Verraten und verkauft. Ralph Kretschmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ralph Kretschmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783944145884
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doch einer gesehen haben!«

      »Wir haben zwei Zeugenaussagen, Chef«, sagte Finnegan zur Erinnerung. »Beide haben kurz nach der Tat einen gelben VW-Bus fortfahren sehen. Der eine sah ihn nach Westen fahren, der andere nach Osten!«

      Maurer stöhnte; er fühlte seine Kopfschmerzen zurückkehren.

      »Ich liebe es, wenn sich die Zeugen einig sind!«, sagte er sarkastisch.

      »Ich weiß nicht, Chef«, fing Finnegan an. Sie hatte keinen Beweis für ihre Vermutung, nur ein Gefühl, ihre Intuition. »Diese Frau ist nicht koscher, wenn Sie mich fragen!«

      »Bin ganz ihrer Meinung, Finnegan! Die Dame ist mir sogar höchst suspekt. Wie kommen Sie darauf?« Maurer versuchte, nicht in Sergeant Finnegans Ausschnitt zu starren. Es sollte eine Vorschrift geben, dass solche Brüste nicht so … Stopp! Maurer, konzentriere dich! Er schloss kurz die Augen und fixiert sein Gehör auf Finnegans Stimme.

      »… sämtliche Datenbänke durchforstet – außer die der Marines, glaube ich. Nirgends ist auch nur irgendetwas von Belang über Mrs. Stone. Das ist alles so glatt, ohne die kleinste Ungereimtheit. So, wie es aussieht, ist die Frau eine Heilige. Karitative Veranstaltungen, Spenden, nie ein Skandal, nichts, gar nichts. Das ist nicht normal, Sir!«

      Maurer nickte. Jeder hatte irgendwo seine kleine Schweinerei versteckt. Das hatte ihn das Leben gelehrt. Er dachte an den Fernsehprediger. Er war eigentlich ein Zeuge, aber wie sich herausstellte, war er ein pädophiler Zeuge, der einen Ring mit Kinderpornografie aufgezogen hatte, der die halbe USA und ein Viertel von Europa mit Kinderpornografie der widerwärtigsten Sorte versorgt hatte. »Reverend Follow me« hatten sie ihn in der Presse genannt.

      Maurer wollte nicht glauben, dass Mrs. Stone da eine rühmliche Ausnahme bildete. Finnegan hatte völlig recht, da war etwas im Busch. Jetzt mussten sie es heraustreiben.

      »Ich dachte zuerst, ihr Mann könnte so eine Art Säuberung durchgeführt haben; aber das stellte sich als Sackgasse heraus. Ich hab die Signaturen geprüft; da ist alles in Ordnung. Und ich glaube nicht, dass ein Hacker, wie gut er auch sein mag, in der Lage ist, so viele Signaturen und Sicherungen zu fälschen. Da muss doch jedem Menschen ein Fehler unterlaufen, irgendwo. Nur die Behörden selbst können so was. Sie sind die Einzigen, die über alle Stempel verfügen, wenn ich mal so sagen darf.«

      Finnegan warf ihr Dossier zu dem anderen Papierkram auf Maurers Tisch. Resigniert setzte sie sich auf den Besucherstuhl. »Wo können wir sonst einen Hebel ansetzen …?« Sie ließ die Frage offen.

      Maurer runzelte die Stirn. Was hatte Finnegan gesagt? Nur die Behörden haben alle Siegel – oder Stempel. Maurer hatte nicht viel Ahnung in Sachen Computersicherheit. Er schaffte es immerhin, seinen Rechner virenfrei zu halten und immer brav seine Updates zu machen. Das war’s dann aber auch schon. Er wusste von Finnegan, dass es so etwas wie elektronische Wasserzeichen und Zugriffscodes und solche Dinge gab, aber mit dem Wissen um deren Existenz erschöpfte sich sein Interesse auch.

      Wenn Finnegan sagte, ein Hacker könne diese Sicherungen nicht fälschen, nicht in der Menge, dann blieb nur ein Schluss. Die Behörde selbst hatte daran gedreht, jedenfalls eine davon; FBI, CIA, NSA – wer auch immer …

      »Finnegan, wir suchen die Sau in den eigenen Reihen!«, sagte er halblaut, eigentlich mehr zu sich selbst, als zu seiner Assistentin.

      »Welche Sau, Sir?«

      »Sie haben es selbst gesagt, Finnegan! Nur die Behörden können das!«

      Finnegan ließ das Gehörte wirken; dann dämmerte ihr, was ihr Chef meinte.

      »Oh …! Zeugenschutzprogramm?« Maurer nickte und stand von seinem Sitz auf.

      »… oder so etwas in der Richtung! Jetzt müssen wir sehen, dass wir an einen Insider herankommen. Jemand muss uns Informationen geben, und die kriegen wir bestimmt, wenn wir uns an die richtige Person wenden!«

      »Stanley?«, fragte Sergeant Finnegan grinsend und wackelte mit den Hüften.

      »Stanley!«, gab Maurer mit finsterer Stimme zurück.

