Sie stellte mich ihm vor. „Du bist aus Langensalza?“ fragte er. „Ei, da habe ich vor vier Jahren auch gearbeitet, bei einer Frau Reichhardt am Erfurter Tor. Bei deiner Mutter war damals ein ganz junger Bursche. Sie hat wohl wieder geheiratet?“
„Nein, guter Freund, aber derselbe junge Bursche ist noch bei uns,“ und nun mußte ich erzählen und fragte ihn auch, ob es hier für mich keine Arbeit gäbe. Er wußte einen Gesellen, der nur darauf wartete, daß sein Meister Ersatz für ihn fände und als der Mann meiner Frau Muhme auf ihr Befragen erklärte, die Arbeit sei nicht zu schwer für mich, durfte ich mit zu dem Meister gehen und die Sache wurde richtig gemacht.
Den folgenden Tag trat ich ein. Der Meister war ein magerer schwärzlicher Mann von etwa vierzig Jahren, sehr rüstig und arbeitete alles mit. Die Arbeit wurde mir leicht bis auf das schnelle Kringelspinnen (l-Pfennig-Brezel machen und schließen), doch nach acht bis zehn Tagen kam ich dem Meister darin ziemlich gleich. – Es lag eine Eskadron Kürassiere in der Stadt und wir hatten das Kommißbrot zu backen. Ich war so ungeheuer stark und kräftig, daß ich mich vor nichts fürchtete und bin manchmal bewundert worden, wenn ich den großen Teig so bald fertig hatte oder die schweren Bretter so leicht auf- und herunternehmen konnte. Nach vierzehn Tagen wurde Lohn gemacht; ich bekam sechzehn Gutegroschen pro Woche.
Außer der Frau und einem Kinde von zwei Jahren war der vierund-achtzigjährige Vater des Meisters im Hause, der noch Kommißbrot wirkte wie ein Junger, ferner waren ein Knecht und zwei Dienstmädchen da. Es wurde auch Ökonomie getrieben; zwei Pferde und Kühe standen im Stall. Die fünf oder sechs Bäckergesellen in der Stadt lernte ich bald kennen. Der jüngste von ihnen, Heinrich, der eine gute Schulbildung besaß, arbeitete bei einem Pfefferkuchenbäcker Wiegemann. Wir besuchten einander und so wurde auch ich mit seinem Meister bekannt, der ein ungemein geschickter Honigküchler war; ich werde später darauf zurückkommen.
Im allgemeinen gefiel es mir wohl in meiner Stelle, nur einmal bekam ich das Heimweh. Ich mußte nämlich auf einem Dorfe mahlen. Die Mühle hatte nur einen Gang, ich also nicht viel Arbeit und die Leute dort sprachen so erschrecklich Platt, daß ich sie nicht verstehen konnte. In dieser Einsamkeit wurde mein Herz furchtbar beklemmt. Ich bekam eine Angst und beinahe Zittern, daß ich nicht wußte, wohin und wo bleiben. Wenn ich mich auf einen Sack legte und die Augen schloß, so sahe ich meine Mutter und Schwestern, wie sie mir winkten. „Komm Christel, komm!“ Ich sprang wieder auf, setzte mich hierhin und dorthin, fand aber nirgends Ruhe, kurz, der Zustand dauerte zwei Stunden lang, bis mein Essen kam, das mir die Frau Meisterin selbst brachte, weil, wie sie sagte, sie hier beim Dorfe Land hätten, was sie besehen wolle.
Sie sprach mir freundlich zu und tröstete mich, das Dorfmahlen würde nicht lange mehr dauern, da das Mühlwehr bei der Stadt bald fertig sei. Dabei gab sie sich viel Mühe, gut Deutsch zu sprechen, obgleich das Platte immer dazwischen kam. Während sie zu den Müllersleuten in die Stube ging, machte ich mich stark über mein Essen her, worauf mir wirklich besser wurde. Dann beschüttete ich meine Mühle frisch und setzte mich draußen auf die Bank.
Die Frau Meisterin wollte gleich wieder fort, saß aber doch bald neben mir auf der Bank und fragte mich unter anderem, wie ich mit dem Herrn Amtmann Bär verwandt wäre. Ich erzählte und da sie alles ungeheuer hübsch und interessant fand, ging das wohl eine halbe Stunde so fort. Dann sprang sie auf. „Ne, det is to tolle, Muske Willem, da könnt mer wohl zwei Stunne setten bei Sie und kriets nett satt, adieu!“
Sie drückte meine Hand. „Immer darf mer a nit gar freundlich sei“, sagte sie, sah mich bedeutsam an und ging fort. Trotz meiner Unerfahrenheit merkte ich, daß sie meinte, es schicke sich zu Hause bei der Arbeit und vor dem Meister nicht, daß sie so freundlich mit mir täte und fand das ganz natürlich und in der Ordnung.
