„Draußen auf dem Gang.“
„Dann laßt uns keine Zeit verlieren“, wisperte das Mädchen. „Vom Schott des Vordecks aus können wir auf die Kuhl blicken und die Wache zumindest beobachten, nicht wahr, Andai?“
Er lächelte ihr im Dunkel des Schiffsraumes zu. „An dir ist ein richtiger Krieger verlorengegangen, Hauula. Glaubst du denn wirklich, daß wir ohne Blutvergießen von diesem Teufelsschiff fliehen können?“
„Pele wird uns dabei helfen.“
„Ja“, murmelte jetzt auch Mara. „Ich habe Pele, die allmächtige Göttin Hawaiis, angefleht – und sie hat mein Gebet erhört.“
„Sind alle von ihren Fesseln befreit?“ fragte Hauula leise.
„Alle“, raunten die jungen Frauen.
„Dann los.“ Hauula schlich zum offenen Schott. Sie folgte Andai, Numil und Moho, die jetzt bereits auf den Gang hinauspirschten. Mara und die anderen acht Mädchen und Frauen schlossen sich ihr lautlos an.
Grand Duc, ein Riese von Mann mit einem gelben Tuch um den Kopf, stand auf sicheren Beinen inmitten der Horde von zwanzig lärmenden Piraten und hob die Rumflasche. Der zuckende Feuerschein ließ sein Gesicht fratzenhaft erscheinen und hob die Narben und anderen Unregelmäßigkeiten darin hervor, die von Messerstichen und wüsten Schlägereien herrührten.
Grand Duc – kein Mensch wußte, warum er diesen Namen angenommen hatte, nur alle waren sich darüber im klaren, daß kein einziger Tropfen adligen Geblüts in den Adern des Kerles pulsierte –, Grand Duc also hob die Flasche an den Mund, nahm einen kräftigen Schluck, setzte sie wieder ab und fuhr sich mit dem Handrücken über die Lippen.
„Gut!“ rief er. „Das lasse ich mir gefallen! Heda, wie weit seid ihr Himmelhunde mit dem Braten der Fische?“
Einer der Piraten, die sich auf dem Strand der Lagune um die zwei Lagerfeuer gekauert hatten, erhob sich, gestikulierte zu dem Riesen herüber und schrie: „Grand Duc, du kannst es wohl kaum erwarten, den ersten Happen herunterzuschlingen, was? Komm her und probiere, wir haben inzwischen auch den dicksten Brokken gar gekriegt.“
„Das ist ein Wort, Picou.“ Grand Duc stapfte mit der zu gut einem Drittel geleerten Flasche auf das Feuer zu, stieß einen der Sitzenden beiseite und trat dicht vor den eisernen Spieß hin, den die Kerle gerade aus den Flammen gezogen hatten.
Auf dem Spieß steckte ein Fisch von imposanter Größe, er mochte gut und gern seine zwanzig Pfund wiegen. Grand Duc war sich nicht sicher, ob es ein Zackenbarsch oder ein Umber war, aber die genauere Bezeichnung der Art interessierte ihn nicht sonderlich.
Er gab Picou, einem hageren Typ mit scharfgeschnittenen Zügen und gekrümmter Nase, ein Zeichen. Picou rückte dem Fisch daraufhin mit einem Messer zu Leibe und säbelte das beste Stück heraus, um es dem Riesen zu reichen.
Grand Duc war Masots rechte Hand und bester Ratgeber. Auf der „Saint Vincent“ galt er als der erste Offizier, Bootsmann und Steuermann in einer Person. So war es mehr als gerechtfertigt, daß er die erste Portion von dem größten gefangenen Fisch empfing.
Er griff mit der Hand zu und verbrannte sich fast die Finger, stieß einen Fluch aus, stopfte sich das weiße, dampfende Fleisch zwischen die Zähne und schluckte es fast unzerkaut herunter. Er spülte mit einem Schluck Rum nach, ließ die Flasche wieder sinken und rief: „Mehr Salz, Picou, du Laus, mehr Salz, zum Teufel, das schmeckt ja elend fad!“
„Sofort“, sagte der Hagere.
Während er den Fisch zusätzlich mit Salz aus den Bordvorräten der „Saint Vincent“ einrieb, blickte sich Grand Duc im Kreise der wilden, abenteuerlich gekleideten Kerle um. Sie hatten ein ordinäres Lied angestimmt, und er sang völlig unmusikalisch die Melodie mit.