      Er hasste es, Stanley Worthington aufsuchen zu müssen. Der Cambridgeabsolvent, Computer- und Informatikspezialist und sehr britische Stanley hatte eine Schwäche für das eigene Geschlecht und ganz besonders für Detective Maurer. Womit sich dieser die Ehre verdient hatte, war ihm ein Rätsel, allein, die Avancen von Stanley wurden nicht weniger, wie kühl sich Maurer auch gab. Finnegan vermutete, dass er genau darauf stände.

      Es fraß ihn von innen her auf. Er hatte sich die Vergiftung bei seinem letzten Auftrag eingefangen. Ein schleichendes Gift. Seine Truppe hatte den Bunker schnell genommen, und Widerstand war keiner mehr zu erwarten. Ihr Auftrag sah vor, dass sie toxische Stoff sicherstellten, bevor sie auf dem Schwarzmarkt angeboten und an weiß-Gott-wen verkauft würden. Ein schwarzer Koffer, in dem eine metallene Box aufgehoben wurde; diese Box sollten sie holen. Er hatte das Kommando. Seine Männer sicherten den Gebäudekomplex, während er und sein Leutnant sich um die Box kümmerten. Er hatte den Koffer geöffnet und die Metallbox herausgenommen. Der Soldat kam von hinten. Er hatte ihn nicht gesehen. Als der Schuss fiel, fuhr sein Leutnant herum und erwiderte sofort das Feuer. Die Kugel durchschlug den Schädel des Mannes. Er stürzte wie vom Blitz getroffen zu Boden. Der Schuss des Soldaten hatte sein Ziel verfehlt. Das Projektil schlug in die Abdeckung des Koffers ein. Niemand wusste, dass der russische Wissenschaftler noch ein anderes Experiment außer Landes gebracht hatte: ein Gift, das selbst in geringsten Spuren tödlich war. Es wirkte langsam, mit Verzögerung, aber absolut sicher und zuverlässig. Es gab kein Gegenmittel. Das Gift wirkte auf die Zellwände. Es löste den Körper von innen her auf. Es verflüssigte ihn. Das Geschoss traf die Ummantelung eines kleinen Zylinders, der neben der begehrten Box gelegen hatte. Ein wenig von der Substanz trat aus, eine klebrige, grüne Gallerte. Noch war nichts geschehen, aber dann machte er den größten Fehler seines Lebens und schnitt die Kugel als Andenken und Glücksbringer aus dem Koffer heraus. Er kam mit der Gallerte in Berührung. Drei Monate später setzten die Symptome ein. Die Ärzte konnten ihm nicht helfen. Sie konnten sein Leben etwas verlängern und ihm die Schmerzen nehmen, mehr nicht.

      Er schluckte Tabletten und kam sich vor wie ein an Aids Erkrankter. Die Krankheit brachte ihn in Zeitlupe um. Nein, keine Krankheit – das Gift. Die Ärzte hatten ihm erklärt, es sei eine Art von Enzym, das in seinem Aufbau dem Sekret einer Spinne ähnelte. Wie beim Biss einer Spinne, bei dem Gift injiziert wird, das das Opfer langsam von innen auflöst, wirkte das Gift in ihm. Sein Körper versuchte verzweifelt, die aufgelösten Zellen zu ersetzen, doch irgendwann würde das Absterben schneller vorangehen als die Neuproduktion – und dann würde das Ende kommen.

      Er hatte in seiner Tasche Schmerzmittel genug. Aber er wollte bei klarem Verstand bleiben. Die Mittel hatten alle ihre Nebenwirkungen, und bei den meisten hatte er das Gefühl, völlig sediert durch die Gegend zu laufen. Und das konnte er im Moment gar nicht gebrauchen.

      Er hatte gelernt, Schmerzen zu ertragen. Er biss die Zähne aufeinander und konzentrierte sich. Fixiere dein Denken und schalte unnötige Gedanken aus!

      Auf der Pritsche lag Roberta Stone, ohne Fußstange und ohne Handfessel. Er hatte ihre Gelenke mit Öl eingerieben und ihre Füße massiert. Er hatte sie, gleich nachdem sie in den Drogenrausch gefallen war, von der Kette genommen. Es war am Rande der möglichen Dauer gewesen, viel länger hätte es nicht dauern dürfen. Die Durchblutung ließ sich nach einem gewissen Zeitraum nicht mehr wiederanregen.

      Er hatte sie gewaschen und ihr eine Injektion mit Kochsalzlösung gegeben. Der Wasserverlust war geplant, aber er musste ihren Salzhaushalt ausgleichen. Nach seiner Rechnung hatte er noch eine gute halbe Stunde, bis er sie wieder aufhängen musste. Er entfernte vorsichtig den Katheter aus ihrem linken Arm, den er gelegt hatte, um die Kochsalzlösung zu injizieren. Wattebausch, Blutstropfen auffangen und dann noch ein kleines Pflaster auf den Einstich geklebt. Das war Routine für ihn. Er seufzte tief. Wenn das Leben anders verlaufen wäre, säße er dann auch hier?

      Die Untaten der Vergangenheit zogen ihre Wellen noch immer in