Wer weniger produziert, benötigt dafür weniger Arbeit und entlässt einen Teil seiner Beschäftigten; der Rest macht unter schlechteren Bedingungen und geringeren Löhnen als vorher weiter. Auch wenn sie sich dagegen wehren: Im langen Abschwung müssen sich die einfachen Menschen nach langen Streiks und Arbeitskämpfen geschlagen geben und für weniger Lohn arbeiten, wie etwa in den 20er Jahren (→ S. 96). Es ist immer derselbe Mechanismus: Im ersten Kondratieffabschwung nach 1815 setzten Handwerker wieder die (vorher zur Zeit der Napoleonischen Kriege längst abgeschafften) Zünfte durch, um vom Wettbewerb der anderen (Arbeitslosen) verschont zu sein (→ S. 50). Die Unternehmer geben den Druck der überlegenen britischen Konkurrenz an die Arbeiter weiter, indem sie wenig zahlen. Heute verschlechtert sich die Position der Beschäftigten durch Zeitarbeit, Flexibilisierung und Outsourcen. Sie werden je nach Bedarf tageweise dazugeholt und zum Beispiel nach Stunden anstatt wie bisher nach Tagessätzen (schlechter) bezahlt. Die Reallöhne werden so lange stagnieren oder sinken, bis wir durch unser Verhalten die gesamtwirtschaftliche Informationsproduktivität erhöht haben.
Unternehmer: Stellen Sie sich vor, Sie sind Unternehmer – Ihre Produktion ist technisch ausgereift und optimal durchorganisiert. In den letzten beiden Jahrzehnten haben Sie durch technische Verbesserungen ständig billiger und besser produzieren können und deswegen Ihren Ausstoß ausgeweitet. Was jetzt noch verbessert wird, ist im Wesentlichen nur noch die Verlängerung des Bestehenden. Investitionen amortisieren sich deshalb nicht mehr so schnell, weswegen Sie weniger investieren oder Neuanschaffungen hinauszögern. Der Marktpreis, den Sie für Ihre Waren erzielen, ist aber fest oder sinkt sogar etwas, weil sich die Unternehmer immer gegenseitig hauchdünn unterbieten, um sich Kunden abzuwerben. Weniger Einnahmen – obwohl es ab jetzt an besseren Herstellungsverfahren fehlt, welche die Kosten senken – stellen Sie vor ein Problem: Sie müssen Gewinn erwirtschaften. Denn wenn Sie keinen Gewinn machen, zahlen Sie drauf, zehren Ihr Betriebsvermögen oder sogar Ihr privates Kapital auf. Doch der Markt drückt Ihren Gewinn gegen null, die Situation wird immer verzweifelter. Was können Sie tun, um Ihre Firma zu erhalten?
Während im langen Aufschwung zahlreiche neue kleine Firmen gegründet werden, sind die langen Kondratieffabschwünge immer eine Zeit der Branchenkonzentration und Unternehmenszusammenschlüsse. Die vielen Kleinen werden geschluckt, gehen in Konkurs und überlassen ihre Kunden dem Konkurrenten. Oder sie fusionieren zu mächtigeren Einheiten – in der Hoffnung auf Synergien. Pure Größe soll Fixkosten wie Verwaltung einsparen. Die möglichen Folgen sind Konzerne und Branchenkartelle, die ihre Preise absprechen und sie so dem Käufer diktieren – wie in den 20er Jahren (→ S. 70). Die Unternehmenskonzentration geht heute quer durch alle Branchen, von den Bierbrauern bis zu den Banken: »wettbewerbsfähiger werden«, »Kostendruck nimmt zu«, »Geschäftsvolumina bündeln«– so lauten die Wortfetzen, die man auf Pressekonferenzen zu hören bekommt. Doch weltweit kommen die Fusionen ins Trudeln. Managementprobleme, Streit über Führungsstil, unterschiedliche Unternehmenskulturen fressen mehr Ressourcen auf, als Synergieeffekte bringen. Denn eine Fusion bedeutet auch immer, dass Mitarbeiter früher unabhängiger Firmen ein neues Informationsnetzwerk knüpfen müssen – das erzeugt Reibungsverluste, die teurer sein können als das, was durch höhere Massenproduktion und niedrigere Fixkosten eingespart wird.
Und selbst wenn das neue Gebilde produktiver fertigt als die zwei kleineren Firmen zuvor: Eine Fusion verschiebt nur die Probleme sinkender Gewinne, die in einem langen Abschwung auftreten. Die Firmen konkurrieren immer mehr um Absatzmärkte statt um Produktionsfaktoren. Wenn die Fixkosten an Maschinen, Fabrikhallen und Verwaltung groß sind, werden Unternehmer die Flucht nach vorne in die Massenproduktion auf Halde antreten, damit der Preis pro Stück geringer wird, sie ihre Waren günstiger verkaufen und daher mehr absetzen können. Doch auch diese Rechnung geht im Kondratieffabschwung nicht auf: 1929 produzierten die Unternehmer Schuhe auf Halde, 1974 Autos. Das Ergebnis ist heute vielleicht nicht mehr bekannt, denn wieder weichen die Firmen auf den Kampf um Marktanteile aus und liefern sich Rabattschlachten mit Schleuderpreisen, anstatt produktiver zu werden oder Neues zu probieren.
