Lust aufs Alter. Peter Scheer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Scheer
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783854395850
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zu kurzem oder wiederholt unterbrochenem Schlaf leiden. Sie erquicken sich daher auch nicht bei einem Mittagsschlaf, und wenn sie weniger als acht Stunden schlafen, sind sie müde. Bei ihnen ändert sich die Schlafarchitektur im Alter wenig. Das Wichtigste, was man aus der Schlafforschung wissen muss, ist: Es gibt keine Schlafstörung, es gibt nur das subjektive Gefühl, zu wenig geschlafen zu haben. Davon ausgenommen ist das Schlafapnoesyndrom, unter dem vor allem Männer leiden. Sie bekommen im Schlaf zu wenig Luft, ersticken fast und wachen dann müde auf. Schwere Hirnfunktionsstörungen, zum Beispiel nach einem Unfall oder Schlaganfall, können den Schlaf auch verändern; die Altersdemenz kann zu einem oft wiederkehrenden, nicht erquickenden Schlaf führen.

      Die meisten „Schlafstörungen“ kommen jedoch aus der Unfähigkeit, sich an geänderte Umstände anzupassen, wie zum Beispiel das Vorhandensein kleiner Kinder, die in der Nacht essen wollen, oder weil man Nachtdienste machen muss oder eben einfach älter wird und man öfter auf die Toilette muss.

      Es gibt einige Regeln, die man beachten sollte: Aufstehen, wenn weiterschlafen nicht geht. Nur dann liegen bleiben, wenn aufstehen gar nicht geht. Kein gemeinsames Schlafzimmer – besser zwei Zimmer, man kann sich ja jede Nacht besuchen. Es ist selten, dass zwei Menschen denselben Tag-Nacht-Rhythmus haben. Licht machen und alles tun, wozu man Lust hat. Keine Angst vor dem nächsten Tag. (Kein: „Ich muss morgen frisch sein!“) Nicht unbedingt zu schlafen versuchen, weil man am nächsten Tag zum Beispiel einen frühen Termin hat. Schlaf lässt sich nicht erzwingen, also soll man’s erst gar nicht versuchen. Es macht auch nichts, wenn man einmal eine Nacht durchmacht. Als Junger hat man das aus erfreulichen Gründen, etwa für ein Fest, gemacht, als Alter nützt man die Zeit und schreibt oder liest oder spaziert durch die menschenleere Stadt. Man ist nie mehr so ausgeschlafen, wie man es mit zehn oder elf Jahre war. Es macht nichts, dass man manchmal am Tag müde ist und einnickt; man hat nur mehr selten Wichtiges zu tun. Alles gelingt besser, wenn man sich nicht einredet, dass man müde ist. Daher gibt es auch fast keinen Grund, am Abend nicht Kaffee zu trinken und sofort daran zu denken, dass man dann nicht schlafen kann. Das zeigt nur, dass einem das Schlafen zu wichtig geworden ist. Dabei könnte es einem doch um jede Minute schade sein, die man von dem noch zu erwartenden Erdendasein verschläft. Koffein führt an sich nicht zu Schlaflosigkeit, sondern zu einer besseren Atmung, weswegen es auch bei Frühgeborenen, die an einer Regulationsstörung der Atmung im Schlaf leiden, verwendet wird.

      Da Sie nun wissen und verstehen, dass es keine Schlafstörung gibt, haben Sie auch keine. Sollte Ihr Schlafrhythmus mit dem Ihres Partners nicht harmonieren, ziehen Sie schleunigst aus dem ehelichen Schlafzimmer aus und schlafen Sie, wenn Ihnen danach ist, suchen Sie sich eine Beschäftigung für die unterbrochenen Nächte oder fühlen Sie sich einfach heiter müde, denn es ändert gar nichts, wenn Sie sich ärgern. Haben Sie das alles beherzigt, brauchen Sie meist kein natürliches Beruhigungsmittel wie Baldrian, kein Schlafmittel und keinen Wein am Abend. Sollten Sie sich aber an solche Mittel gewöhnt haben, überlegen Sie sich, ob es noch lohnt, sie sich wieder abzugewöhnen. Welche Nebenwirkungen will ich vermeiden? Schadet es meiner Gedächtnisleistung? Werde ich dadurch unfallanfälliger? Wenn Sie diese Fragen negativ beantworten (gemeinsam mit ihrem Arzt), dann frage ich Sie: Warum wollen Sie sich das wieder abgewöhnen?

       Gesundheit war einmal, nur die Todesangst treibt an

      Die meisten Menschen beginnen sich um ihre Gesundheit zu kümmern, wenn es zu spät ist. Wie ich in dem Buch „Taubenfüttern allein ist nicht genug“, dessen Fortsetzung sie in Händen halten, geschrieben habe, führen die meisten Lebensstiländerungen statistisch nur bis zum vierzigsten Lebensjahr zu einem besseren und gesünderen Alter. Damals hatte man aber keine Zeit oder keine Lust oder einfach noch keine Todesangst – und so änderte man nichts. Hingegen wird aber großer Wert auf die Gesundheit dann gelegt, wenn sie im Schwinden begriffen ist. Gesundenuntersuchungen bei Senioren verlieren aber ihren Wert, wenn keine Gesundheit mehr festzustellen ist. Ebenso verhält es sich mit den Anweisungen zum Essen – also zu Diäten – und der Aufforderung, mehr Bewegung zu machen.

