Mir ging’s nicht besser; ich habe gemuckst bis zum andern Stadttor hinaus und war mir, als müßte ich wieder hinein und sehen, ob ich nicht diesen Abend das Lenchen noch einmal erwischen könnte.
Egeln – Magdeburg –
Neuhaldensleben – Auf dem Dözel –
Die Frau Muhme und die Frau Meistern –
Die sehnsüchtigen Gedanken an Lenchen, die mich den ganzen Tag begleiteten, konnten mich nicht abhalten, immer drauflos zu marschieren. Abends, als ich in Egeln mit Fuhrleuten auf der Streu lag, schlief ich erst spät ein und träumte von dem lieben Kinde.
Am anderen Morgen machte ich mich frischgemut nach Magdeburg auf. Nachmittags um vier Uhr stand ich vor der Sudenburg. Die Gedanken an die Herberge, an die Brüderschaft, an das Aufwandern mit dem Hand-werksspruch, das damals noch gebräuchlich war und das Gefühl, zum erstenmal in eine große Stadt zu kommen, hatten Lenchen doch schon ein wenig in den Hintergrund gedrängt.
Ich fragte mich zur Herberge durch: „Mit Gunst, wo ist der frommen Brüder Feierstube?“ – Die Tür zum Tempel war mit Brezeln und Löwen bemalt. Dreimal klopfte ich an, doch niemand rief: „Herein!“ Da drückte ich auf und machte, ohne mich umzudrehen, hinter mir die Tür zu; denn jedes Versehen kostet drei Gutegroschen Strafe. Die Stube schien leer, doch hinter dem Ofen konnte trotzdem einer stecken, drum fing ich meinen Spruch an: „Mit Gunst, Ihr Brüder, ich grüße Euch von dem Altgesellen aus Erfurt, wegen der Brüderschaft. Mit Gunst leg’ ich mein Bündel ab.“
Und richtig! hinterm Ofen kam ein alter, wohl fünfzigjähriger Stromer hervor, reichte mir die Hand und sagte: „Willkommen, frommer Bruder aus Erfurt! He, he! Du bist noch infam jung, hast aber deine Sache gut gemacht. Hast du schon mal Brüderschaft geboten?“
„Ja, in Erfurt“ – „Wer ist das Altgeselle?“ – „Hesse aus Langensalza!“ – „Richtig, das trifft. Na, mach dichs bequem und setz dir nieder. Siehst du, Brüderchen, solche Bürschchen wie du bist, die mußten sonst Strafgelder bezahlen, sie mochten’s machen, wie sie wollten; aber das tue ich nicht. Junge Bursche, die was haben, geben ein doch manchmal was.“
„Guter Bruder!“, sagte ich, „du kannst mir auch wohl einmal Bescheid sagen; hier hast du was für dein wohlwollendes Herz“ und gab ihm ein Achtgroschenstück. Er schnappte nach Atem.
„Du bist ein herrlicher Junge! Wenn ich sage ,Junge‘, so ist das gut gemeint, verstehst du mir. Du bist ein echter Geselle und hast Manier gelernt in der Welt. Ich will dich Bescheid sagen in allen Dingen; auf mir kannst du dir verlassen. Keiner von den anderen soll dich ein Haar krümmen!“
In der Tat, ich hatte es gut getroffen mit diesem Alten, der kein schlechter Mann und eine Art von Autorität in der Herberge war. Es kamen wohl noch zwölf bis sechzehn Bursche, alt und jung, auf die Feierstube, doch fand ich keinen darunter, an welchen ich mich hätte enger anschließen mögen.
Beim Abendessen, unten in der Gaststube, fragte ich die Frau Mutter, ob ich nicht ein Bette für mich allein bekommen könne. „Ein Bette?“ – sie sah mich groß an, „ja, das können Sie wohl bekommen, aber da müssen Sie’s aparte bezahlen – vier Gutegroschen! Wenn Ihnen das recht ist, so will ich’s Ihnen zeigen, später habe ich keine Zeit.“
Es war eine kleine Kammer hinten hinaus. Die Frau Mutter versicherte mir, das Bett sei rein; ein Licht müsse ich mir selber besorgen. „Da, haben Sie den Kammerschlüssel!“ – Und die geschäftige Frau Mutter so vieler frommen Brüder lief davon.
Als wir abends aus der Kneipe kamen, sagte ich zu meinem Alten: „Höre, Bruder, darf ich denn nicht mein Bündel mit auf meine Kammer nehmen?“
„Donnerwetter, Brüderchen, der Teufel soll den holen, der dich was sagen will, davor bin ich da.“
„Bruderherz“, sagte ich, „morgen führst du mich ein bißchen in der Stadt herum, daß ich was sehe.“
„Sapperamenter, Junge! Das heeßt, wenn ick sage, Junge – na! Du verstehst mir schonste, gute Nacht, Brüderchen.“ Ich nahm mein Felleisen und wollte hinaus.
