Feingeist. Dankmar H. Isleib. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dankmar H. Isleib
Издательство: Bookwire
Серия: münchenMAFIAmord
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783981837896
Скачать книгу
Mann um die Fünfzig stieg zu mir ins Auto, während er das mit monotoner, fast lautloser Stimme sagte.

      Ich hatte ihn im Rückspiegel kommen sehen; der Fremde hatte dreißig Meter hinter mir geparkt. Leicht ergrauter Kopf, Oberlippenbart, gepflegte Hände, unsicherer Schritt.

      Kaum saß er im fast neuen Jaguar neben mir, zog er eine DVD aus seiner Jackentasche. Übergab sie mir, öffnete die Beifahrertür und schlug sie hinter sich zu. Der Stille ging wieder zu seinem Audi, stieg ein und drehte. Gab sanft Gas und verschwand Richtung Süden. Da, wo ich herkam. Bog links in die Pfeuferstraße ein und das war‘s auch schon. Schöner Sonntagsausflug.

      „Meine einzige Tochter wurde ermordet“ – das war auch das Einzige, was er zu mir gesagt hatte. Was sollte ich damit anfangen? Verschwand einfach wieder. Ließ mich schlichtweg sitzen.

      Was für ein Freak!

      Ich war, zugegeben, einigermaßen verblüfft. Amateure verhalten sich anders. Die quatschen dich tot. Angst in der Stimme, den Augen. Auf der anderen Seite sah der nicht aus wie einer, der aus unserem Gewerbe stammt und schon gar nicht wie ein Gangster.

      Ich habe einen Riecher für miese Typen.

      Keine Falle für den ‚Doktor‘. Also blieb ich noch stehen, genoss den Duft des herrlichen Soft-Grain-Leders in meiner Angeberkarre und legte die DVD ein. 8-Inch Color Touchscreen Display.

      Rascheln, dann war der Typ, der mir gerade die DVD übergeben hatte, halbwegs zu erkennen, wie er sich von unten ins Bild schob. Amateur.

      Also doch.

      Räuspern.

      Mit fester Stimme begann er:

      „Meine einzige Tochter wurde ermordet. Gerade mal 22 Jahre alt. Ich bin Staatssekretär im bayerischen Bauministerium. Gina, meine Tochter, haben ‚die‘ sich als Hausnutte gehalten. Als Nutte! Meine Tochter! Erpresst! Womit, weiß ich nicht. Sie hatte es mir vor zwei Wochen gebeichtet. Also dass sie sich für ‚die’ prostituieren muss. Aber nicht, weswegen und womit man sie erpresst hatte. Und schon gar nicht, wer ‚die‘ sind. Können Sie sich das vorstellen? Sie musste für diese Schweine die Beine breitmachen! Meine Tochter! Ich war geschockt. Entsetzlich geschockt. Kaum hatte sie mir das erzählt – ich bin geschieden, müssen Sie wissen – war sie auch schon tot. Am darauffolgenden Wochenende. Lag in ihrem Bett. Stand einfach nicht mehr auf.“

      Jetzt rollten dem schlanken Mann Tränen über das Gesicht. Ich ließ ihm Zeit. Er machte einen fertigen Eindruck. Mit einem großen, weißen Taschentuch schnäuzte er sich verschämt. Er rang nach Fassung, richtete sich wieder einigermaßen auf und setzte seinen Bericht fort:

      „Entschuldigung. Gina sah so schön, so unschuldig aus. Lag in ihrem Bett. Einfach so. Ich versuchte sie wachzurütteln. Nichts. Dann rief ich den Notarzt. Der stand schon zwei Minuten später vor unserer Haustür. Damals wunderte es mich nicht. Ich war ja froh, dass die Ambulanz so schnell kam. Der Arzt stellte einen natürlichen Tod fest, Herzversagen. Einfach so. Bei einer Zweiundzwanzigjährigen! Aber das glaube ich nicht. Denn ich hatte an ihren Armen und am Hals große Hämatome gesehen.“

      Wieder machte er eine Pause.

      Diesmal schaute er weiter in die Kamera und die Trauer in seinen Augen war herzzerreißend. Selbst für einen abgeklärten Agenten wie mich. Dann sagte er:

      „Ja, die hätten ihr bei einem ‚Sexunfall‘ zugefügt werden können. Aber sie war seit Freitagmittag nicht mehr aus dem Haus gegangen. Und sie hatte auch keinen Besuch. Mir wäre das aufgefallen. Das mit den Hämatomen. Und wenn sie Besuch gehabt hätte. Denn seit ich von ihrem fürchterlichen, ungewollten Doppelleben wusste, habe ich sie mit ganz anderen Augen sehr aufmerksam betrachtet. Ich liebe doch meine Tochter! Der Notarzt verhielt sich merkwürdig. Ich wurde misstrauisch. Ich verlangte nach einem Amtsarzt, der die Todesursache ‚Herzversagen‘ bestätigt. Da zückte er einen Ausweis. Er sei Amtsarzt. Sagte er. Dr. med. Erwin Kravatt. So stand es auf seiner Plastikkarte. Und er stellte einen Totenschein aus. Den hatte er auch bei sich. Er musste dafür nicht mal zum Krankenwagen nach draußen gehen. Es kam auch kein Sanitäter mit ins Haus. Ich war zu fertig, um mir etwas dabei zu denken, verstehen Sie?“

      Die nächste Pause.

