Aly erhob sich langsam. Mit der einen Hand stützte sie sich an einem der Holzpfeiler ab, die das Vordach der Veranda trugen, mit der anderen strich sie den Leinenkittel glatt.
»Es war alles gut«, murmelte sie. »Was ist nur geschehen?«
»Es ist alles gut und es wird alles gut. Denn es ist alles so, wie es sein soll.«
Aly hob den Kopf. »Du hast recht. Es ist, wie es ist.«
Bei diesen Worten war es ihr, als ob aller Schmerz abfiele, aller Kummer, alle Trauer.
»Es wird eine gute Ernte!«, rief sie der Gestalt zu. »Wir müssen nur daran glauben!«
Mit diesen Worten sprang sie von der Veranda und lief zu dem Wesen, quer über den Acker, der unter ihren Füßen zu neuem Leben gerufen wurde. Sie hinterließ eine Spur des Wachstums und der Kraft, der Freude und Liebe und alles, alles war von einem roten Licht überhaucht, das von ihr ausging.
Bei ihm angekommen blieb sie stehen, blickte zu ihm hoch. »Du bist der, auf den ich gewartet habe?«, fragte sie lächelnd. »Whiall chomain, willkommen zu Hause. Es ist alles bereit für dich. Aber erst müssen wir ernten!«
Und mit einem Lachen wirbelte sie um ihre Achse, tanzte durch das Feld und strich mit den Händen über die prallen Lichtähren. »Gebt, ihr Lieben, gebt, was ihr habt! Das Warten hat ein Ende!«
Als die Nachtschicht das Schlaflabor erreichte, wurde sie von einem blauen Licht geblendet, das aus dem Zimmer der rotlockigen Frau drang. Übernatürlich sei es gewesen, würden sie später sagen. Unheimlich. Aber da es keine Beweise gab und die betreffende Patientin ebenso hartnäckig schwieg wie der Student, der für die Nachtwache eingeteilt war, glaubte man ihnen nicht und der Vorfall geriet bald in Vergessenheit.
Die Frau und der Student trafen sich nicht wieder. Als er zur nächsten Nachtschicht eintraf, hatte sie das Schlaflabor bereits verlassen. Nur manchmal, im Traum, war es ihnen, als wäre da eine verwandte Seele an ihrer Seite, die ihnen den Weg zeigte, Mut machte – und Licht schickte.
Soft Skills, Hard Days
Ich schlafe. Ich wache. Ich träume. Ich bin. Einatmen, ausatmen – tief dringt der Duft des weed in meine Lunge, bringt Bilder mit sich; Bilder, die sich aus einem Nebel heraus klären, fokussieren. Mit nadelspitzen Stichen werden sie fieberhaft hinter meine Lider gestickt. Welten entstehen, greifbare Universen. Ich kann sie riechen, fühlen, schmecken. Meine Nerven summen, die Muskeln spannen sich an, mein ganzer Körper ist auf dem Sprung. Alles, was eben noch weich war, biegsam und sanft, wird hart und unnachgiebig. Ich suche nicht länger den Kompromiss, ich suche die Konfrontation.
Da sind Hände auf mir; zarte Hände, warme, weiche Hände; die Finger lang und schmal. Ich spüre sie, möchte sie packen, möchte mein Gesicht in ihnen vergraben, doch meine Arme sind festgebunden. Sie hat es getan, sie hat mich gefesselt, als es noch nicht nötig war. Als ich eben so weich und nachgiebig und reif war wie sie. Küss mich, denke ich. Schenke mir Erlösung. Doch sie streichelt nur; langsam und quälend. Hin und wieder lässt sie ihren Fingerspitzen freien Lauf, lässt sie verspielt tänzeln, Muster auf meine Haut zeichnen, die tief in mein Fleisch einsinken. Das Sehnen in mir wächst und wächst, es wird mich zerreißen, doch ich will nicht, dass sie aufhört.
Ich presse die Augen hinter der Seidenmaske zusammen. Es ist die Seidenmaske, die ich vor einer gefühlten Ewigkeit übergestreift habe; damals, als ich diesen Raum betrat; damals, als ich meine Kleider abgelegt habe, mich auf diesen Stuhl gesetzt habe, mit klopfendem Herzen und trockener Kehle. Die Zeitspanne im Niemandsland, zwischen meinen ersten wirren Erwartungen und ihrem Eintreten schärft alle Sinne, macht das innere Auge weit. Die Fantasie treibt ihre Blüten.
Kein Lichtstrahl der hiesigen Realität soll mich stören. Allein den Reizen ihrer Hände ausgesetzt, strecke ich mich fern von Zeit und Raum, werde groß und mächtig. Das Sehnen verleiht mir Beine, lange, gestreckte, kraftvolle Beine. Ich steige mutwillig auf die Hinterhand, lasse mich auf den Sandboden zurückfallen, scharre mit den Hufen und sprinte unvermittelt los. Laufen, Laufen, nur Laufen. Der Wind umgibt mich. Für einen Moment ist er Kamerad, doch nur einen Herzschlag später wird er zum Konkurrenten.
