Die Wachtposten hatten sich von den anderen Banditen erzählen lassen, was sich am Bosporus und in Üsküdar zugetragen hatte. Einer von ihnen trat jetzt auf die Brüder Porceddu zu.
„Was sind das für Fremde?“ fragte er. „Woher kommen diese Kerle, die euch angegriffen haben?“
„Keine Ahnung“, erwiderte Dario. Er hob die Schultern und ließ sie wieder sinken.
„Ich bin doch kein Hellseher“, sagte Silvestro unwirsch. „Türken sind sie auf keinen Fall. Sie sind Giaurs, also Europäer wie wir.“
„Griechen? Italiener?“ wollte der Kerl wissen.
„Eine bunt zusammengewürfelte Horde“, erklärte Brodzu. „Wenn ich mich nicht täusche, haben sie sogar einen Nigger dabei, so einen schwarzen Hund. Ja, und einen Papagei und einen Affen habe ich auch an Bord des verfluchten Kahns gesehen.“
„Sie haben also Wunderwaffen?“ fragte ein anderer Wächter der Burg.
„Wunderwaffen gibt’s nicht“, entgegnete Silvestro barsch. „Schreib dir das hinter die Löffel.“
„Aber – was ist mit den explodierenden Flaschen?“ fragte ein Kerl, der unmittelbar neben Brodzu stand.
Brodzu stieß einen grunzenden Laut aus. „Ich sehe das so. Die Hunde füllen die Flaschen mit Pulver und Blei ab, stecken eine Lunte rein und zünden sie an. Dann schmeißen sie die Flaschen zu ihrem Gegner rüber.“
„Genial“, sagte ein Bandit. „Warum machen wir das nicht auch?“
„Du Idiot, ich kopiere nichts von einem Todfeind“, antwortete Dario. „Jeder hat seine eigene Kampfmethode. Diese Burschen haben unsere Methode nur noch nicht richtig kennengelernt.“
„Also schön“, sagte Silvestro Porceddu. „Ich gehe jetzt erst mal nach oben. Wir treffen uns dann im Saal.“
Er stapfte davon. Dario, Brodzu und die anderen blickten ihm nach. Sie verspürten jetzt ebenfalls Durst. Ja, der Wein würde sie aufmuntern und die Müdigkeit aus ihren Knochen vertreiben. Hunger hatten sie auch – nicht nur auf Brot, Wurst und Käse, sondern auch auf die Frauen.
Dario Porceddu dachte wieder an Salome. Du gehörst mir, dachte er, und du wirst meine ergebene Sklavin sein. Sonst geht es dir schlecht.
6.
Am nächsten Morgen verließ der Seewolf mit einer Abordnung seiner Mannen die Dubas. Dieses Mal waren Ferris Tucker, Don Juan de Alcazar, Carberry und Hasard junior bei ihm. Sie schritten durch das Hafenviertel und die Altstadt, neugierig beäugt von den Türken, die aus allen Himmelsrichtungen zusammenliefen.
Allerdings war der Anlaß für das Treiben nicht die Anwesenheit der „Giaurs“, sondern die Tatsache, daß an diesem Tag Markt abgehalten wurde. Alles, was Beine hatte, traf sich am Basar. Hasard und seine Kameraden sahen sich das bunte Durcheinander eine Weile an. Dann begaben sie sich zu Kemil Haydar und dessen Sohn Balat.
Die ganze Zeit über schauten sich die Arwenacks prüfend nach allen Seiten um. Doch dieses Mal gab es keine Schatten, die ihnen folgten. Im übrigen patrouillierten überall die Soldaten der Garde. Die Porceddus und ihre Spießgesellen wären wahnsinnig gewesen, wenn sie sich bei den jetzt herrschenden Zuständen erneut nach Üsküdar getraut hätten.
„So dumm sind die nicht“, sagte der Seewolf, als er sich mit seinen Mannen über das Thema unterhielt. „Sie geben ihre Rachepläne gewiß nicht auf. Aber sie werden eine Weile abwarten, bis sie wieder zuschlagen.“
Ferris Tucker grinste breit. „Und in der Zwischenzeit kommen wir ihnen zuvor, wie?“
„So stelle ich mir das vor“, entgegnete Hasard.
„Höllenflaschen habe ich genug zur Verfügung“, meinte der rothaarige Riese.
