44 Auf Einladung von Erich Hörl, Professor für Medienkultur am Institut für die Kultur und Ästhetik digitaler Medien in Lüneburg, und uns fand die Tagung vom 27.-29. Januar 2016 in Räumen der Leuphana-Universität unter dem Titel Resonanzen. Oswald Spengler und die Postmoderne statt.
45 Vgl. Spengler, Oswald: Pessimismus?, in: Ders., Reden und Aufsätze, München 1938, 63–79.
46 Schmidt: Postmoderne, 90.
47 Rosa, Hartmut: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Frankfurt a. M. 2016.
48 Görlich, Christoph: Welt-Bilder und Weltmodelle. Resonanz als Metapherntechnik und Technikmetapher, in: Peters, Christian Helge u. Schulz, Peter (Hrsg.), Resonanzen und Dissonanzen. Hartmut Rosas kritische Theorie in der Diskussion, Bielefeld 2017, 271–291, 278.
49 Bense: Wesen Deutscher Denker, 162 f.
50 Rosa: Resonanz, 298.
51 Mattenklott, Gert: Blindgänger. Physiognomische Essays, Frankfurt a. M. 1986, 13 f.
52 Der geplante Beitrag Arno Bammés zu unserer Diskussion, der eine Brücke von Oswald Spengler zu Peter Sloterdijk schlägt, wurde indessen »unter der Hand so umfangreich, dass er unmöglich in das vorgesehene Buchkonzept integriert werden konnte.« Er liegt mittlerweile als Monographie vor, auf die wir gerne verweisen: Bammé, Arno: Die Apokalypse denken, um den Ernstfall zu verhindern. Unheilsprophetie von Spengler bis Sloterdijk, Marburg 2017, 11.
53 Vgl. den Text Oswald Spenglers in diesem Band sowie zur Einordnung den Beitrag Fabian Mauchs.
54 Vgl. den Text Heinz Dieter Kittsteiners in diesem Band sowie zur Einordnung den Kommentar von Jannis Wagner.
Geoffrey Winthrop-Young
Kälte, Krieg und Katastrophen
Martial-historiografische Anmerkungen
zu Spengler und Kittler
Dreißig kalte Parallelen
Vor zwanzig Jahren haben Michael Wutz und ich im Vorwort unserer Übersetzung von Friedrich Kittlers Grammophon Film Typewriter den Versuch unternommen, amerikanische Leser in die Mysterien der neuen deutschen Medienwissenschaften einzuführen. Ganz im Geiste jener französisch orientierten Theoriezeiten ging es uns in erster Linie um Pariser Anschlüsse: also um die Art, in der Kittler Michel Foucault lacanisierte, Jacques Lacan foucaultisierte und beide wiederum mit Anleihen bei der Medientheorie Marshall McLuhans und der Informationstheorie Claude Shannons anreicherte, was zur Folge hatte, dass Foucault und Lacan von ihren diskursanalytischen bzw. psychokybernetischen Köpfen auf ihre medientechnischen Füße gestellt wurden und die – damals noch nicht so genannte – German media theory sich als Erbe des – damals noch so genannten – französischen Poststrukturalismus in Szene setzen konnte.1 Dank Kittler gab es jetzt auf dem Umweg über Deutschland in Nordamerika French theory up to date.
Natürlich kann man weiter ausholen. War Kittlers Manöver nicht Teil eines deutsch-französischen Theorieschlagabtauschs, der in strukturalistische, existenzialistische und phänomenologische Vorzeiten zurückreichte? War es nicht eine selbstbewusste Umkehrung des bilateralen Theorie-Praxis-Gegensatzes, den Heinrich Heine einst an der funktionalen Äquivalenz von Kant und Robespierre festgemacht hatte? Jener räsonierte, dieser guillotinierte, aber beide über den Rhein hinweg auf analoge Weise. Was Deutschland, so das betagte Klischee, in den abgehobenen Domänen von Philosophie und Musik leistet, inszeniert Frankreich in praxisorientierter Barrikadenöffentlichkeit. Jetzt aber wurde in Deutschland der Anspruch erhoben, die esoterischen linksrheinischen Komplexitäten von Dekonstruktion und Diskursanalyse in den Klartext informationstechnischer Positivitäten zu überführen. Es war eine Form theoretischer Erdung, in der von Ferne der Erlösungsgestus aufblitzte, mit dem ein Jahrzehnt später amerikanische Hypertext-Theoretiker Roland Barthes und Jacques Derrida als etwas linkische Vorwegnahme digitaler Textverarbeitungspraktiken anpriesen.2 Kittlers Theorie, so schien es, verschrieb sich dem Motto von Heinrich Manns Untertan Diederich Heßling: »Sachlich sein, heißt deutsch sein.« Und war das nicht Teil des Untergangs der Theorie im Abendland? Der textzentrierten Kultur der französischen maître penseurs folgt die technikzentrierte zivilisatorische Spätphase in Gestalt deutscher Medienwissenschaftler.