„Halt! wo will der mit dem Bündel hin?“ schrie ein langer Stralsunder. „Ruhe!“ rief mein Alter. „Was, der denkt wohl, hier gibt’s Spitzbuben“, grölte der Lange. „Ruhe, sag ich Euch; er hat mir um Erlobnis gebeten; er will morgen frische Kleeder anziehn.“ – „Aha! Das ist so en Krautjunge von der Henne“, hörte ich noch den Stralsunder sagen, der nicht viel jünger war als mein Alter, aber nicht dessen gutmütigen Charakter hatte.
Den frisch gekauften Wachsstock brannte ich unten in der Gaststube an. „Das ist der Bursche“, sagte die Frau Mutter zu einem Manne, den ich sogleich für den ihrigen hielt. „Sind Sie der Herr Vater?“ fragte ich. „Jawohl, mein Sohn, du bist wohl noch nicht lange in der Fremde, he? Wo bist denn her?“ – „Aus Langensalza.“ – „Aha, ein Thüringer! Na, was du essen und trinken willst, kannst du alles bei mir haben, gute Nacht.“
Zuerst dachte ich an Lenchen im Bette; aber allmählich mischte sich das Bild der schönen Frau Amtmännin Bär dazwischen. Übermorgen wirst du dort sein, dachte ich. Ihre freundlichen Worte damals, ihre Umarmung und der Kuß hatten mir ein Vierteljahr lang in den Gliedern gelegen.
Es war ein schöner Tag, der erste Pfingstfeiertag 1805. Um sieben Uhr früh ging ich schon mit meinem Alten nach der Zitadelle, dort arbeiteten in der Kommißbäckerei viele Bäckergesellen, die er kannte. Zum ersten Mal sah ich die breite Elbe und die vielen Schiffe drauf und konnte mich nicht satt gucken. Nun mußte ich mit dem Alten Schnaps trinken und ein Würstchen essen, was ich freilich bezahlte. Auf der Zitadelle, in dem Gebäude, wo die Backöfen standen, schufteten die Gesellen noch bis zehn Uhr, wie sie sagten. Einige kamen auf meinen Alten zu, der sich heute ein wenig angeputzt hatte. „Na, alter Schweriner, was bringst du uns? Kommt Ihr von der Herberge, ist der da auch Bäckergeselle?“
„Det versteht sich, Bruder“, sagte der Schweriner. „Det is och en Löwenschütz [Ist eine über ganz Deutschland verbreitete Bäckervereinigung, die eine Brezel, von zwei Löwen gehalten, als Wappen führte.] aus Langensalza in Thüringen.“ Nicht lange darauf kam einer auf mich zu, der mir bekannt vorkam.
„He, Christel Bechstedt, bist du davongelopen? Hast der mit dem Minor überworfen, was? Ja, mit dem konnt ich mer och nich verknusen. – Donnerwetter, bist du en Schlaps geworden! Na, kennst mer noch?“
„Ja“, sagte ich, „du heißt Bernhard Dienemann.“
„Alle Hagel, der Junge kennt mer noch!“ Jetzt sperrte er die Arme aus und wollte über mich her, aber der Alte fuhr dazwischen. „Biste närrisch, Strelitzer, du siehst doch, daß sich der geputzt hat, du alter Mehlsack.“ – „Hast recht, alter Schweriner!“ – Ich mußte Dienemann nun erzählen, wie alles bei uns stände. Er war 16 – 18 Wochen bei uns gewesen und war ein ehrlicher Kerl und tüchtiger Arbeiter; aber er wollte mehr Freistunden haben. Wenn er am Sonntag nachts um zwei oder drei vom Tanzboden kam, wollte er montags nicht viel arbeiten, da schickte ihn Minor fort. Am angelegentlichsten erkundigte er sich nach Buschmanns Magd und malte sie seinem Kameraden als ein Prachtmädel ab. „Der habe ich versprochen, sie zu heiraten, denn sonst wollte sie mir nicht lieben, verstehste – aber das kennst du noch nicht, Bruder Christel.“
Ich holte tief Atem und dachte an Lenchen. –
Um zehn Uhr zog sich Dienemann recht fein an und ging mit fort; zu Mittag aßen wir auf der Herberge und ich hatte viel Mühe, daß er nicht selbst bezahlte. Dann sahen wir uns den Dom und noch ein paar