„Das weiß ich.“ Der Seewolf blieb im Eingang des prunkvollen Hauses stehen und wandte sich zu seinen Begleitern um. „Ich schätze, wir werden dieses Mal aber auch ein paar Brandsätze mitnehmen. Wir wissen ja nicht genau, mit wie vielen Gegnern wir es zu tun haben.“
Das wußte auch Kemil Haydar nicht. Der Kaufmann empfing sie in seinem mit Brokat und Samt tapezierten Privatgemach. Lakaien bewirteten die Gäste – wieder mit Fruchtsäften und anderen süßen Sachen.
„Keiner weiß über die Stärke der Bande Bescheid“, erklärte der Kaufmann, nachdem sie die üblichen Höflichkeiten ausgetauscht hatten. „Man kann sie nur schätzen. Ich glaube, es sind an die drei Dutzend Kerle.“
„Es können aber auch vier Dutzend sein“, gab der Seewolf zu bedenken. „Wenn sie zu einem Überfall ausrücken, bleiben bestimmt einige Kerle in der Burg des Scheitans zurück. Sie müssen den Schlupfwinkel bewachen. Das dürfen wir nicht vergessen.“
„Und sie müssen auch auf die Gefangenen aufpassen“, sagte Don Juan.
„Wie viele Frauen und Mädchen befinden sich in der Gewalt der Bande?“ erkundigte sich Ferris Tucker bei dem Kaufmann.
Kemil Haydar zuckte mit den Schultern. „Auch darüber kann man nur Vermutungen anstellen. Keiner hat die Zahl der Verschwundenen genau verfolgt.“
„Tolle Zustände“, urteilte der Profos. „Wir haben also im Grunde von nichts eine Ahnung und wissen auch nicht einmal, wo sich die Burg der Kerle genau befindet.“
„So ist es“, erwiderte der Kaufmann. „Ihr müßt die Burg suchen. Ich werde euch natürlich begleiten, und auch Balat wird mit dabeisein. Den Weg in die Dodullu-Berge kenne ich. Dort werden wir uns bei Tag umsehen, und vielleicht treffen wir jemanden, der uns weiterhilft.“
Hasard schüttelte den Kopf. „Nein, das kommt nicht in Frage. Ich halte es für einen Fehler, wenn ihr mitkommt. Die Porceddus werden nicht zögern, Sie beide kaltblütig aus dem Weg zu räumen, Kemil.“
„Auch ihr setzt euer Leben aufs Spiel“, entgegnete Haydar.
Don Juan de Alcazar lächelte. „Das ist schon richtig. Aber wir sind gewohnt, eine Menge zu riskieren. Ihr hingegen seid keine Kämpfer. Ich will Ihnen genauer erklären, was mein Kapitän meint. Die Porceddus haben sicherlich Späher und Kundschafter, die die Umgebung der Burg im Auge behalten. Angenommen, die entdecken uns. Dann kann jeder Heckenschütze zwei bis drei von uns aus dem Sattel schießen.“
„Und wenn es euch erwischt“, sagte der Seewolf zu dem Kaufmann, „tragen wir die Verantwortung dafür.“
Kemil Haydar sagte verwirrt: „Aber – genauso ergeht es mir, wenn euch etwas zustößt!“
„Nein, nein“, widersprach der Profos. „Wir nehmen das auf unsere Kappe. Wir haben mit diesen Porceddu-Kerlen ein persönliches Hühnchen zu rupfen. Und wir wollen die Ladys aus dem Gemäuer befreien. Wenn sie uns Ihre Pferde überlassen, Mister Kemil, haben Sie uns schon einen sehr großen Gefallen getan.“
„Aber das ist doch selbstverständlich“, erwiderte Haydar. „Ich werde euch auch Waffen und Geld zur Verfügung stellen.“
Der Seewolf hob die rechte Hand. „Das ist nicht erforderlich. Waffen haben wir selbst genug. Geld ebenfalls. Und ich schätze, daß wir in den Dodullu-Bergen nicht sehr viel Gelegenheit haben, etwas davon auszugeben.“
Ferris, der Profos, Don Juan und Hasard junior grinsten.
„Nein“, sagte der Schiffszimmermann. „Kneipen und Hurenhäuser gibt’s da oben bestimmt nicht.“
„Also“, sagte Hasard zu dem Kaufmann. „Unser Plan sieht folgendermaßen aus. Wir wählen die Pferde aus. Es sollten mehr als fünfzehn sein, falls das möglich ist.“
Kemil Haydar nickte bedächtig. „Es ist möglich. Ich kann Ihnen auch dreißig Tiere geben.“
„Nein“, entgegnete der Seewolf. „So viele brauchen wir