      In einem Fernsehbericht über die „wahrhaften“9 Inglourious Basterds 10, also jenen Kämpfern des jüdischen Korps der Haganah (israelische Armee), die nach dem Krieg Naziverbrecher stellten und ohne Urteil töteten, sah man einen fünfundachtzigjährigen Mann, der sein ganzes Leben in einem Kibbuz schwer gearbeitet hatte. In der Dokumentation sieht man, wie er in der Früh nach dem Aufstehen im Unterleibchen Turnübungen macht. Der einstige militärische Drill ist noch spürbar, weshalb diese Übungen wahrscheinlich in der Dokumentation gezeigt wurden.

      Aus medizinischer Sicht haben Fitness- und Lebensstilvorschläge im Alter nur den Sinn, dass man sich jetzt besser fühlt, dass man beweglich bleibt, Treppen steigen kann, nicht traurig wird, weil man zuerst körperlich, dann geistig zunehmend abbaut, und dass man nicht so dick wird, dass an Bewegung kaum mehr zu denken ist. Das ist fein und erfreulich genug.

      Besorgniserregend wird es jedoch, wenn alte Menschen sich von ihrer Angst dominieren lassen. Da wird zunehmend auf Salz verzichtet, angeblich wegen des Bluthochdrucks. Da erzählen ältere Menschen, dass sie dieses und jenes nicht mehr vertragen, und bekommen Diäten empfohlen, die das Leben zwar nur selten (etwa im Fall der erforderlichen Eiweißreduktion bei Nierenkranken) verlängern, es für die Betroffenen und deren Umgebung aber schwieriger machen. Warum so viel Angst und – auch wenn diese verständlich ist – warum ihr nachgeben? Nahrungsergänzungsmittel und Vitamine, besondere Qualitäten des Essens, Rücksichtnahme auf Fettstoffwechsel und Elektrolyte, all das ist nur dann gerechtfertigt, wenn sich dadurch das aktuelle Lebensgefühl verbessert. Wenn diese Maßnahmen zu einem Korsett werden, das gegen die Todesangst geschnürt wurde, wäre es besser, diese Angst zu bearbeiten statt ihr nachzugeben. Das Ausmaß an Beeinflussbarkeit der durch die höhere Lebenserwartung zunehmenden Alterskrankheiten wie Bluthochdruck und Hypercholesterinämie durch Diäten ist erschreckend gering. Komisch ist vor allem, dass die höhere Lebenserwartung zu einer Steigerung der Todesangst geführt hat (vor allem durch den Verlust der unmittelbaren Auferstehungshoffnung).

      Das lange Leben wirklich alt gewordener Menschen hat mehr mit Genetik und guter Lebensführung von Geburt an sowie mit gelungenen Beziehungen zu tun (im ländlichen Raum Japans zum Beispiel sind Tagesrhythmik, Essgewohnheiten und Lebensplanung seit Jahrhunderten unverändert). Die einzige Diät, die sich als lebensverlängernd herausgestellt hat, ist: wenig essen. Ob man das macht, wie heutzutage oft gepriesen, indem man jeden zweiten Tag nichts isst oder einfach immer wenig isst, sei jedem selbst überlassen. Aber jeder, der wenig isst, hat bessere Chancen, alt zu werden, sogar über sein genetisches Alter hinaus, als der, der dick ist. Dick wird man im Alter leicht, das Ausmaß an Bewegung nimmt ab, essen gehört zu den Tätigkeiten, die problemlos zu bewältigen sind und Spaß machen, zudem fördert es die soziale Interaktion, weil man meistens nicht alleine isst, und wenn es dazu auch noch etwas Alkohol gibt, wird die Zunge leicht und das Herz unbeschwert. Warum auch nicht?

      Stattdessen wird den verschiedenen Wehwehchen nachgegangen, Arztbesuche werden zu den wichtigsten Terminen und die Ratschläge der Ärzte werden ernstgenommen.

      Ich rate davon ab!

      Essen Sie, was Ihnen schmeckt, und nicht, was angeblich gesund ist. Machen Sie ausreichend Bewegung, es tut Ihnen gut und Sie fühlen sich danach viel besser. Lachen Sie viel und nehmen Sie immer weniger ernst. Vor allem nicht sich selbst, denn Sie sind der Schauspieler, dem der Souffleur langsam das Zeichen gibt, von der Bühne abzutreten. Das ist nicht schlimm. Sie und ich, wir hatten unsere Chance und sie wird nicht wiederkommen. Nur wenige von uns haben noch die Chance, Papst oder Präsident zu werden. Schade, aber so ist es. Das sich nun auftuende Loch mit Sorgen um die eigene Gesundheit zu füllen, ist schal und dumm. Man könnte fast sagen: Je weniger Leben noch übrig ist, desto mehr hängt man daran. Wie eine Wurst, von der man eine Scheibe abschneidet und, da man sie nicht ganz durchgeschnitten hat, ein kleines Stück Haut noch festhängt. Unbedacht reißt man es – im besten Fall – ab. Oder man zieht es in die Länge, den Rest kennen Sie.

      Die österreichische Schauspielerin und Kabarettistin Topsy Küppers (* 1931), einst Gattin des wunderbaren Georg Kreisler (1922 – 2011), bekam mit zweiundachtzig Jahren Krebs und hat nun ein Buch darüber geschrieben. „Mein Ungustl: Ein widerlicher Gast“ (Langen Müller, 2015), so nennt sie ihren Tumor, den sie mithilfe der Ärzte besiegt zu haben