Renate Müller - Ihr Leben ein Drahtseilakt. Uwe Klöckner-Draga. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Uwe Klöckner-Draga
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783939478423
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zehntausend Augen labend,

      Von ihr gelöst und unberührt,

      Ihr Bild, sein eignes Leben habend,

      In jedem Kino jeden Abend

      Ein schattenhaftes Dasein führt ...

      George A. Goldschlag, Berlin 1930

      „Ich bin ja heut’ so glücklich, so glücklich, so glücklich, ich fühl’ mich augenblicklich so glücklich wie noch nie...“ hieß der Erfolgsschlager, den Renate Müller in dem Tonfilm Die Privatsekretärin 1931 sang. Mit diesem Streifen wurde aus der bereits bekannten Bühnendarstellerin über Nacht ein Leinwandstar.

      Von Peter der Matrose bis Togger währte die Filmkarriere von Renate Müller nur 7 Jahre. In dieser kurzen Zeit entwickelte sie sich zum Publikumsliebling des europäischen Films der dreißiger Jahre. Mit ihrer attraktiven, sympathischen Ausstrahlung, dem selbstbewußten, modernen Spiel und dem strahlenden Lächeln, verkörperte sie die junge moderne Frau ihrer Zeit. Ihre Darstellungen in: Die Privatsekretärin, Wenn die Liebe Mode macht, Die englische Heirat, Allotria und ganz besonders in Viktor und Viktoria enthüllten ihr komödiantisches Talent in überzeugender Weise. Renate Müller besaß die Fähigkeit, dem Publikum die menschlichen Schwächen und Stärken der berufstätigen Frau authentisch näherzubringen. Jahre hat sie daran gearbeitet, ein Vollprofi zu werden und sie wußte genau, was sie wollte - zumindest in den für sie geschriebenen Filmrollen. Phantasie und Disziplin waren bei der Arbeit immer in Einklang. Doch hinter diesem heiteren Image verbarg sich ein düsteres privates Schicksal. Renate Müller, die in ihren Filmen glückliche Menschen so überzeugend verkörpern konnte, hatte in ihrem privaten Leben wenig Glück. Krankheit, Drogen und Alkohol zogen sie wie eine nicht aufzuhaltende Lawine in den Abgrund.

      Nachdem die Nazis in Deutschland die Macht ergriffen hatten, geriet Renate Müller auch ins Fadenkreuz der Geheimen Staatspolizei. Ihre Tätigkeiten und Aktionen wurden überwacht. Warum? Der „Schirmherr des deutschen Films“, Propagandaminister Dr. Joseph Goebbels, hatte Renate Müller - die als Verkörperung des nationalsozialistischen Rassenideals: blond, blauäugig, fraulich, schön, galt - zunächst ausersehen, sie mit dem Reichskanzler Adolf Hitler zu verkuppeln. Renate hatte kein Interesse und lehnte ab. Mit ihrer Absage an private Treffen mit der Macht in der Reichskanzlei zog sie sich den Zorn des Ministers und des „Führers“ zu. Die Gestapo fand den Grund für ihre Weigerung heraus: Renate Müller, die als Inbegriff der „deutschen Frau“ galt, hatte ein Verhältnis mit einem Juden.

      Minister Goebbels wollte sie daraufhin aus der Reichsfilmkammer ausschließen, was einem Arbeitsverbot gleichkam. Ihre Popularität konnte das verhindern. Goebbels begann nun mit einer Hetzjagd, mit Schikanen. Renate Müller war nicht mehr frei, weder in ihren beruflichen Entscheidungen, noch in ihren privaten Entschlüssen. Das Einzige, was sie sich in ihren letzten - von der Partei kontrollierten - Lebensjahren noch bewahren konnte, waren die Freiheit der Gedanken und der Gefühle.

      Diese Hetzjagd endete am 7. Oktober 1937 - mit ihrem Tod. Mit diesem frühzeitigen Ende der erst Einunddreißigjährigen, begann die Legende Renate Müller zu leben, und wurde im Laufe der Jahre zum Symbol, zur Metapher.

      Ich möchte in diesem Buch Lebensstationen dieser hochsensiblen und couragierten Künstlerin skizzieren und die verblaßte Karriere der Renate Müller erhellen, die im Laufe der Jahre in Vergessenheit geraten ist. Es ist an der Zeit, diesen beliebten Filmstar der dreißiger Jahre, der Millionen Menschen in Europa faszinierte und selber in politisch düsterer Zeit an der menschenverachtenden Politik der Nazis zerbrach, ins Bewußtsein der heutigen Kinogänger zurückzuholen.

       Uwe Klöckner-Draga Berlin, im Herbst 2005

      I.

