Aber Li konnte er nichts vormachen. Sie kannte ihren Vater gut genug, um zu wissen, wie es ihm wirklich ging.
„Du solltest etwas ausruhen“, sagte sie.
„Gao steht schon seit Tagen kaum noch auf – und wie soll denn sonst die ganze Arbeit geschafft werden?“
„Wenn wir sie schaffen, dann wird nur Firuz den Nutzen daraus ziehen.“
„Wir auch!“, widersprach Meister Wang. „Papier zu machen ist das einzige, was wir können. So lange wir noch in Xi Xia waren – und selbst in Samarkand! - habe ich immer geglaubt, es sei eine Selbstverständlichkeit, dass jedermann die Wichtigkeit dieses Handwerks erkennt. Aber je weiter westlich man reist, desto weniger scheint sich diese Erkenntnis verbreitet zu haben...“
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Am nächsten Tag ging es Meister Wang so schlecht, dass er nicht aufstehen konnte. Er phantasierte im Fieber und schien unter schrecklichen Leibschmerzen zu leiden.
„Das muss das Fieber sein, das zur Zeit in der Stadt grassiert“, meinte Li, als sie ihren Vater auf seinem Lager im Stall elend daliegen sah. „Ich werde zu Bruder Anastasius ins Muristan gehen, vielleicht wissen die ein Mittel gegen diese Krankheit!“
„Hast du nicht gesagt, das Muristan sei ein Hospital für christliche Pilger?“, murmelte Meister Wang und seine Stimme war dabei kaum hörbar. „Die Christen verstehen noch weniger von der Medizin als die Muslime... Was für eine Hilfe kann man da erwarten?“
„Ich werde es trotzdem versuchen!“
„Du wirst dir nur selbst den Tod holen – weil diese Fieberarten ansteckend sind... Bruder Anastasius wird schon gewusst haben, weshalb er dir geraten hat, dort nicht hinzugehen. So hast du es mir doch... berichtet...“ Meister Wang sank auf sein Lager zurück und atmete schwer. Er schloss die glasigen Augen und hielt sich wieder den Leib.
„Ruh dich aus, Vater“, sagte Li.
„Mir ist so kalt“, murmelte er vor sich hin und Li holte eine zusätzliche Decke, die eigentlich für die Pferde bestimmt war und und bedeckte ihn damit. Dan sah sie zu Gaos Lager hinüber, der sich in eine Ecke zurückgezogen hatte. Er lag auf dem Stroh, zusammengekrümmt und mit dem Gesicht zur Wand. Li war aufgefallen, dass er schon eine geraume Weile nicht mehr gehustet hatte. Eigentlich gab es selbst in der Nacht kaum eine Stunde, da man nicht seinen rasselnden Atem hörte.
Eine furchtbare Ahnung beschlich Li. Sie ging zu dem Lager des Gesellen, kniete nieder und fasste ihn an der Schulter. Sie drehte ihn herum. Ein Schwall von blutigem Schleim bedeckte den Mund und Kleidung und auch den Boden. Seine Augen waren starr und tot.
Der Schrei blieb Li in der Kehle stecken. Sie war eine Moment lag wie gelähmt. Dann schloss sie Gao die Augen.
Mochte Allah es ihm lohnen, dass er die Offenbarung seines Propheten erkannt hatte – und mochte er ihn in sein Paradies aufnehmen, wie es jedem Muslim versprochen wurde.
Lis Lippen beteten. Tränen rannen ihr über das Gesicht.
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Innerhalb der nächsten Tage kam das Leben in der Stadt fast ganz zum erliegen. Das Fieber griff um sich und zwang viele Menschen auf ihr Lager. Man konnte ungehindert durch die Straßen gehen. Viele Händler hatten ihren Verkauf eingestellt und fluchtartig die Stadt verlassen, um sich nicht selbst anzustecken und auf den Friedhöfen von Juden, Christen und Muslimen fanden jetzt täglich Beisetzungen entsprechend der jeweiligen Gepflogenheiten statt. Da Gao Muslim geworden war, wurde er zusammen mit ein paar anderen niederen Bediensteten und Sklaven in einer kurzen Zeremonie beerdigt. In Tücher gehüllt – wozu einige der Lumpen genommen wurden, die eigentlich zur Papierherstellung angeschafft worden waren, wurde er unter die Erde gebracht.
Li stand etwas abseits und sah dabei zu. Meister Wang war zu schwach gewesen, um dabei sein zu können.
„Wer weiß, wie lange man überhaupt noch jemanden bestatten können wird, wenn erst einmal die Totengräber vom Fieber dahingerafft worden sind!“, sagte Meister Wang später dazu, als Li ihm von der Zeremonie berichtete.
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Es hieß, dass alle Hospitäler Jerusalems hoffnungslos überfüllt wären und sich bereits ein großer Teil der Pfleger selbst angesteckt hatte. Die Symptome waren immer dieselben. Zuerst ein paar Tage Mattigkeit, dann starke Fieberschübe und Leibschmerzen und Verstopfung.
Auch das Haus von Abu Khalil blieb nicht verschont. Der zwölfjährige Ahmad erkrankte an dem Fieber ebenso wie Fadia. Als Li zum Muristan ging, so wie sie es ihrem Vater versprochen hatte, wies man sie dort gleich an der Tür ab.
„Dein Leid mag so groß sein, wie es will“, sagte einer der Mönche zu ihr, die hier versuchten, die Versorgung der Kranken aufrecht zu erhalten. „Wir können niemandem mehr helfen – und wahrscheinlich nicht einmal uns selbst.“
Auch die Nächstenliebe der Christen hatte offenbar da ihre natürlichen Grenzen.
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Die Tage gingen dahin und auch Li spürte eine lähmende Mattigkeit in sich – so wie viele, die selbst nicht alle von der Krankheit ergriffen wurden, aber sie anscheinend von dem üblen Hauch, der sie verbreitet hatte, ebenfalls eines Teils ihrer Kräfte beraubt wurden.
In der Papiermacher-Werkstatt wurde jetzt ebenso wenig gearbeitet, wie in den Schmieden und bei den Zimmerleuten und Fassmachern. Der Großteil der Gäste, die in Abu Khalils Herberge bewirtet worden war, hatte mitsamt ihren Tieren und Waren die Stadt inzwischen verlassen. Wer immer nicht aus irgendeinem Grund dazu gezwungen war, in der Stadt zu bleiben, machte sich so schnell wie möglich auf den Weg. Andere verließen ihre Häuser nicht mehr oder sammelten sich in den Moscheen, Kirchen und Synagogen der Stadt, um jenen Gott, um dessen richtige Verehrung immer wieder so heftig gestritten wurde, um Hilfe zu bitten. Ragnar der Weitgereiste und seine Männer machten sich offenbar für ihre Abreise bereit, denn sie hatten Vorräte eingekauft.
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Firuz ließ sie zu sich rufen. Li hatte ihn seit Tagen nicht gesehen. Er wirkte hohlwangig und blass. Allerdings glaubte Li nicht, dass er schon selbst vom Fieber befallen worden war. Eher sah er aus, wie jemand, der seit Tagen nicht geschlafen hatte.
Etwas zögernd betrat Li den Raum – schon deshalb, weil sie nicht gerne mit ihm allein war.
„Du brauchst keine Angst