Das war unterhaltsam, teilweise sogar schlüssig, aber nicht sonderlich originell. Nicht dass man dies bei Kittler hätte nachlesen können (er hielt geistesgeschichtliche Überblicke dieser Art für akademisches Boulevardtheater), da waren die Bücher von Norbert Bolz um einiges ergiebiger. Sehr viel interessanter erschien es uns, auf verborgene, wenn nicht gar verschwiegene Verbindungen Kittlers zu binnenländischen Theorietraditionen hinzuweisen. Die Nähe zu Martin Heidegger war offensichtlich, doch gab es nicht auch Bezüge zu anderen Größen der konservativen Revolution wie Ernst Jünger und Oswald Spengler? Wir haben das damals nur kurz angedeutet, und es ist dementsprechend überlesen worden. Hier folgt der Versuch, dieser Frage im Falle Spenglers noch einmal nachzugehen.
Was Heidegger betrifft, sind Einflüsse und Anschlüsse, Schulden und Verbindlichkeiten hinlänglich bekannt.3 Verdanken wir einem bekannten Frankfurter Wort zufolge Hans-Georg Gadamer die Urbanisierung der Heideggerschen Provinz, so bietet uns Kittler deren Mathematisierung. Freilich hatte dieses technisch aufgerüstete seinsgeschichtliche Andockmanöver ein Schrumpfen der vormals so prominenten französischen Verbindung zur Folge. Der hohen Wertschätzung Foucaults, die Kittler in seinem schönen Nachruf Ein Verwaiser bis ins Erotische steigerte, folgte zwei Jahrzehnte später der Bescheid, Foucault habe eigentlich immer nur an, mit und von Heidegger her gedacht. Was bleibt dann noch von Foucault? Nichts als die »lebenslange Umschreibung eines Heideggerwortes: Seinsgeschichte.«4 Damit kehrte Kittler konsequent zu den Fußnoten seiner frühesten Aufsätze zurück, in denen die Diskursanalyse von Les mots et les choses als Epiphänomen seinsgeschichtlicher Erkundungen erscheint. Kurzum, die French connection entpuppt sich als recht innerbadische Affäre. Paris liegt auf dem Feldweg von Freiburg nach Meßkirch, denn bei rechtem Licht besehen ist Paris immer schon eine Art Meßkirch-sur-Seine.
Der Fall Spengler liegt anders. Die Schwierigkeiten beginnen damit, dass trotz oder gerade aufgrund des großen Abstandes Vergleiche zwischen Kittler und Spengler auf den ersten Blick so leicht fallen. Derart viele Analogien und Ähnlichkeiten drängen sich auf, dass man ohne große Mühe dreißig von ihnen Revue passieren lassen kann: Sowohl Kittler als auch Spengler bieten (1.) mitteleuropäisch zentrierte Übergangs- und Umbruchsdiagnosen, denen zufolge eine vornehmlich durch kulturelle Produktion gekennzeichnete Phase von einer verstärkt technisch determinierten abgelöst wird. Während (2.) in jener Goethe symbolhaft überhöht im Mittelpunkt steht, zeichnet sich (3.) diese durch die Vorrangstellung eines bestimmten Berufsstandes aus, nämlich des Ingenieurs. Entscheidend ist (4.) die gleichermaßen programmatische wie polemische Entkoppelung von technischer Entwicklung und sozialem Fortschritt (eine von beiden Theoretikern zum Abschuss freigegebene Vokabel), die Jeffrey Herf in seiner gleichnamigen Studie als Kernstück des reactionary modernism beschrieben hat.5 Wer glaubt, dass es ab dem 19. Jahrhundert vornehmlich deshalb liberaler, demokratischer oder friedlicher zugeht, weil es wissenschaftlicher und technischer zugeht, läuft mit Scheuklappen durch die Welt. Diese irreversible Abfolge wird (5.) mit starker Zäsur-Emphase beschrieben, welche sich (6.) in beiden Fällen einer theorieprägenden Kontinuitätsphobie verdankt. Letztere ist (7.) eng verzahnt mit einem für beide kennzeichnenden Unbehagen am Fetisch der Kommunikation. Dass Spenglers Kulturen so wenig miteinander kommunizieren können wie Kittlers Aufschreibesysteme, hängt maßgeblich von ihrem historischen diskreten Status ab, woraus (8.) hervorgeht, dass die Ergründung dieser Gebilde bei ihren je eigenen ›seelischen‹ bzw. informationstechnischen Ermöglichungsbedingungen ansetzen muss. Was in einer Spenglerschen Großkultur bzw. einem Kittlerschen Aufschreibesystem gedacht und gesagt, besungen und berechnet werden kann, verdankt sich der Entfaltung seelischer Existenz- bzw. technischer Einschreibungsgestelle. Wichtig ist, dass diese Gebilde (9.) relativ plötzlich entstehen und (10.) ihre Evolution bestimmten Eigengesetzlichkeiten unterliegt (wir kommen darauf zurück).
Dies