       Münchner Kindl „Renate - Die Wiedergeborene“

      Die bayerische Residenz- und Landeshauptstadt München hatte bereits in den Jahrzehnten vor der Jahrhundertwende an der typischen Großstadtentwicklung dieser Zeit partizipiert und sich zu einer Metropole für den gesamten süddeutschen Raum entwickelt. Die Einwohnerzahl stieg innerhalb eines kurzen Zeitraumes von knapp 170.000 im Jahre 1871 auf 645.000 im Jahre 1914. Das hatte gravierende Auswirkungen auf die Wirtschaftsstruktur und das gesellschaftliche Leben. Trotzdem konnten die Bewohner eine „kleinstädtische Atmosphäre“ in ihrer Stadt bewahren, in der das Festhalten an Traditionen zum Bedürfnis wurde. Vor allem architektonisch hatte München einiges zu bieten, wobei weniger die bayerischen Traditionen gepflegt wurden als vielmehr bedeutende Baustile früherer Epochen und anderer Länder kopiert wurden. Das verdanken wir König Ludwig I., der aus München eine Stadt schuf „die Teutschland so zur Ehre gereichen soll, dass keiner Teutschland kennt, wenn er nicht München gesehen hat.“ Künstler, Maler und Architekten lernten sie schätzen und lieben. Nicht allein deshalb, weil die Schwabinger Bohéme, die heute in München ebenso zur Legende geworden ist wie die Bohéme anderer Städte, sich zumeist aus Malern zusammensetzte, die so schöne Motive anderswo nicht vor den Haustoren fanden, sondern auch aus der Tatsache heraus, dass München architektonisch zu den reizvollsten deutschen Städten zählte und heute noch zählt.

      Auch für die Dichter galt München lange Zeit als Dorado; und die Förderung, welche die Münchener Dichterschule durch fürstliche Mäzene erhielt, hat viel dazu beigetragen, den Ruf Münchens als Kunststadt zu festigen. Das Theater bekam vor dem Ersten Weltkrieg nicht die gleiche Förderung wie die Oper. Die Sprechbühne wird erst in den Nachkriegsjahren zur Geltung kommen. Aber die Zahl der späteren Bühnen- und Filmkünstler, die am Anfang des 20. Jahrhunderts im Schatten der Frauenkirche geboren wurden ist groß: Stummfilmstar Lee Parry gehört dazu, ebenso Curd Jürgens, Beppo Brem, Gina Falkenberg, Rudolf Fernau, Heli Finkenzeller, Alexander Golling, Joe Stöckel, Richard Häussler, Fritz Kampers, Liesl Karlstadt, Karl Valentin (in der Vorstadt Au), Carola Neher, Susi Nicoletti, Leo Peukert, Kurt von Ruffin, Agnes Straub und Renate Müller.

      * * *

      München, im Frühjahr 1906:

      Dr. Karl-Eugen Müller, zurzeit Theaterkritiker einer Münchner Zeitung, sitzt in einer Wiederaufführung von Gerhart Hauptmanns Trauerspiel Florian Geyer und soll sich mit der Abfassung einer Theaterkritik beschäftigen. Unkonzentriert und kribblig verfolgt er das Stück auf der Bühne, denn bei seiner Frau Mariquita haben die Wehen eingesetzt. Doch der erwartete Sohn - natürlich muß es ein Sohn sein - läßt sich Zeit bis zum Morgengrauen und entpuppt sich an diesem regnerischen Vorfrühlingstag als stämmiges Mädchen.

      Renate Maria Müller wird am Donnerstag, dem 26. April 1906 (im Zeichen des Stiers) im Münchner Stadtteil Schwabing geboren. Die Eltern haben beide großes Interesse für künstlerische Dinge. Die Mutter, Mariquita Müller, geborene Frederich, als Deutsche in Südamerika geboren, ist eine begabte Malerin und der Vater Karl-Eugen, ist Historiker und Altphilologe. Wer an Vorbestimmungen glaubt, der kann sagen, dass der kleinen Renate der Weg zur Bühne bereits an der Wiege geebnet wurde.

      Renate ist ein fröhliches Baby und wird in der Familie „Rena“ gerufen. Die begeisterte Großmutter Emma Müller erzählt: „In Grünwald im Isartal lag auf einer weichen Felldecke mitten in einer grünen Wiese der kleine sechs Wochen alte Nackedei und strampelte. Dazu krähte Renatchen aus vollen Lungen. Sie fand das Leben offenbar wunderschön und lachte und lachte. Nicht so ein Kinderlächeln, sondern richtig lautes helles Lachen, dass jeder, der es sah und hörte, einfach angesteckt wurde. Und das Bild werde ich nie vergessen: wie mein Himmelsfuchs auf der grünen Wiese liegt und die ganze Familie drum herum steht und Tränen lacht.“ 1

      Das Münchner Kindl im Alter von drei Jahren.

      Vier