Der Krieg. Ilja Steffelbauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ilja Steffelbauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783710601385
Скачать книгу
mit der sich Cú Chulainn messen muss. Weil sie mehr exotisch-erotische Fantasie wie historische Wahrheit widerspiegeln, lässt vielleicht auch der Umstand erahnen, dass so gut wie alle schließlich auf die eine oder andere Weise von ihrem männlichen Widerpart auch sexuell „erobert“ werden.

      Gleich unter welchem Namen, gleich zu welchem historischen Zeitpunkt entstanden, gleich wann, durch wen und in welcher Form er literarisch verewigt wurde: Der kriegerische Held ist der literarische Archetyp, der ebenso Ideal wie Realität jener altertümlichen Gesellschaftsordnung zurückstrahlt, die alle späteren Hochkulturen aus ihrer Frühzeit gerade noch erinnern, deren brutale und unkultivierte Seiten sie an ihren Zeitgenossen als „Barbarei“ wahrnahmen, an ihren eigenen Vorfahren aber als ursprünglich und unverdorben priesen.

      Während sie sich von den Barden unterhalten lassen, schließen die „Könige“ selbst Bündnisse durch Ehen ihrer Töchter und Schwestern mit potentiellen Bundesgenossen. So entzieht sich die entstehende Adelsschicht gleichzeitig dem alten Clansystem und webt ihre eigenen überregionalen Netzwerke. Neben die tatsächliche Verwandtschaft treten durch Heiratsallianzen „fiktive“ Verwandtschaften wie manchmal mit dem Element der Homoerotik liebäugelnde „Blutsbrüderschaften“ (Achilleus und Patroklos), Ziehelternschaften (Cú Chulainn bei Fergus) und Gastfreundschaft (Diomedes und Glaukos). Diese überregionale Kriegerschicht verknüpft nun, im Interesse möglichst zahlreiche Streitkräfte ins Feld zu führen, größere Räume und schafft frühe „nationale“ Identitäten. Es ist kein Zufall, dass der erste Versuch, einen Überbegriff für alle Griechen zu finden, in den Epen stattfindet. Das Heer-volk (laos im Griechischen, wie in Menelaos: „Volksführer = Heerführer“) nimmt Gestalt an, will gesammelt und von den Plänen der Heerkönige überzeugt werden, denn die Häuptlinge haben noch keine Macht zu befehlen.

      Wohlgesetzte Reden nehmen deswegen einen so großen Raum in den Epen ein. Ebenso wichtig für den Status als „Held“ wie das Kampfgeschick ist die Fähigkeit, wortgewaltig zu sprechen oder andere Überzeugungsmittel zu gebrauchen: Gerade der silberzüngige Odysseus verprügelt in einer Heeresversammlung einen renitenten Widerspruchsgeist am Ende mit dem Szepter (2. Gesang, Verse 212–277). Über tausend Jahre später werden sich merowingische Könige in gleicher Weise vor der Heeresversammlung der Franken verantworten müssen und 1018 – ganz am anderen Ende von Europas langer Eisenzeit – steht der „Lagman“ (Gesetzeskundige) Torgny vor dem Schwedenkönig Olaf III. Skötkonung auf und, so berichtet Snorri Sturluson in der Heimskringla (verfasst um 1230), hält eine Rede, die in Odysseus Halle in Ithaka jeder verstanden hätte: „Die Einstellung der schwedischen Könige,“ meint er, „hat sich gegenüber früher geändert. Mein Großvater konnte sich noch an Eirik Eymundson als König von Upsala erinnern, und er pflegte von ihm zu sagen, dass er jeden Sommer zu Raubzügen in die verschiedensten Länder aufbrach.“ „Und,“ so setzt er fort, „er war auch nicht zu stolz, auf die Leute zu hören, die ihm etwas zu sagen hatten.“

      Der Krieg – so betont Torgny hier – ist die eigentliche Aufgabe der Könige. Sie sollen das Heervolk in fremde Länder führen, um Beute zu machen, fremde Völker zu unterwerfen und dadurch zu Tributleistungen zwingen.

      Krieg, hier ist das Deutsche wünschenswert eindeutig, kommt von „kriegen“. Die Kriegereliten – Achäer wie Wikinger – sind in erster Linie (See-)Räuber. Die Hauptbeschäftigung der griechischen Helden vor Troja ist das Plündern umliegender Städte, und das skandinavische Heldenzeitalter, das sich in Torgnys Generation gerade ihrem Ende zuneigt, nennt man treffend auch „Wikingerzeit“. Wikinger ist laut gängiger Etymologie vor allem „ein Seekrieger, der sich auf langer Fahrt von der Heimat entfernt“. Odysseus hätte sich ohne Zögern so bezeichnet.

