„Nicht die ganze Bande“, sagte Dario. „Wir werden uns zu dritt im Ort bewegen. Du und ich. Und Brodzu.“
„Wo ist das Haus dieser Pfeffersäcke?“ wollte Brodzu wissen.
„Das ist mir nicht bekannt“, antwortete Dario. „Aber auch das werden wir bald erfahren.“
„Wir schleichen uns in den Palast der Türken“, sagte Silvestro. „Und dann murksen wir jeden ab, der uns in die Quere gerät.“
„Vergiß das Geld nicht“, sagte Dario. „Ich will es mir holen.“
„Was glaubst du, was ich will?“ zischte Silvestro.
„Die Gelegenheit ist doch eigentlich günstig“, sagte Brodzu. „Wir schnappen uns nicht nur die Säcke, sondern den ganzen Reichtum dieser Bastarde. Wir plündern die ganze Burg aus.“
„Jawohl“, brummten, die anderen Kerle.
Der Gedanke, eine noch größere Beute zu reißen, als ursprünglich vorgesehen war, verlieh ihnen Auftrieb. Anfangs hatten sie angenommen, daß sie mit den beiden Haydars leichtes Spiel haben würden. Fast hatten sie sie eingeholt und gefaßt, doch dann waren ihnen diese verfluchten Bastarde, diese Giaurs, aufgetaucht.
Die Sarden konnten nicht verkraften, daß ihnen die fette Beute entgangen war und einige ihrer Kumpane ins Gras gebissen hatten. Drei! Ein hoher Preis für das Unternehmen, das ihnen im Endeffekt eine Niederlage gebracht hatte.
Aber es wäre falsch gewesen, jetzt ganz aufzugeben und zum Schlupfwinkel zurückzukehren. Das Eisen mußte geschmiedet werden, solange es noch halbwegs heiß war. Das wußten Dario und Silvestro Porceddu am allerbesten.
Vor ihren Kerlen durften sie sich jetzt keine Blöße geben, denn das wurde sofort als Schwäche ausgelegt. Die Entscheidung, der Dubas bis nach Üsküdar zu folgen, war richtig – nicht nur wegen der Rachepläne.
Die Porceddu-Brüder mußten ihren Anhängern beweisen, daß sie immer noch so verwegen und kaltblütig waren, wie sie bislang immer unter Beweis gestellt hatten.
Von einer Anhöhe aus beobachteten die Kerle durch ihre Fernrohre, wie die Dubas in den Hafen von Üsküdar einlief und an einer Pier vertäut wurde. Türken liefen auf den Segler zu. Es schien sich um Haydars Leute zu handeln.
Dario Porceddu konnte sehen, wie der Kaufmann ihnen durch Gesten und Rufe Befehle gab. Die Untertanen halfen ihrem Herrn und dessen Sohn an Land. Sie nahmen die Geldsäcke in Empfang. Und sie dienerten vor den verdammten Bastarden an Bord der Dubas.
„Das dauert noch ein wenig“, sagte Dario. „Los, wir reiten runter in die Stadt.“ Er drehte sich zu den anderen um. „Ihr wartet hier auf uns. Sollten unerwartet Soldaten auftauchen, zieht ihr euch zurück, klar?“
„Klar“, erwiderten die Kerle.
„Silvestro, Brodzu“, sagte Dario. „Beeilen wir uns, sonst verlieren wir die Hurensöhne aus den Augen.“
Silvestro hämmerte seinem Pferd die Hacken in die Weichen. Wie der Leibhaftige in Person jagte er auf die Häuser zu. Sein Bruder schüttelte den Kopf. Wollte Silvestro um jeden Preis auffallen? Nun, er konnte ihn nicht mehr zurückhalten. Dario folgte Silvestro. Brodzu trieb ebenfalls sein Pferd an und ritt hinter den Brüdern her.
Silvestro stieß die übelsten Flüche aus, während er dahinraste. Seit einiger Zeit fiel ihm auf, daß Dario ihn zu übertrumpfen versuchte. Dario wollte das Ruder ganz an sich reißen und das alleinige Kommando übernehmen. Und irgendwann würde er ihn, Silvestro, ausbooten. Jetzt gab er ihm schon vor der versammelten Meute Befehle!
Im stillen beschloß Silvestro, auf der Hut zu sein. Sein Bruder mochte glauben, daß er nur ans Huren und Saufen dachte. Aber Silvestros Verstand war nach wie vor klar. Wenn jemand ein Komplott gegen ihn schmiedete, so war er der erste, der es spürte. Und er würde sich dagegen zu wehren wissen.
