HUMANOID 2.0. Gabriele Behrend. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabriele Behrend
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957658579
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Zorn. Stattdessen verlor sie sich in den Erinnerungen, träumte von ihm, idealisierte ihn und war über ihre eigene Hilflosigkeit wütend. Jeder sagte ihr, dass er ein Schwein sei, ein brutaler Schläger mit kleinem Ego, getrieben von Angst und Minderwertigkeitskomplexen, doch anstatt ihn endgültig zu verlassen, suchte sie nur umso intensiver nach einer Lösung. Diejenigen, die ihr davon abrieten, ließ sie im Regen stehen. Wer kritisierte, war nicht auf ihrer Seite, warum also Zeit auf die Zweifler verschwenden? Sie hatten doch keine Ahnung.

      In dieser Zeit starb ihre Mutter, die sie jahrelang nicht mehr gesehen hatte. Sie hinterließ ein tiefes Loch in ihrer Seele und ein Erbe, von dessen Höhe Patrizia keine Ahnung gehabt hatte. Nachdem sie sich in diese neue Situation hineingefunden hatte, suchte sie verstärkt nach Möglichkeiten, ihm zu helfen. Schließlich las sie von Mephistos Horrorkabinett, wie sie die Firma bei sich nannte. Technical Humanoids for better Realities – Highclass avatars for enlarged joy. Sie musste nicht lange überlegen.

      Verwirrt und mit dröhnendem Schädel wacht er aus einem komatösen Schlaf auf. Er weiß nicht sofort, wo er sich befindet oder welcher Tag es ist. So etwas ist ihm früher mal passiert, als er noch Student war. Damals hatte es keine Auswirkungen gehabt, aber jetzt? Er hat gerade erst wieder einen Job gefunden. Nicht die gut dotierte Stelle, aus der man ihn hinauskomplimentiert hat, aber besser als nichts. Noch ist seine Probezeit nicht vorbei, er sitzt auf einem wackligen Posten. Er kann nur hoffen, dass er wegen dieser Fehlzeit nicht hinausgeworfen wird. Langsam ist er zu alt für die Verzögerungstaktik der Arbeitsagentur.

      »Liebling?« Sie ist wohl schon bei der Arbeit, nur ein Hauch ihres Parfums hängt wie ein leiser Gruß in der Luft. Mit einem Stoßseufzer vergräbt er das Gesicht in ihrem Kissen, saugt ihren Duft ein, warm und weich. So unendlich vertraut. Er hat geträumt, dass er sie getötet hätte. Allein die Erinnerung an diese Bilder lässt sein Herz krampfen und ihm die Luft knapp werden. Was hat er nur getan?

      Doch als er aufsteht und im Badezimmer ihr Badetuch findet, sauber über die Stange des Duschvorhangs gehängt, noch feucht, als er in der Küche den letzten Tropfen Kaffee aus ihrem Becher leckt, sind die Trugbilder des Schlafes für den Moment vergessen. Ein Blick in die Fernsehzeitung versichert ihm, dass es Sonntag ist. Er hat also keinen Tag Arbeit versäumt, Glück gehabt. Entwarnung. Und Patty wird beim Bäcker um die Ecke sein und ganz bestimmt gleich nach Hause kommen. Fröhlich pfeifend setzt er einen frischen Kaffee an und geht ins Badezimmer.

      »Schatz?« Patrizias Stimme tönt durch das Rauschen der Dusche.

      Er stellt das Wasser ab und steckt den Kopf aus der Dusche. »Wieder zurück, Liebling?«

      Sie lehnt sich entspannt lächelnd in die Badezimmertür. »Hast du gut geschlafen?«

      »Ja, leidlich.« Mit einem jungenhaften Grinsen streckt er den Arm zu ihr aus. »Komm her zu mir.«

      »Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, weißt du. Du wolltest gar nicht wieder aufwachen. Aber dann habe ich gedacht, dass du es wohl nötig hast, also habe ich dich gelassen.« Sie lächelt entschuldigend.

      Er winkt ungeduldig ab. »Nun bin ich ja wach.« Dann lächelt und lockt er erneut: »Kommst du jetzt zu mir?«

      »So wie ich bin?« Sie deutet lachend auf ihren Chiffonrock und die Seidenbluse. »Ich fürchte, ich muss das Angebot ausschlagen!«

      »Bist du dir sicher?« Er schmollt.

      Sie zwinkert ihm zu, dreht sich auf dem Absatz herum und schreit einen Moment später spitz auf, als ein Schwall Wasser ihren Rücken trifft.

      »Na, jetzt solltest du aber schnell aus den nassen Klamotten heraus. Du holst dir ja sonst den Tod, Liebling.«

      »Warum hast du nicht wenigstens warmes Wasser genommen?«, mault sie, als sie sich aus den eiskalten Fetzen schält. »Mir ist kalt!«

      »Komm her, dann mach ich dir Feuer unterm Hintern«, murmelt er.