Worum sich die Standortdebatte drehen sollte
Der Markt ist aber kein statisches Nullsummenspiel, in dem der, der mehr bekommt, dem anderen etwas wegnimmt; unser Wohlstand ist kein festgelegter Kuchen, auf dessen Verteilung wir uns nun mehr oder weniger gütlich einigen müssen. Wir haben bei höherer Qualität langfristig mehr zu verteilen, wenn wir diesen virtuellen Kuchen vergrößern – in erster Linie, indem wir produktiver werden. Dem werden jetzt viele widersprechen: Die Öffentlichkeit registriert eine Produktivitätssteigerung lediglich als Rationalisierung. So hält sich dort hartnäckig das Gerücht, wir hätten deshalb so hohe Arbeitslosigkeit, weil wir so produktiv geworden sind. Es nährt sich durch Bücher und Vortragsabende über das »Ende der Arbeit«, ob uns nun die Arbeit ausgehe oder dass der unbezahlten Bürgerarbeit die Zukunft gehöre usw.
Was stimmt nun: Haben wir so viele Arbeitslose, weil wir zu produktiv geworden sind, oder ist es umgekehrt so, dass wir gesamtgesellschaftlich nicht ausreichend produktiver geworden sind? Stellen Sie sich dazu das Leben vor sechs Generationen vor. Zu Beginn der Industriellen Revolution arbeiteten über 80 Prozent unserer Vorfahren in der Landwirtschaft. Wenn das so wäre, dass steigende Produktivität Arbeitslosigkeit erzeugt, dann müssten heute fast 80 Prozent derer, die da auf der Strasse herumlaufen, ohne Erwerbsarbeit sein. Das ist, wie wir wissen, nicht der Fall. Seit dem Jahr 1800 ist der Anteil derer, die in der Landwirtschaft tätig sind, stetig gesunken. Sie wurde so produktiv, dass immer mehr Menschen in die Industrie abwandern konnten. Ihr Anteil an allen Erwerbstätigen stieg bis zur besten Ludwig-Erhard-Zeit um 1960 auf die Hälfte an – seitdem sinkt er stark. Die Industrie wurde so effizient, dass immer mehr Menschen Dienstleistungen übernehmen konnten. Das Gegenteil ist also richtig: Die Wirtschaft wächst bei sogar zunehmender Beschäftigung, nur weil wir ausreichend produktiver werden. Und neue Arbeitsplätze entstehen nur dort, wo sie am produktivsten sind.
Die wichtigste Frage für Politik und Unternehmensführung ist daher: Was können wir tun, um den Kuchen zu vergrößern? Wo sind die Kostengrenzen, die limitierenden Faktoren, die das Wachstum jetzt behindern? Wie machen wir sie produktiver? Der künftig erfolgreichste Weg, Kosten langfristig zu senken, ist nicht mehr, eine bessere Maschine zu kaufen oder Leute zu entlassen, sondern dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter produktiver mit Information umgehen (→ Management-Kapitel, S. 248).
Denn Informationsgesellschaft ist weit mehr als eine Fortsetzung der alten Industriegesellschaft mit Computern. In den Generationen unserer Eltern und Großeltern standen die meisten Menschen noch in der Fabrik und haben geschraubt, gefräst, montiert, haben mit ihren Händen die reale materielle Welt bearbeitet; nur ganz wenige haben geplant, organisiert, vermarktet. Dieses Verhältnis hat sich umgedreht: In einer Welt, die ihre Wissensmenge alle drei Jahre verdoppelt, geht es nicht mehr in erster Linie um ein Mehr an Information, sondern darum, sie effizient zu verwalten, um schnell an jene Infos zu kommen, die man braucht, um ein aktuelles Problem zu lösen. Nur dort, wo Menschen Informationen sammeln, recherchieren, aufbereiten, präsentieren, vermitteln, nur noch dort entstehen neue Arbeitsplätze: der quartäre Arbeitsmarktsektor nach Landwirtschaft, Industrie und Dienstleistung.
Wettbewerb findet nicht mehr vor allem über den Preis, sondern über Qualität und Zeitvorsprung statt, also über den Umgang mit Information statt. Produktlebenszyklen haben sich dramatisch verkürzt. Geld verdient häufig nur noch, wer als Erster auf den Markt kommt. Während es im Industriezeitalter darum ging, mit Rohstoffen und Energie effizient umzugehen und die Produktivität von Maschinen zu steigern, hängen Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung erstmals vom effizienten Umgang mit Information ab: von Informationsflüssen zwischen Menschen und im Menschen, von Fortschritten im Menschlichen13: Firmen, in denen derjenige als starker Mitarbeiter gilt, der sich auf Kosten anderer profiliert, werden am Markt nicht bestehen. Wo Informationsströme gestört sind – wo Platzhirsche regieren, Meinungsverschiedenheiten zu Machtkämpfen ausarten, wo Mobbing das Klima bestimmt – stagniert