Lust aufs Alter. Peter Scheer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Scheer
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783854395850
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wie es in der Steiermark heißt, leben im eigenen Haus und nicht im Altersheim. Nur wenn wir nicht weitergeben wollen, wenn wir den Hof nicht überschreiben, die Jungen nicht ins Grundbuch lassen, dann werden wir zu Recht rausgedrängt, weil wir nicht loslassen können, unterdrückerisch sind oder einfach besserwisserisch. Also seien Sie fröhlich und heiter und geben Sie keine Ratschläge!

      Während ich das an einem noch kalten Vorfrühlingstag schreibe, muss ich zweimal zurückscrollen, um mich der Kapiteleinteilung zu vergewissern. Dies, obwohl ich joggen war und hin und zurück mit dem Fahrrad zum Treffpunkt mit dem Partner gefahren bin. So ist das mit der Verfasstheit eines Pensionisten. Sie wird schlechter.

      Inzwischen schreiten die Jungen voran. Sie wissen mehr, und was sie nicht wissen, schauen sie nach. Sicher, auch sie haben Schwächen. Ihr Computer stürzt gern aufgrund von Überlastung ab und das, was sie in Wikipedia finden, stimmt nicht immer und sie können den Wahrheitsgehalt von Meldungen oft nicht richtig einschätzen. Aber diese kleinen Fehler lassen sich ausbügeln.

      Die Fehler der Alten hingegen sind schwerwiegender. Sie erinnern sich gern an „ihre“ Zeit, sie kennen das Heute wenig oder schlecht, sie wollen von sich reden und zuletzt: sie wissen es besser.

      Vor nichts muss man sich so hüten wie vor Besserwisserei. Nicht nur dass sie unsympathisch macht, nein, meistens hat man auch noch unrecht.

      Der österreichische Architekt Harry Glück (* 1925) wurde zu seiner Zeit wegen seiner Gemeindebauten heftig angefeindet. Friedensreich Hundertwasser (1928 – 2000) warf ihm vor, er mache nur das, was die Stadt Wien und die Betonierer von ihm verlangten. Dann schuf er den Wohnpark Alt-Erlaa mit Schwimmbecken am Dach und Blumentrögen auf den Terrassen. Er sprach von seiner Philosophie, davon, dass der Mensch Wasser und Pflanzen brauche, um leben zu können – und heute ist er ein Genie, das zu seiner Zeit eben verkannt war. Was haben die Menschen geschimpft! Der Wind verfinge sich in den Bauten, sie würden wegen ihrer Höhe schwanken, das Schwimmbad am Dach sei nicht zu benutzen, weil im Sturm zu kalt, und überdies seien die Wohnungen zu teuer und zu entlegen, der Verkehr würde durch sie um ein Vielfaches zunehmen und daher seien diese Bauten mehr Belastung als Freude. All diese Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet. Dasselbe geschah bei der Schleifung der Wiener Stadtmauer und der Errichtung der Ringstraßenpalais. Manche lehnten das damals ab. Vielleicht muss das so sein. Das Neue überrascht, ist unvertraut und wird daher zurückgewiesen.

      Auch in der Politik weiß fast jeder, wie es besser zu machen wäre. Einmal gab es in Österreich eine Koalition aus ÖVP und FPÖ. Wesentliche Weichen wurden gestellt, das Pensionsrecht verändert, so dass es möglich scheint, dass die Pensionen noch ein paar Jahre bezahlt werden können. Ein „Solidarbeitrag“ wurde bei den höheren Pensionen eingeführt, also eine Kürzung, der man diesen schönen Namen gegeben hat. Sicher komisch. Da zahlt der Staat seinen Beamten eine gute Pension, weil diese im Erwerbsleben ein geringeres Einkommen hatten als zum Beispiel Freiberufler, allerdings auch nicht deren Risiko. Es wird eine Lebensarbeitssumme errechnet und ausgezahlt. Natürlich haben alle anderen längst vergessen, dass sie jahrelang ein höheres Einkommen hatten als die Beamten, und wenn sie sich doch erinnern, rechnen sie es ihren Fähigkeiten und der Faulheit der Beamten zu. Somit gönnt keiner den Beamten ihre Pension. Der Souverän, das Volk, reduziert sie also, und damit das ohne Streik und ohne allzu viel Lärm einhergeht, nennt man es „Solidarbeitrag“ und schon ist die Pille mit einem Zuckerguss überzogen und wird geschluckt. Was kann man da besser machen? Nichts. Denn die Pensionen sind nicht finanzierbar. Entweder müssen die Menschen mehr zahlen oder früher sterben oder mehr Kinder haben. Zu viele Alte, zu wenige Junge und mäßige Wirtschaftsdaten erforderten diese Reformen.

      Wie leicht kränkt man sich dann über eine solche Vorgehensweise. Denn wer will schon auf etwas verzichten, indem er zum Beispiel dazu beiträgt, dass auch in Zukunft, dann, wenn er längst nicht mehr lebt, die Pensionen finanzierbar bleiben?

      Noch leichter lässt es sich über Kränkungen durch die Kinder und Enkel verzweifeln, die auf die Meinung der Alten keinen Wert legen. Das sollte Sie aber keineswegs kränken, denn es macht nichts. Was heißt schon „Wert legen“? Dass man Sie ernst nimmt. Warum wollen Sie unbedingt ernst genommen werden? Das will doch nur jemand, der sich selbst ernst nimmt, und das sollen Sie nicht tun. Es macht nur traurig.