      Als sie später durch den Park bummeln, merkt er, wie sie tief Luft holt, als ob sie sich für irgendetwas Mut machen müsste. »Rück damit raus, Liebling, was immer dir auch auf der Seele brennt.«

      Ein schneller Blick von ihr, ein Umgebungsscan. Wie viele Menschen sind da? Wird jemand helfen können, wenn … Dann kuschelt sie sich wieder in seinen Arm und fragt leise: »Erinnerst du dich an irgendetwas vor dem Einschlafen?«

      Er runzelt die Stirn. »Nicht richtig. Eigentlich gar nicht. Habe ich etwas gemacht? Auf dem Tisch getanzt und schmutzige Lieder gesungen?« Er lacht gezwungen. Der Morgen holt ihn wieder ein. Sein Magen windet sich in einem stählernen Griff. »Was ist passiert, Liebling? Haben wir uns … gestritten?«

      Streiten, so nennt er das. Man streitet mit Fäusten, man diskutiert mit Worten. Immerhin ist er konsequent in seiner Begrifflichkeit.

      Sie vergewissert sich noch einmal, ob es genügend potenzielle Zeugen gibt. Öffentlichkeit hält ihn in Schach, das hat sie schon vor Langem herausgefunden. Sie schluckt trocken, dann endlich flüstert sie erstickt: »Du hast mich umgebracht.«

      »Was hast du da in deinen Schal gemurmelt?«

      »Du, du hast …«

      »Ein bisschen lauter, Liebling.« Er neigt den Kopf zu ihr hinunter, lauscht angestrengt.

      »DU HAST MICH UMGEBRACHT!«

      Jetzt ist es heraus, sie bleibt stehen, zittert. Sieht ihn voller Angst an, leicht geduckt. Wer weiß, woher die Faust kommen mag?

      Er sieht sie fassungslos an, schüttelt verwirrt den Kopf. »Das meinst du nicht ernst, oder? Du stehst doch vor mir, hm? Ziemlich lebendig, wie ich finde.«

      Sie nickt. Schweigt. Beißt sich auf die Lippen.

      »Meinst du das metaphorisch, oder wie?« Langsam wird er ärgerlich. Wie sie dasteht, als sei er ein Monster. Wie ein furchtstarres Karnickel – und behauptet solch einen Scheiß. Er würde sie doch nie – der Magen presst sich zusammen, das Blut beginnt zu rauschen.

      »Antwortest du nicht mehr, oder wie? Das ist ziemlich billig, weißt du das? Einfach so eine Behauptung aufzustellen und dann nichts mehr dazu zu sagen. Klär mich mal auf! Was geht in deinem kranken Hirn denn vor sich?«

      Sie zittert. Wird blass. »Entschuldige, ich hätte nicht davon anfangen sollen.«

      Er zieht ein Gesicht. »Jetzt ist es zu spät. Das hättest du dir früher überlegen sollen.«

      »Ich dachte doch nur …«

      »Denken, denken. Kannst mal sehen, was dabei rauskommt.« Er knurrt, er ist beleidigt. Er würgt an der eiskalten Angst, die wie ein Gummiband seinen Magen abschnürt. Da ist etwas hinter seiner Stirn, es pocht und klopft gegen die Schädelknochen. Es sind Bilder, Ahnungen, die aus irgendeinem modrigen Versteck an die Oberfläche seines Geistes wollen. Es kostet Kraft, sie aufzuhalten, sehr viel Kraft. Der Schweiß sammelt sich auf seiner Stirn.

      Sie tritt einen Schritt näher. »Lass uns nach Hause gehen.«

      Er fasst ihre Hand, dreht sich abrupt um, marschiert los.

      Kein Schmerzenslaut verlässt ihre Lippen, als der Mittelhandknochen des kleinen Fingers unter dem Druck bricht.

      »Im Übrigen verzichte ich im Zuge des Kaufvertrages auf die Video-Überwachung. Das bedeutet, dass Ihre Firma sämtliche Kameras unverzüglich entfernen wird.« Patrizia lächelte kühl. »Irgendwelche Einwände?«

      »Ich weiß nicht, ob ich dem zustimmen kann. Die Sicherheit, Sie verstehen?« Van Fromm war nicht erfreut, aber sie hatte die besseren Karten in der Hand. Sie hatte das Geld.

      »Wenn ich mir zu Hause einen Panic Room einrichte, in den nur ich sowie das Servicepersonal hinein- und hinausgehen können, dann denke ich, dass für meine Sicherheit ausreichend gesorgt ist.«

      »Es geht aber hier nicht nur um Ihre Sicherheit, sondern auch um die des Produktes!«

      Van Fromm fuhr sich erregt über die Stirn, so ganz und gar nicht mehr Mephisto. »Was meinen Sie denn, wenn Ihr Mann herausbekommt, was Sie da machen