Mit Amor auf der Walze oder „Meine Handwerksburschenzeit“ 1805–1810. Harald Rockstuhl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Harald Rockstuhl
Издательство: Автор
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Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783867775250
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tat sehr dick mit meiner Courage. Ich nötigte dem Bauern noch ein Stückchen Wurst auf; wir nahmen Abschied mit Händedruck – und dort gingen sie hin und überließen zwei junge Anfänger in der Welt ihrem Schicksal. Sie glaubten, daß die Lene, ihre Anbefohlene, in zwei Stündchen bei ihrer Tante sein werde, aber es sollte anders kommen.

      Fast war ich willens, hier beim Schreiben meines Berichts eine Lücke zu lassen oder moralische Schwätzereien anzubringen – doch weg damit! Ich will treu und ehrlich erzählen, wie sich alles der Wahrheit gemäß zugetragen hat.

      Wir, Lenchen und ich, gingen zusammen weiter und Lenchen meinte: „Sie müssen heute abend mit bei meiner Tante essen. Das ist eine gar gute Frau; mein Vater nennt sie nur die Fromme. Vielleicht nehmen Sie auch Arbeit in Quedlinburg?“

      Ich erklärte ihr nun, daß ich zu Verwandten in Neuhaldensleben wolle, morgen nach Egeln und übermorgen nach Magdeburg marschiere, von dort seien es dann noch sechs Wegstunden bis Neuhaldensleben.

      „Ach, so weit noch“, rief das gute Lenchen, „und wissen keinen Weg. Da werden Sie sich wohl wieder verirren.“

      „Nein, Lenchen, nun werden die Wege besser und es kommen auch mehr Leute, die man fragen kann.“

      „Ja, wer sagt Ihnen denn das? Sie sind – “ Herr Gott! jetzt kam ein so furchtbarer Blitz und Donnerschlag, daß Lenchen umfiel; sie raffte sich jedoch schnell wieder auf. Wahrscheinlich hatte es in der Nähe eingeschlagen; meine Augen waren wie geblendet von dem gewaltigen Blitz. Nun hielten wir uns aber dazu und gelangten, nur wenig vom Regen durchnäßt, in die Neue Schenke. Es war am Donnerstag vor Pfingsten und ging auf sieben Uhr. Lange Zeit zum Verweilen blieb uns nicht, das bißchen Regen durfte uns nicht abhalten.

      Aber noch keine dreihundert Schritt waren wir gegangen, als ein schrecklicher Blitz und Donner, dem sogleich starker Regenguß folgte, uns in die Schenke zurücktrieb. Es regnete eine Stunde so fort und die Leute sagten uns, das Flüßchen zwischen hier und der Stadt sei so angeschwollen, daß es heute nicht passiert werden könnte. Es wurde Nacht; ich bestellte Abendbrot. Wir bekamen Suppe und ausgeschlagene Eier; ich langte tüchtig zu, denn ich war hungrig, trank viel Bier und rauchte sogar ein Pfeifchen. Dann und wann versuchte ich, mit Lenchen zu sprechen, aber sie machte ein schauerlich ängstliches, fast einfältiges Gesichtchen. So ging der Abend hin und eh wir’s uns versahen, trat eine Frau mit einem Licht in der Hand zu uns und sagte: „Na, wellts net ok slapen gahn? is all lang zehne durch!“

      Ich griff nach meinem Bündel, Lenchen nach ihrem Korbe und wir trotteten wie die Lämmer hinter der Frau her. Nachdem wir ein paar Treppen und einen Gang passiert hatten, machte sie eine Türe auf, zeigte uns die Kammer, stellte das Licht auf den Tisch und sagte: „Na! schlaps wol un bust man det Licht hebsch ut!“ – Ging hin und schmiß die Türe zu.

      Herr Gott im Himmel! in der Kammer stand nur ein einziges breites Bette. Mir wurde ganz blümerand [kauderwelsch für bleu-mourant, schwummerig] vor den Augen; ich schielte nach Lenchen, aber die kehrte mir den Rücken zu. Ich legte also mein Bündel ab, hing meinen Hut an die Wand und war im Begriff, meine Stiefel auszuziehen, als Lenchen eine heftige Bewegung machte. Sie hatte die Bettdecke ganz zurückgeschlagen und lag schon mit Sack und Pack, die Schuhe kaum ausgenommen, hinten im Bette, dicht an der Wand; ihr Gesicht konnte ich nicht sehen. Was ich gedacht habe, weiß ich nicht mehr, aber was ich gesagt habe, weiß ich noch – nämlich gar nichts. Ich zog meinen Rock aus, löschte das Licht, legte mich neben Lenchen ins Bette und deckte mich mit meinem Rock zu. Nachdem ich eine Weile meinen Gedanken nachgehangen hatte, war mir’s doch, als müßte ich mich aufrichten und sagen: „Gute Nacht, Lenchen, schlafen Sie wohl,“ und ihr einen Kuß geben.

      Als ich Anstalt dazu machte, fing sie ängstlich zu stöhnen an: „Ach, ach, ach, du lieber Gott, ach, du lieber Gott!“ Ich brachte nur einen leisen Kuß auf ihrer Wange an, legte mich wieder auf meinen Platz und zog meinen Rock über mich her. Ich mag wohl noch allerhand Gedanken gehabt haben, aber soviel weiß ich noch ganz gewiß, daß mir war, als wenn meine Schwester neben mir läge. Und so bin ich eingeschlafen, wie man immer einschläft, ohne zu wissen, wie und wann.

