Roberta atmete tief durch. Vielleicht nahm er ihr jetzt den Knebel heraus. Sie hatte immensen Durst! Vielleicht befreite er sie sogar von ihren Fesseln, und sie fände eine Möglichkeit zur Flucht oder könnte ihn überrumpeln …
Er wusste genau, wie lange er sie hängen lassen durfte, ohne dass ihre Hände Schaden nahmen. Nach Ablauf dieser Zeitspanne musste er dem Blut Gelegenheit geben, wieder in die Adern zurückzufließen und das Gewebe zu versorgen, bevor es abstarb. Er hatte diese Lektion gelernt, in Theorie und Praxis.
Sie war so wunderschön, wie sie dort stand, eine gebundene Gottheit, jeder Bogen ihres Körpers eine Ode an die Schönheit. Feucht glänzte ihre Haut, das herabfallende Haar klebte an ihrem Rücken. Sie würde rasenden Durst verspüren, und es würde noch schlimmer werden. Er würde den Raum zum Glühen bringen. Ihm selbst klebte die Jeans an der Haut, und Tropfen rannen an seinem Körper herunter. Er fand es eher störend bei sich selbst. Bei ihr wirkte der feuchte Glanz wie ein überirdisches Funkeln auf elfenbeinerner Haut. Sie stand da, mit geschlossenen Augen, den Kopf an die nach oben ragenden Arme gelehnt, atmete tief und deutlich. Er sah, wie sich ihr Brustkorb mit Luft füllte, wie sich ihre Brüste merklich hoben und beim Ausatmen wieder senkten. Er sah das Klopfen ihrer Halsschlagader, durch die das Blut in das Gehirn strömte, in dem diese hinterhältigen Pläne und perfiden Verbrechen erdacht worden waren, die dazu geführt hatten, dass er und sie nun hier waren.
»Ich werde dir deine Untaten vorlesen«, sagte er unvermittelt.
Er wand seinen Blick von der Schönheit ihres Körpers ab und konzentrierte sich auf seine selbstgestellte Aufgabe. »Ich werde es chronologisch tun. Wir beginnen mit dem letzten Verbrechen, mit der Ermordung deines Ehemannes Nummer zwei, Alexander Fitzgerald Stone. Du hast geplant, ihn während des Beischlafs nach seiner Rückkehr von seiner Geschäftsreise mit einer luftgefüllten Spritze zu töten. Durch das Injizieren von Luft in eine Ader entstünde eine Embolie, die jeder für normales Herzversagen halten würde. Den kleinen Einstich würde man nicht bemerken, denn Mr. Stone leidet an Altersdiabetes und muss regelmäßig Insulin spritzen. Da gibt es natürlich eine Menge Einstiche. Die trauernde Witwe wäre dann von allen bedauert worden: Wie grausam, beim Sex gestorben! Und Roberta Stone wäre Herrin über eines der größten Vermögen der Welt geworden und Aktionärin von so ziemlich allen wichtigen Zeitungen der USA.«
Der Mann sah Roberta mit seinen unglaublich braunen Augen lange an. Sie hielt immer noch die Augen geschlossen. Sie hatte gehört, was er ihr zu sagen hatte. So hatte sie es geplant gehabt. Sie hatte Alexander beim Ficken töten wollen, wenn er gar nicht damit rechnete; wenn er tief in ihr war und sicher, dass ihm nichts geschehen konnte, hatte sie ihm den Todesstoß geben wollen. Eine Träne quoll ihr unter den geschlossenen Liedern hervor. Keine Reue! Selbstmitleid, Ärger darüber, entdeckt worden zu sein – und Angst vor ihrer Strafe.
Sie hätte Alexander, ohne mit der Wimper zu zucken, umgebracht. Sie hätte es sogar mit einer gewissen Freude getan. Alex war ein ekeliger Mann, schwammig, weich, wächsern und voller grauer, drahtiger Körperhaare; und er war schlecht im Bett. Sie hatte ihn nur des Geldes wegen ertragen, und mehr als Ertragen war es nie gewesen. Sie hatte sich ihre Befriedigung immer woanders geholt. Nach dem ersten Sex mit ihrem damals noch zukünftigen Mann hatte sie sich einen derben Kerl von der Straße geholt und sich von ihm und seinen drei Kumpeln die ganze Nacht lang immer wieder hemmungslos ficken lassen. Mit Unmengen fremden Spermas hatte sie versucht, sich den Schleim dieses schmierigen Millionärs aus dem Körper zu spülen.
Aber sie hatte ja nie vorgehabt, lange Mrs. Stone zu sein. Drei oder vier Jahre, dann würde ihren Ehemann auf die eine oder andere Art ein plötzlicher Tod ereilen. Das hatte schon bei ihrer ersten Heirat festgestanden, und sie hatte diese Tradition bei ihrer zweiten Ehe so weiterführen wollen.