Ich strecke mich, spanne jeden Muskel dieses Körpers, der mir inzwischen so vertraut ist. Und schon bin ich dem Wind voraus. Eine Nasenlänge, zwei – ich laufe und laufe. Ihre Hände, diese unschuldigen, nachgiebigen Hände, begleiten mich, fordern mich, zwingen mich hinein in diese Raserei. Ich sehe den Horizont hinter der Klippe auftauchen, die ich entlang presche. Er kommt mit jedem Atemzug näher. Nach der Klippe folgt eine gähnende Leere, hintendran das Meer. Doch vorher viele Felsen, scharfkantig und gnadenlos. Aber ich habe keine Angst, die kenne ich hier nicht; nicht hier, nicht in meiner Welt. Mit einem Lachen werfe ich den Kopf zurück, stoße mich vom harten Boden ab, springe – hinauf, hinauf! Breite die Flügel aus, die mir gerade jetzt aus den Schultern brechen, wie Schneeglöckchen durch den schorfigen Firn.
Mit dem Wind unter den Schwingen brauche ich die Beine nicht mehr, ziehe sie wieder ein. Noch in der Hetze gefangen, schlage ich mit den Flügeln, hinauf, hinauf, der Sonne entgegen, solange bis ich ruhiger werde, Luft hole, mich treiben lasse auf den Strömen der Thermik. Aller Druck weicht von meinen Schultern. Mein Herz beruhigt sich allmählich, der Atem geht gleichmäßig und ruhig. Ich segle. Ich weine. In diesem Moment existiert der wahre Friede. Die Hände schweigen. Sie ruhen auf meinen Schultern, weißen Friedenstauben gleich, lassen mir Raum und Zeit im Überfluss. Diese Freiheit aber, je länger, je tiefer ich sie erfahre, schnürt mir Herz und Seele zu. Ich bin zu klein, um das hier wirklich zu begreifen. Und doch strecke ich mich gleichzeitig weit hinaus. Meine Schwingen werden raumgreifend. Ich möchte diese Welt umarmen, möchte sie an mein wundes Herz pressen und mich an ihrer Kühle laben.
Ich atme tief – ein, aus, ein, aus. Der Nebel lichtet sich etwas. Meine Augen wollen wieder klar sehen. Ich merke, wie die Spannung von ihnen abfällt. Ich kehre zurück, bin sicher gelandet hinter den Blindfolds.
Ich weiß, dass sie jetzt hinter mir steht. Ich spüre ihren warmen, weichen Körper, der sich unaufdringlich an meinen Rücken schmiegt. Ich möchte mich nach hinten fallen lassen, hinein in ihre Arme, möchte ihr erzählen, was ich erlebe, was ich empfinde, möchte wieder so weich werden wie sie. Doch wir werden uns nie näher sein als in diesem Moment, auch später nicht. Dieser kurze Moment, in dem sie hinter mir steht und ihre Brust sich im Gleichklang meines Herzens hebt und senkt.
Gerade als ich mich dem Rhythmus ihres Seins hingeben will, begeben sich ihre Hände wieder auf Wanderschaft, streichen an der Außenseite meiner Arme hinunter, streifen an der Innenseite wieder hinauf.
»Vertraust du?«, flüstert ihre Altstimme in meinem Kopf. »Kannst du das? Willst du das?«
Das wohlbekannte quälende Ziehen meldet sich wieder, diesmal direkt aus meinen Lenden.
»Vertraust du?«
Die Stimme zwingt zu einer Antwort, immer noch leise, doch hart wie Stahl. Die Fingerspitzen halten inne, bohren sich leicht in meinen Muskeln. Ihre Nägel dringen ein in meine Haut, die daraufhin schlagartig aushärtet, kristallisiert. Mich kann nichts verletzen, niemand wird mir ein Leid antun. Ich nicke.
Eine frische Wolke weed trifft meinen Geist mit voller Wucht. Ich ertrinke in der Dunkelheit, meine Lungen stehen kurz vor dem Zerbersten. Die Spannung steigt, potenziert sich, alles potenziert sich, alles wird möglich. Ich sterbe, ich kämpfe. Mir wird niemand ein Leid antun, das wird niemand wagen. Ich wüte, ich rase. Die Fesseln halten mich zurück, die Ketten klirren, die Welt ist schwarz um mich und rot und feuerstrahlend.
Allein bin ich jetzt, sie steht nicht mehr hinter mir. Stattdessen greifen Wirbel nach mir, ihre Hände, ihre schlanken, quälenden Hände spielen Fangen und Tauziehen mit meiner sterblichen Hülle. Die Reize kommen von überall, anschwellend, abschwellend in ihrer Stärke. Mein Körper schafft es nicht, sich daran zu gewöhnen. Die Nerven liegen blank, spielen verrückt, mein Hirn will explodieren, doch es geht nicht, es geht