      Sie könnten auf den Gedanken kommen, dass Sie es wirklich besser wissen. Das wäre schade. Wie kommen Sie darauf? Und selbst wenn es so sein sollte: Erinnern Sie sich, jede Generation muss ihre eigenen Erfahrungen machen. Was denken Sie, wie viele junge Menschen dieses Buch lesen werden? Wie viele werden meinen Erfahrungsschatz in Anspruch nehmen wollen? Sie sind an einer Hand abzuzählen. Ich finde das nicht gut, weil ich natürlich hoffe, dass alle Menschen mein Buch kaufen und lesen. Meine Träume weisen mir diesen Weg. Aber natürlich wird es nicht so sein. Noch kann ich meine Träume von der Wirklichkeit unterscheiden. Mein Buch wird vielleicht von älteren Menschen gelesen, sie werden manches gut, manches schlecht finden. Auf jeden Fall aber werden meine Leser wissen, wie es besser zu machen gewesen wäre. Ich habe es da leicht. Ich vergleiche mich neuerdings mit jenen, die nichts tun. Diese Gruppe ist gar nicht so klein. Es gibt einfach Menschen, die gern ein Buch geschrieben hätten, die gern in der Früh aufgestanden wären, gern auf den Berg gegangen wären, gern mehr reisen würden. Nur, sie machen es nicht. Der Hund braucht sie, die Enkel oder andere Umstände halten sie an dem Ort, an dem sie angeblich nicht sein wollen. Und so verhält es sich mit allem, was man machen will. Die Umstände lassen es scheinbar nicht zu. Manchmal mag das ja stimmen, aber öfter sind wir es selbst, die es nicht zulassen, die wir uns im Weg stehen. Dabei ist es doch viel wichtiger, dass sie das kurze Stück, das sie noch gesund gehen können, erleben, genießen und freudig annehmen. Denn das, was sie weiterzugeben haben, das, für das sie wertgeschätzt werden wollen, das ist vorbei.

      Alte Menschen, unglückliche Pensionisten, selbst die, welche in Phase drei sind – also im „gesunden Alter“ –, denken gern über ihre möglichen Krankheiten nach. Sie haben hie und da Schmerzen, fühlen sich an manchen Tagen nicht wohl und schlafen nach einem reichlichen Abendessen schlecht oder wachen nachts auf.

       Die Schlafstörung

      Das Schlafen wird beobachtet, Veränderungen werden gern als Schlafstörung empfunden. Ein amerikanischer Forscher, James J. McKenna7, konnte zeigen, dass es – jedenfalls bei Babys – keine Schlafstörungen gibt. Babys wachen einfach immer wieder auf und es liegt nur an der Reaktion der Umgebung, ob sie danach lang oder kurz wach sind. Die „Störung“ wird von der Umgebung diagnostiziert, die zum Beispiel gern durchschlafen würde. Schlafstörungen sind ein subjektiver Befund. Meine Frau und ich schlafen ganz unterschiedlich. Gestern schlief sie um 15.45 Uhr ein, nachdem sie ein Steak und etwas Brot gegessen hatte, schlief dann bis 20 Uhr, arbeitete bis 23.30 Uhr und wachte um 5.40 Uhr auf, weil ich sie weckte. Sie ging dann eine Stunde schwimmen. Ich hingegen war gestern um 6.20 Uhr joggen und radelte danach nach Hause. Seit ich Pensionist bin, erlaube ich mir manchmal, selbst wenn das Wetter strahlend schön ist und ich an sich im Freien sein müsste, ein Bad am Vormittag zu nehmen. Danach trockne ich mich kaum ab, ziehe mir den Bademantel mit Kapuze an und gehe nach den Anweisungen Sebastian Kneipps halbnass ins Bett. Ich schlief dann bis 10.45 Uhr, aß ein Müsli mit steirischem Apfel und südafrikanischen Weintrauben und schrieb an diesem Buch weiter. Im Garten schien die Sonne, sodass ich bei offenem Fenster die Gesänge der Vögel hörte. Zu Mittag aß ich ein Brot und, wie meine Frau, um 15 Uhr ein Steak. Nach einem Wissenschaftstermin und einem Treffen in einem Kaffeehaus spielte ich von 18 bis 22 Uhr Tarock, ein Kartenspiel. Mit dem Fahrrad nach Hause gekommen, war ich, trotz zwei halben Liter Bier und einer scharfen Wurst, hellwach und ging erst um 1.40 Uhr schlafen. Um 5.45 Uhr wurde ich wieder geweckt – Schwimmen für meine Frau, Joggen für mich stand auf dem Programm. Sowohl meine sechzigjährige Frau als auch ich schlafen also sowohl am Tag als auch in der Nacht, mal so, mal so. „Dem Schlaf braucht man nicht hinterherzurennen, der holt einen schon ein, wenn man ihn braucht“, sagte sie einmal. Wir genießen die Errungenschaft des elektrischen Lichts, stehen manchmal nachts auf, legen uns am Tag hin und schlafen und wachen wie die Tiere, die McKenna so wunderbar beobachtet hat.

      Wir kennen allerdings auch Menschen, die