Mitten in der Strophe unterbrach er sich jedoch und brüllte: „He, was meint ihr wohl, ob Louis und die anderen von der ‚Saint Croix‘ sich auch so gut amüsieren wie wir?“
„Bestimmt!“ rief einer der Piraten zurück. „Sogar noch besser als wir, sage ich dir. Die Hundesöhne tummeln sich auf Hawaii und können sich die Zeit mit den Inselweibern vertreiben!“
„Die haben’s gut!“ grölte ein anderer.
Picou hatte den großen Fisch jetzt ausreichend gewürzt und schnitt wieder ein Stück für Grand Duc heraus. Grand Duc verspeiste diesen Brocken auf dieselbe Art wie den ersten, nickte, ließ einen undeutlichen, knurrenden Laut vernehmen und sagte dann: „Gut. So ist es recht. Eßt, trinkt, singt, ihr Höllenbraten, laßt uns lustig sein.“
„Wie wär’s, wenn wir die Weiber holen?“ schrie jemand.
Grand Duc achtete nicht auf ihn. Er nahm wieder einen großen Schluck aus der Rumflasche und schaute zu, wie Picou und ein zweiter Freibeuter zunächst den großen Fisch und dann andere gegrillte Fische und Schalentiere zerlegten und an die Kumpane verteilten.
Grand Duc grübelte eine Weile herum, dann wandte er sich ab und schritt zu den Palmen hinüber, die den breiten Sandstrand landeinwärts säumten. Er blieb stehen und blickte zu dem hölzernen Käfig auf, der im zunehmenden Ostwind hin und her schwankte.
Masot hatte diesen Käfig an Bord der „Saint Vincent“ zimmern lassen, um Zegú, den König von Hawaii, hineinzusperren und wie ein wildes Tier darin zu halten. Dies war eine zusätzliche Schmach und Erniedrigung für den stolzen Insulaner. Masot wußte sehr genau, wie er ihn zutiefst kränken konnte, und er hatte in der Absicht gehandelt, Zegú so sehr in seiner Ehre zu verletzen und seelisch zu quälen, wie er irgend konnte. Masot haßte die hochmütige Art, mit der der weißhaarige, hochgewachsene Polynesier ihm begegnet war.
Grand Duc hatte auf Masots Anweisung hin den Käfig mit dem Gefangenen auf die Insel schaffen lassen. Zwei Männer waren auf eine Kokospalme gestiegen, hatten das Tau, das mit dem Dach des Käfigs verbunden war, oben auf eine Weise befestigt, daß man die Gitterkonstruktion hochziehen konnte, und dann hatte Grand Duc den Käfig hochhieven lassen, so daß er gut sechs Fuß über dem Sand hing.
Das war eine weitere Schikane Masots. Er wollte Zegús Stolz brechen und ihn völlig demoralisieren.
Zegú stand aufrecht in seinem hölzernen Gefängnis und sah voll Verachtung auf den Riesen hinunter.
„Geh fort“, sagte er auf spanisch. „Ich will dich nicht sehen, Pirat. Deine Gegenwart beleidigt mich.“ Wie fast alle Bewohner der Dörfer Hawaiis hatte er von Thomas Federmann, dem deutschen Freund, genügend Spanisch, Englisch und Deutsch gelernt, um sich Europäern gegenüber verständlich auszudrücken.
Grand Duc zeigte sich unbeeindruckt. Er trank wieder aus seiner Flasche, spuckte aus und rief zu dem Gefangenen hinauf: „Ich hab schon verstanden, was du sagst, du braunhäutiger Affe. Soviel Spanisch kann ich, du Hund.“
„Verrecke“, sagte Zegú.
„Weißt du, was ich mit dir anstelle?“
„Ich verstehe dein Gekläff nicht“, antwortete Zegú im reinsten Kastilisch – und das stimmte sogar, denn er war der französischen Sprache nicht mächtig.
„Heute nacht lasse ich dich durchs Feuer tanzen, du Kannibale“, erklärte Grand Duc. „Fuego, kapiert? A toda velocidad, comprendido? Ah, du wirst schon sehen. Du wirst tanzen und singen, in den hellsten Tönen singen, das schwöre ich dir.“
Er registrierte eine Bewegung hinter seinem Rücken und fuhr herum. Seine freie Hand fiel auf den Kolben der Steinschloßpistole, die in seinem Waffengurt steckte, aber er hielt in der Geste inne, als er Picou erkannte.
„Gib dich das nächste Mal zu erkennen, du Idiot“, fuhr Grand Duc ihn an. „Ich kann es nicht leiden, wenn man hinter mir rumschleicht.“
„Ja, Grand Duc.“
„Was willst du? Ihr könnt es wohl kaum abwarten, den Kanaken durch die Flammen springen zu sehen, was?“
Picou schüttelte den Kopf. „Grand Duc, die Männer