Kurz darauf traf es sich, daß ich morgens beim Semmeleinschieben in der kleinen Pause mich auf die Treppe setzte und sofort einschlief. Auf einmal hörte ich den Meister poltern: „Kreuzdonnerhagelwetter, ist denn der ‚Bengel‘ närrisch? Willem! Himmeldonnerwetter, schämste dir nicht, bei der Arbeit einzuschlafen?“ Ich fuhr auf, griff zu, wo es nötig war und er mußte nun so schnell einschieben, daß er sich nicht umsehen konnte. Aber der Bengel wollte mir nicht aus dem Kopf und ich muß wohl ein böses Gesicht geschnitzt haben. Als es beim Ausbacken eine Pause gab und der Meister sagte: „Was war das denn mit dir, du schliefst ja wie tot“, konnte ich nicht antworten und trug meine Semmeln fort.
Nicht lange darauf fing er wieder an: „Du mußt doch wissen, daß das bei unserer Arbeit nicht geht und darfst mir nicht übelnehmen, daß ich dich angedonnert habe.“ – „Nein, Meister, das ist in der Ordnung, aber schimpfen lasse ich mich nicht.“ – „Was, ich hätte dich geschimpft? Im Gegenteil! ich habe dich auf dem Schützenhause vor den andern Meistern gelobt, da kannst du den Heinrich fragen.“
Nun machte ich wieder eine freundliche Miene und alles war gut. Nach dem Mittagessen legte sich der Meister gewöhnlich ein paar Stunden zur Ruhe; ich brachte erst die Backstube in Ordnung und ging dann hinauf in meine Kammer, um auch eine Stunde zu schlafen. Als ich mich besann, ob ich nicht unten noch etwas zu tun vergessen habe, ging die Kammertüre auf und die Meisterin kam herein. Sie nahm meinen Kopf zwischen ihre Hände. „Ach, Willem, was habe ich diesen Morgen für eine Angst gehabt! Der Meister war so garstig und ich dachte, Sie wollten nun fortgehen.“ – „Na“, antwortete ich, „er hat’s ja wieder gutgemacht.“
„Ach, wenn er es nit gutgemacht hat, dann mache ich es gut, lieber Willem“ und nun fühlte ich ihren Mund auf meinem und Frau Rosette küßte so herzhaft drauflos, daß mir himmelangst wurde, dann lief sie schnell davon.
Alle Teufel, was war das? dachte ich, das ist eine gefährliche Geschichte. Das Küssen hat mir zwar ganz gut geschmeckt, denn sie war eine gar hübsche junge Frau, aber der Meister war ein sehr braver Mann und ich bei ihm gut angeschrieben.
Nein, das geht nicht, das mußt du streng abweisen, war meine Meinung – leider war der gute Vorsatz über meinem jugendlichen Leichtsinn bald vergessen! Es entwickelte sich nun ein Verhältnis, bei dem mir öfter wehe als wohl war und ich sann darauf, loszukommen.
Schließlich entschloß ich mich zu einer Lüge, schöpfte mir ein Herz und sagte dem Meister, daß ich einen Brief von meiner Mutter bekommen hätte. Unser Geselle wolle in vier Wochen fort und ich müßte nach Hause, möchte aber vorher noch Berlin und Dresden sehn. „Aber deine Frau Muhme war doch noch kürzlich hier bei meiner Frau und wußte nichts davon, daß du fort willst?“ staunte der Meister. „Im Gegenteil, sie meinte, du solltest noch recht lange bei uns bleiben.“ – „Ich bin seit vierzehn Tagen nicht draußen gewesen und will eben heute hin und es dort sagen“, erwiderte ich.
„Na, morgen komme ich auch auf den Dözel zum Weizenhandel. Da will ich mit deinem Vetter sprechen, vielleicht ändert sich’s noch.“
Nun war ich gespannt, was die Frau Meisterin beim Mittagstisch für ein Gesichtchen machen würde auf die Neuigkeit. Aber der Meister mußte ihr noch nichts gesagt haben; bei jeder Möglichkeit, hauptsächlich, wenn die Jette linksum stand, kriegte ich meinen schönen Blick.
Als ich auf den Dözel kam, stand die Frau Muhme gerade in die Betrachtung eines neuen Butterfasses versunken. Ich schlich mich auf den Zehen heran und legte ihr von hinten her die Hände übers Gesicht. „Ha!“ – fuhr sie zusammen. „Raten, wer es ist!“ – „Vetterken, das war ein dummer Streich“, schalt sie derb. „Ik bin auf den Tod erschrocken und muß mich en besken hinsetten.“
Aber ich war heute gut aufgelegt und in meiner Seele mit mir selbst zufrieden, das gab Lust und Mut. Ich kniete vor ihrem Stuhle nieder, hob meine Hände auf und bat