HUMANOID 2.0. Gabriele Behrend. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabriele Behrend
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957658579
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wird, spüre ihre Lippen, ihre Zunge und immer, immer ihre Hände. Sie beherrscht die Klaviatur meines verräterischen Körpers, die empfindlichsten Stellen, die Untiefen und die Meeresgräben. Sie ist die Perlentaucherin und ich bin ihr Weidegrund. Und als sie schließlich mit beiden Händen zupackt, als sie den letzten unversehrten Nerv trifft, bäume ich mich auf. Wachse über meine Grenzen hinaus. Mein Geist erstrahlt in gleißendem Licht, ergießt sich in das Chaos, schlägt die Feinde nieder, die Namenlosen, und lässt mich schreiend triumphieren.

      Die Wirbel ziehen sich zurück, die Schwärze vor meinem inneren Auge wird brüchig. Dort wo sie aufreißt, entsteht das Bild, das ich mir stets von ihr mache, machen muss, denn ich habe kein anderes. Für mich ist sie die inkarnierte Madonna, von Munch vorhergesehen und auf eine ahnungslose Leinwand gebannt.

      Still steht sie da, lichtbekränzt, bereit zur Hingabe und Ekstase. Sie ist der Preis, die Belohnung. Was sind Tränen? Diesmal will ich nicht weinen. Es gibt nichts zu beweinen. Der Stuhl, auf dem ich bis eben noch ein hilfloses Wesen war, ihrem Wollen ausgeliefert, dient mir jetzt als Thron.

      Mit einem leisen Klirren fallen die Fesseln zu Boden, die mich bislang zurückgehalten haben. Sie nimmt meine Hände und birgt ihr Gesicht darin. Sie führt mich die wenigen Schritte bis zum Bett, lässt sich auf die Laken sinken und zieht mich mit sich. Ruhig bin ich geworden, ruhig aber unnachgiebig. Und so nehme ich mir, was des Siegers ist, beschlafe diese Frau, wie es schon immer Brauch war. Es geht nicht mehr um Befriedigung – die habe ich vorher umfassend erfahren. Das hier ist einzig die Demonstration meiner Kraft.

      Ich bin nicht mehr die Frau, die ich zu Beginn dieses Intermezzos war. Ich bin Herrscher. Ich bin Mann, in allem Tun und Denken. Systematisch erkunde ich ihren Körper, ihre Haut, sauge ihren Duft in mich ein, erforsche ihre dunkle, triefende Höhle. Widerstand? Gibt es nicht! Und wenn schon – es hätte keinen Sinn. Sie bäumt sich unter meinen Händen auf, ihr Schoß zuckt und krampft, und die Musik ihrer Ekstase wird zu meinem Wiegenlied …

      … das zurückhaltende Zirpen des Filotops auf dem Nachttisch bahnt sich seinen Weg durch die weedgeschwängerten Nachbilder. Einen Moment lang lausche ich ihm mit geschlossenen Augen, dann streife ich widerwillig die Seidenmaske ab und richte den Blick zur Decke. Über mir kann ich direkt ins helle, leichte Blau eines Frühlingstages sehen, so wie ich es zu jeder Jahres-, Tages- oder Nachtzeit tun könnte.

      Das Filotop zirpt weiter. Es wird unermüdlich so weitermachen, bis ich – und nur ich – meine Hand auf sein Display lege, um ihm sein digitales Mundwerk zu verschließen.

      Der Platz neben mir ist leer, wie immer. Für einen Moment bereue ich es, doch dann erinnere ich mich an das, was ich gespürt, erlebt, getan habe – und bin froh über die Einsamkeit.

      Ich hebe die Hand, betrachte meine Finger, die nicht die ihren sind, schließe noch einmal die Augen und atme tief den Duft ein, der meiner Haut anhaftet, ihren Duft. Ich küsse meine Fingerspitzen, die kurz zuvor noch ihr Innerstes erforscht und in Besitz genommen haben, und es ist mir, als würde ich sie küssen. Ich weiß letztlich nicht, ob meine Hände ihr soviel Vergnügen bereiten, wie es umgekehrt der Fall ist. Auf der anderen Seite ist es auch gar nicht mein Job. Sie ist die Socialista, nicht ich. Ich bin nur eine Frau in diesem alltäglichen Haifischbecken, die gleich in einem wichtigen Meeting bestehen muss, und sich vorher die Stärke geholt hat, die sie dafür braucht.

      Sauber, diskret, auf Kostenstelle.

      Mit einem Seufzen erhebe ich mich, lasse die Seidenlaken hinter mir und ziehe mich wieder an. Bringe das Filotop endlich zum Schweigen, das seine Zurückhaltung inzwischen verloren hat. Richte mich mit ein paar Handgriffen her, verweigere den Blick in den Spiegel – ich weiß, wie ich nach einer solchen Sitzung aussehe, weiß, wie sich wahre Größe in meiner Ausstrahlung ausdrückt – und schlendere zur Tür. Lege meine Hand auf das biometrische Abrechnungsfeld, zögere nicht, den Extra-Obolus zu berechnen. Die Stimme des allgemeinen OMS bedankt sich höflich-neutral.

      Am Anfang hatte es mich irritiert, dass man kein Bild von ihr zu Gesicht bekam, nicht mit ihr sprechen konnte, noch nicht einmal per Mono-Sprachleitung – aber inzwischen habe ich den Grund verstanden. So wie wir Mitarbeiter vor ihr geschützt werden, vor einer persönlichen Beziehung, einer emotionalen Abhängigkeit, so wird auch sie vor uns geschützt. Das ist nur fair. Schließlich bleibt unsere Socialista nicht mehr als eine gesichtslose Berufsbezeichnung.

      Woher bezieht sie ihre Stärke?, frage ich mich für einen Moment. Wer gibt ihr Kraft? Wer …?

      »Ihr Meeting beginnt in fünf Minuten, das Office Shuttle steht bereit.« Das OMS tönt zwischen meine Gedanken. Erinnert mich an die anstehende Aufgabe, erregt meinen Unmut.

      Die weiße Flamme meines Geistes lodert auf. Ein, zwei Herzschläge lasse ich das Licht durch meine Adern kreisen. Trete dann in den Flur hinaus.

      Ich bin bereit.

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