Wenn Dario weiterhin den großen Macher spielte, der die Anweisungen gab, dann würde es zum offenen Konflikt zwischen ihnen kommen. Und Silvestro schreckte vor nichts zurück. Auch nicht davor, den eigenen Bruder zu töten.
Ein paar Kinder liefen vor den Reitern davon, als diese auf die ersten Häuser des nördlichen Stadtrandes zupreschten. Dann waren die Gassen wie leergefegt. Nur hinter den Fenstern der Häuser waren hier und dort Gesichter zu erkennen. Neugierige, verängstigte Augen beobachteten die Sarden.
Dario, Silvestro und Brodzu kümmerten sich nicht darum. Sie führten ihre Pferde auf einen Hof und banden sie fest, als gehöre der Hof ihnen. Zu Fuß setzten sie ihren Weg fort. Es war zu gefährlich, durch Üsküdar zu reiten. Leicht konnten sie an eine Patrouille der Stadtgarde geraten, die sie anhielt und ausfragte.
Und wenn die Soldaten sie erkannten, hatten sie kaum noch eine Chance, Üsküdar lebend zu verlassen. Zu dritt konnten die Banditen es höchstens mit fünf, sechs Gegnern aufnehmen, nicht mit einer kompletten Garde.
Folglich war es ratsam, sich vorsichtig zu bewegen. Die drei Sarden schlichen durch die Gassen und Gänge zum Hafen. Vor einem dunklen Tor aus verfolgten sie, wie eine Abordnung ihrer Gegner die Dubas verließ und mit den Haydars und deren Dienern zum Kai marschierte.
„Gut“, flüsterte Dario. „Wir sind gerade noch rechtzeitig erschienen.“
„Wir warten, bis sie an uns vorbei sind“, raunte Silvestro. „Dann klemmen wir uns hinter sie.“
„Soll ich hierbleiben und den Zweimaster im Auge behalten?“ fragte Brodzu.
„Nein, das ist nicht nötig“, erwiderte Dario. „Solange die Kerle an Land sind, wird der Zweimaster nicht auslaufen. Und wir sollten uns auf keinen Fall trennen.“
Ihre Gegner hatten den Kai erreicht und verschwanden in einer Gasse. Dario, Silvestro und Brodzu verharrten noch eine Weile, dann pirschten sie an der Mauer entlang und huschten auf die Gasse zu. Sie achteten darauf, ob man sie von Bord der Dubas aus beobachtete. Aber das schien nicht der Fall zu sein.
Die drei Banditen tauchten in der Gasse unter. Ein Blick genügte ihnen, und sie waren sicher – sie hatten die Gegner wieder vor sich. Jetzt konnten sie ihnen nicht mehr entkommen.
5.
Die Gruppe der Arwenacks bestand aus Hasard, Ben Brighton, Big Old Shane, Philip junior und Dan O’Flynn. Für die Zeit ihrer Abwesenheit hatte Old O’Flynn das Kommando über den Zweimaster übernommen. Der Rest der Crew wartete auf die Rückkehr der fünf Mannen und nahm die Gelegenheit wahr, sich ein wenig im Hafen von Üsküdar umzuschauen.
Der alte O’Flynn und die Männer an Bord der Dubas behielten die Piers und den Kai unablässig im Auge. Aber von den Banditen war nichts zu sehen. Die Porceddus und ihre Kerle mochten die Dubas verfolgt haben, aber in die Stadt wagten sie sich offenbar nicht – aus triftigen Gründen.
So übersahen die Arwenacks im Büchsenlicht die drei Gestalten, die den Haydars und den fünf Mannen folgten. Aber auch Dan O’Flynn, der immer wieder über die Schulter zurückblickte, entdeckte die Verfolger nicht.
„Bist du sicher, daß wir die Kerle nicht im Nacken haben?“ fragte der Seewolf im Dahinschreiten.
„Ich kann nichts Verdächtiges erkennen“, erwiderte Dan. Er kniff die Augen etwas zusammen. Viele Menschen waren in den Gassen unterwegs, doch es handelte sich ausnahmslos um Einheimische. Von den sardischen Banditen war nichts zu sehen.
Philip junior sprach die Haydars auf die Sarden an.
Kemil Haydar schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein, so dumm sind die Kerle nicht, daß sie sich freiwillig in die Falle begeben. Ihre Gesichter sind überall bekannt. Es braucht sie nur ein Soldat der Stadtgarde zu erkennen, und schon sind sie geliefert.“
Hasard und seine Männer waren beruhigt. Was der Kaufmann sagte, leuchtete ihnen ein. Sicherlich lauerte die