      Länger.

      Noch immer hatte er seinen Namen nicht genannt.

      Er starrte ins Leere. Musste sich erneut sammeln. Dann sprach er – jetzt mit leiser, fast unhörbarer Stimme, völlig verzweifelt – wieder in die Kamera, die er wohl direkt vor sich aufgebaut hatte, denn es war nur sein ständig sich bewegender Kopf groß und sehr oval zu sehen.

      Amateur.

      Alles in allem eine unwirkliche, absurde Situation. Ich war gefesselt und schaute gebannt auf meinen kleinen Monitor im Auto:

      „Ich bin Fred Wille. Sie werden meinen Namen brauchen. Denn ich bitte Sie, den Mörder meiner Tochter zu finden. Ich weiß, dass sie der Beste sind, Herr Richter. Auf Ihr Konto habe ich Zwanzigtausend überwiesen. Mehr kann ich zur Zeit nicht aufbringen. Das Haus ist abgezahlt, aber ich muss meine Geschiedene durchfüttern und jetzt die Beerdigung. Sie war erst gestern, müssen Sie wissen. Das arme, arme Mädchen. Meine Tochter! Ich recherchierte in den letzten Tagen, so gut ich konnte. Den Arzt habe ich hier an keiner Klinik gefunden; er hat auch anscheinend keine Praxis in München. Zufall oder nicht? Nach nur wenigen Minuten, wo ich doch ziemlich abseits wohne?“

      Pause. Rascheln. Erneutes Naseputzen.

      „Und, was ich ihnen noch sagen will: Mir war schon seit etlichen Jahren einiges im Ministerium komisch vorgekommen. Nein, ich habe keine Beweise. Aber wenn Sie mich fragen: Es ist einer unserer Minister in merkwürdige, um nicht zu sagen, mafiöse Geschäfte verwickelt. Welcher Art? Ich kann es nicht sagen. Bitte, finden Sie das heraus. Da gibt es Geldbewegungen, die keinen Sinn ergeben. Sie müssen wissen, ich habe Zugang zu vertraulichen Dokumenten vom Finanzministerium, dem Bauministerium und dem Umweltministerium. Da fehlten Etliche. Auf einmal. Es ist ja bei der Behörde alles durchstrukturiert und korrekt abgespeichert. Das wissen Sie am besten. Die Dokumente, die ich noch kurz zuvor gesehen hatte, waren nicht mehr da. Alle verschwunden. Auch nicht mehr auf dem Hauptrechner. Nicht aus meinem Ministerium. Eigenartigerweise aus dem Kultusministerium. Glaube ich jedenfalls. Da waren sie zuletzt und nun weg. Wie das mit den anderen Ministerien zusammenhängt, kann ich nicht sagen. Da hatte ich mich eingehackt, wie man so sagt, weil die Zahlungen zum Teil dorthin liefen. Große Summen. Immer wieder. Also mit dem richtigen Passwort. Sie verstehen: Ich muss wissen, wer meine Tochter umgebracht hat! Ich muss. Bitte! Finden Sie den Mörder meiner Tochter! Ich …“

      Da brachen die teilweise konfusen Sätze der Aufzeichnung ab.

      Was Herr Wille mir sonst noch sagen wollte, steht in den Sternen. Es war auf dem Monitor nur noch Grau zu sehen und ein lautes Rauschen zu hören. Minutenlang. Aber es kam nichts mehr. Nicht sehr ergiebig, nicht gut strukturiert, was er andeutete, aber meine Neugier war geweckt.

      Das Abhören hatte eine halbe Stunde in Anspruch genommen, denn ich hatte mir das Gespräch mehrfach angesehen und angehört, um irgendetwas an zusätzlichen Informationen entdecken oder die Aufzeichnung als Fake, als Falle identifizieren zu können.

      Doch es gab nichts.

      Nichts, was mir irgendeinen Hinweis auf irgendetwas gegeben hätte. Das war alles echt. Auch die Verzweiflung in der Stimme des Herrn Staatssekretärs Wille. Also nahm ich die DVD wieder aus dem Fach, steckte sie in die Hülle zurück und legte sie neben mich auf den Beifahrersitz. Ich suchte meine Festplatte ab. Die passende Musik musste es jetzt sein, damit ich besser nachdenken konnte. Ich blieb bei Steve Ray Vaughan hängen.

      Ja, ich gebe es zu: Ich stehe auf Blues und Bluesrock. Altmodisch? Vielleicht. Aber gut!

      „Little Wing“: „Well she‘s walking through the clouds / With a circus mind that‘s running wild / Butterflies and zebras / And moonbeams and a fairy tale / That‘s all she ever thinks about / Riding the wind…“

      Ich wendete meinen neuen F-16 auf der breiten Straße.

      Ein Geschenk von Anna zu meinem Fünfunddreißigsten.