sie nach den Tabletts griff, die auf dem Fußboden neben der Kommode standen, hielt sie plötzlich verblüfft inne und sagte: »Sieh doch mal, Frank!«
Als er tat, was sie sagte, wurden seine Augen ganz groß vor Schreck.
»Neils Aktenkoffer! Er hat ihn hiergelassen!«
»Aber warum ist er nicht noch einmal hergekommen, um ihn zu holen?«, fragte Margaret.
»Vielleicht hat er es einfach vergessen.«
Ein paar Sekunden lang starrten sie einander nur an und hatten dabei offenbar den gleichen Gedanken.
»Oder«, sagte Margaret langsam, »er ist noch gar nicht weg.«
»Aber in der Kirche kann er nicht sein … da war ich nämlich. Ich habe gerufen, und es kam keine Antwort.«
»Hast du denn auch in der Sakristei