Männer waren nur Mittel zum Zweck für sie; Frauen allerdings auch. Roberta ließ nur Roberta gelten. Alle anderen hatten sich ihr und ihren Wünschen unterzuordnen.
Dass ihr Körper dabei eine starke Waffe war, die sie geschickt einzusetzen wusste, hatte sie schnell begriffen und schon in der Schule ihre Vorteile daraus zu ziehen gewusst. Roberta hatte immer gute Noten gehabt …
»Weiter!« Der Mann trat hinter die auf der Bank Stehende und redete von dort weiter. Seine Stimme hallte in dem stillen Raum.
»Du hast den Mann deiner besten Freundin verführt. Was sie dir als Freundin anvertraut hat, hast du ohne Skrupel ausgenutzt. Du hast vorgehabt, seinen Beruf als Börsenmakler für Insiderinformationen zu nutzen, indem du ihn mit eurem Geheimnis erpresst!«
Jennifer, diese dumme Pute!, dachte Roberta. Jenny hatte ihr unter dem Mäntelchen der Verschwiegenheit gebeichtet, dass ihr Mann zu gerne Analsex mit ihr haben wollte, sie das aber ekelig fände und niemals tun würde. Der geile Idiot hatte sofort angebissen, als sie ihm ihren Hintern zur freien Benutzung angeboten hatte. Die Idee mit den Insidergeschäften war ihr erst später gekommen.
Nichtsdestotrotz hatte der Mann es richtig beschrieben. So und nicht anders hatte sie vorgehen wollen. Hatte sie wirklich so viel preisgegeben in ihren Selbstgesprächen? Es musste wohl so sein! Woher sonst sollte der Entführer diese intimen Informationen haben? Roberta Stone war wütend auf sich, auf den Entführer und vor allem auf ihre Machtlosigkeit! Es kochte in ihr, und sie stieß ein verächtliches Knurren hinter dem Gummiball hervor.
Sollte er sie doch mit ihren Untaten konfrontieren! Sollte er doch! Was er auch tat oder sagte, sie wollte die stolze Roberta bleiben, die sie immer dargestellt hatte. An ihr sollte er sich die Zähne ausbeißen, wenn er glaubte, sie zum Wimmern zu bringen!
»Du hast dafür gesorgt, dass eine junge Frau, die in einer der sozialen Einrichtungen deines Mannes arbeitete, entlassen wurde. Sie hatte dir widersprochen.«
»Und ich habe dafür gesorgt, dass sie nirgends an der Ostküste noch einen Job bekommt«, fügte Roberta stumm hinzu. »Nicht mal als Klofrau! Und ich habe noch mehr getan, aber das weißt du nicht!«
Die Stimme hinter ihr fuhr fort: »Du hast die junge Frau verleumdet und dafür Sorge getragen, dass jede Arbeitsagentur von dieser Verleumdung erfuhr. Die Frau bekam keine Anstellung mehr. Sie zog in ein billigeres Viertel. Dort wurde sie von einer Bande Ghettokids übel vergewaltigt. Du hast sie damit beauftragt.«
Scheiße! dachte Roberta. Er weiß es! Sogar das weiß der Scheißkerl!
»Am 30. Dezember des letzten Jahres hat sie sich das Leben genommen. Ihr Name war Barbara Shempeera; sie war erst 33 Jahre alt.«
Roberta erinnerte sich an die junge Frau. Sie hatte sich geweigert, einen schon überfälligen, zur Zahlung anstehenden Betrag für afrikanische Organisationen noch länger zurückzuhalten. Eigenmächtig hatte sie die Gelder freigegeben, und Roberta hatte ihr schmutziges kleines Geschäft nicht machen können. Sie erinnerte sich an die dreckigen, crackverseuchten Kids, die für fünfzig Dollar Cash die Frau vergewaltigt hatten. Gangbang nannten sie das. »Wir hätten’s auch für umsonst gemacht, so eng, wie die war!«, hatte einer der Bengel hinterher gesagt. Sie hatte sich das kranke Schauspiel von ihrer Limousine aus angesehen. Es hatte sie angemacht.
»Hank Bellamy«, sagte der Mann hinter ihr.
Roberta gefror das Blut in den Adern. Nein, das konnte nicht sein! Das konnte er nicht wissen! Niemand wusste von Hank Bellamy! Hank war tot, begraben, es hatte ihn nie gegeben!
»Hank Bellamy lernte dich in einem Swingerclub kennen. Du hast ihn privat zu dir eingeladen. Er gefiel dir, denn er konnte dich befriedigen. Aber als du feststellen musstest, dass du anfingst, dich ernsthaft in ihn zu verlieben, hast du ihn umgebracht.«
Roberta spürte ein trockenes Würgen im Hals. Hank. Sie hatte ihm Chloralhydrat in den Whiskey getan. Als er fest schlief, hatte sie ihm mit einer Scherbe einer Whiskeyflasche, die sie extra dafür zerschlagen hatte, die Beinarterie