      Hätte der alte Viehdieb Nestor jemals Gelegenheit gehabt, das gewaltige indische Epos Mahabarta zu hören, so wäre ihm Vaisampayanas Vorschlag im 4. Buch, Kapitel 30, ganz nachvollziehbar vorgekommen: „… lasst uns seine Stadt überfallen, und zu Tausenden seine ausgezeichneten Rinder der verschiedensten Arten fortführen. Mit vereinten Kräften der Kauravas und der Trigartas holen wir, oh König, sein Vieh in ganzen Herden herbei.“ Am Táin Bó Cúailnge (Rinderraub von Cooley, spätes 11. Jh.), der zentralen Sage des irischen Ulster-Zyklus, hätten wahrscheinlich beide Gefallen gefunden. Darin tritt dem jungen Cú Chulainn im Entscheidungskampf sein Ziehvater Fergus entgegen. Ein tragisches Schicksal, das er mit dem Helden Rustam im persischen „Königsbuch“ (Schāhnāme, um 1000 verfasst) und mit dem namengebenden Helden im althochdeutschen Hildebrandslied (9. Jh.) teilt. Beide erschlagen ihre Söhne ohne es zu ahnen. Cú Chulainn ergibt sich Fergus, unter der Bedingung, dass dieser sich beim nächstem Zusammentreffen ihm ergeben wird. Den eigenen Sohn, den er mit der zuvor erwähnten kriegerischen Aoife zeugte, tötet er später wider Willen unter dem Zwang eines mächtigen Zaubers. Heldengeschichten sind fast immer tragisch, doch zeigt sich in diesen Tragödien – in Gestalt des Vater-Sohn-Duells auf die Spitze getrieben – eine häufige Realität in der überschaubaren Welt der dicht vernetzten Kriegerelite: Schon im nächsten Kampf mag man einem Blutsverwandten, Schwager oder Gastfreund gegenüberstehen. Die Entscheidung, ob und gegen wen man am Ende wirklich kämpfen wird, fällt oft erst am Morgen der Schlacht, wenn man erkennen kann, wer in den eigenen Reihen, aber auch, wer in denen des Feindes steht. So entscheidet sich im Mahabharata, Shalya, der König von Madra und „Onkel“ der Pandavas, nachdem die verfeindeten Kauravas ihn mit Geschenken und Verpflegung geehrt hatten, auf Seiten der neuen Gastfreunde und nicht der Verwandtschaft in die Entscheidungsschlacht von Kurukshetra zu ziehen.

       Saufen, Raufen und Rumzicken

      Auch wenn man sich gerade noch geschlagen hat, ebenso schnell schließt man Frieden und feiert diesen mit Festmahl und freundschaftlichem Wettstreit, dem zahnlosen Bruder des echten Kampfes: Wagenrennen, Pferderennen, Wettläufe, Speerwerfen, Kugelstoßen, Diskuswerfen, Kraftproben. Die heroische Welt der Epen ist voll damit. Nach dem Tod des geliebten Freundes Patroklos lässt Achilleus Leichenspiele an seinem Scheiterhaufen veranstalten. Die keltischen Helden Irlands streiten sich am liebsten um den „Heldenbissen“, die beste Portion vom Braten, und regeln das rasch, indem sie nach draußen gehen und einen improvisierten Wettkampf abhalten. Auch die Achäer kannten diesen Brauch. Vor Troja bieten die anderen Könige Ajax dem Großen nach einem erfolgreichen Kampf gegen Hektor die erste Wahl am Grillbuffet an. Helden, so sei an dieser Stelle angemerkt, sind Fleischfresser. Die wikingische Vorstellung vom Paradies – Walhalla – ist bekanntlich eine Ewigkeit aus Saufen, Fressen und Raufen ohne Brummschädel oder ernsthafte Verletzungen, bis dereinst Odin die Krieger zur letzten Schlacht ruft.

       Zum heldischen Habitus gehört auch eine ausgeprägte Emotionalität – echte Helden weinen oft – und ein empfindliches Ehrgefühl.

      Achill verweigert dem Agamemnon die Gefolgschaft, nachdem dieser die schöne Gefangene aus seinem Zelt holen lässt, um sich selbst für den Verlust seiner eigenen Beutefrau zu entschädigen. Hier wird die Brüchigkeit der achäischen Allianz sichtbar. Schwer vorstellbar in der staatlichen Welt klarer Hierarchien, gerade im Krieg, wie alle späteren Leser des Epos sie verinnerlicht hatten. Völlig klar aber im Kontext der „Chiefdom“-Gesellschaft, welche die Ilias abbildet. Agamemnon hat Achill nichts zu befehlen. Er ist nur Führer der Griechen, weil ihn seine verwandtschaftliche Stellung dazu macht: Er ist der ältere Bruder des Menelaos, des Geschädigten in der Geschichte, dem Paris die schöne Helena ausgespannt hat – und damit Oberhaupt des beleidigten Clans: der Atriden. Achill, wie all die anderen basileis, ließ sich von der Aussicht auf Beute und Ruhm anlocken. Die eigentlichen „Kriegsziele“ – die Eroberung Trojas oder die entführte Helena – sind ihm herzlich gleichgültig. Die achäische Allianz von Warlords und ihren Kriegergefolgschaften ist eine Erwerbsgemeinschaft. Agamemnon führt so lange und kann seine Verbündeten so lange bei der Stange halten, so lange er Beute zu verteilen hat. Kleinlichkeit ist sein Fehler. Der Anführer, der nimmt und nicht gibt, hat seinen Führungsanspruch verspielt. Wenn Verwandtschaft und Gefolgschaft das Skelett der heroischen Gesellschaft sind, ist Beute ihr Blutkreislauf. Erfolgreiche Kriegsherren machen ein lohnendes Ziel aus, bringen eine ausreichende Streitmacht zusammen, um es zu erobern und verteilen danach die Beute unter den Beteiligten. Großzügigkeit ziemt sich für