      Mag sein, daß der lange Marsch in der Luft und das viele Biertrinken und Rauchen oder auch das lange Wachsein schuld gewesen sind, kurz: ich schlief einen langen, festen, traumlosen Schlaf. Doch wachte ich mit vollem Bewußtsein meiner kritisch-interessanten Lage auf und griff nach Lenchen, aber die stand schon am Fenster und ließ sich von der Sonne bescheinen.

      Nein, so hatte ich sie noch nicht gesehen! Sie kam mit einem freundlich lieben Gesicht auf mich zu, faßte mich bei der Hand und sagte: „Allons, Mosjö Langensalzer, es ist wunderschönes Wetter, nun wollen wir aber auch gleich fortgehn.“

      Ich sprang heraus. „Aber nun, Lenchen, kriege ich auch einen schönen Gutenmorgenkuß!“ Und sie hielt still wie ein Lämmchen und drückte leise wieder, so eine Freude hatte das Kind über Gottes liebe Sonne und das helle Wetter. Sie wehrte mir, als ich hinuntergehn und Kaffee bestellen wollte, schüttelte ihren Geldbeutel auf den Tisch und sagte, sie wolle die Zeche bezahlen.

      „Halt!“ kommandierte ich, eilte hinunter, ließ mir ein Schnäpschen geben und fragte, was ich und die Kleine zusammen schuldig wären.

      „Heft jy jur got vertragen te hope in Bette?“ fragte die Frau.

      „Na, Schwester und Bruder werden sich doch wohl vertragen“, antwortete ich. „Gelt, det heft ick ok denkt.“

      Als ich wieder nach oben kam, hatte Lenchen schon ihren Korb auf dem Rücken und meinen Stock in der Hand. Sie half mir, mein Felleisen richtig aufzunehmen und nun ging’s treppab zur Tür hinaus ohne Umsehn fort nach Quedlinburg.

      Das Gespräch drehte sich unterwegs größtenteils um die Tante, die Lenchens Frau Pate und seit sechs Jahren Witwe war. „Nun, Sie werden sie ja bald sehn, Musje Langensalzer“, meinte Lenchen. „Musje Langensalzer?“ wiederholte ich, „ei, da muß ich Sie wohl mit „Jungfer Nordhäuserin“ anreden? Wenn ich weiter „Lenchen“ sagen soll, dann müssen auch Sie mich beim Namen nennen. Ich heiße Christel.“

      Sie wollte sich fast ausschütten vor Lachen; das sei ja ein Mädchenname. Da gab ich ihr meine Kundschaft; sie machte sie begierig auf, blieb stehen und las laut vor, daß ich meine Freude daran hatte: „Christian Wilhelm Bechstedt, – ach!“ Sie guckte mir frei in die Augen und das waren nicht die einfältigen Augen von gestern Abend, nein, ein paar schöne, kluge Augen. „Christian Wilhelm Bechstedt – das klingt gut, aber wo steht denn Christel?“

      Ich setzte ihr auseinander, daß es Mode bei uns wäre, einen, der Christian hieße, Christel zu rufen. Aber ihr deuchte der Name Wilhelm viel schöner und sie gab mir den Rat, mich später zu Hause so nennen zu lassen. „Gut, Lenchen“, stimmte ich bei, „Sie sollen mich umtaufen, doch dann muß auch eine Taufhandlung geschehen.“ Sie merkte, worauf ich hinaus wollte, faltete den Paß zusammen und sagte: „Nun sind wir bald in Quedlinburg.“ Das half ihr aber nichts; ich bestand auf der Taufe und sie wurde unter den Pappelbäumen der Landstraße mit einem langen Kuß vollzogen.

      Sonderbar! wir wurden beide stumm davon und gingen eine ganze Weile schweigend nebeneinander hin. Lenchen hatte noch etwas auf dem Herzen, was nicht recht heraus wollte. „Ach, hören Sie“, setzte sie mehrmals an, schwieg aber immer wieder still. „Na, was ist es denn, Lenchen?“ – „Ach, Musje Langen...“ – „Halt, wie heiße ich?“ – „Ach, Musje Wilhelm ...“ – „Nichts da mit Musje, sondern Wilhelm geradeweg, so haben Sie mich getauft.“ – „Ach, das ist’s ja eben, was ich sagen wollte. Wenn wir zu meiner Tante kommen, dürfen wir doch nicht so bekannt miteinander sein. Ach, du lieber Gott, fangen Sie da nur nicht an von ... von ...“ – „Nu, wovon denn, Lenchen?“ – „Ach, von der Neuen Schenke...“

      „Liebes Lenchen, so dumm werde ich doch nicht sein. Aber wenn Sie so große Angst haben, dann lassen Sie uns lieber hier Abschied nehmen.“ Das aber wollte das gute Kind unter keinen Umständen. Wir verabredeten also, daß wir uns erst heute früh in der Neuen Schenke getroffen hätten und wenige Minuten sonach saß ich bei der Frau Tante in der Stube, trank Kaffee und ditschte [tunkte, stippte] Zwieback dazu.

      Lenchen