„Jetzt verstehe ich“, sagte der Portugiese, und Bewunderung klang in seiner Stimme mit.
„Das ist aber noch nicht alles, Señor de Ribeiro“, sagte Hasard. „Ich muß es erwähnen, weil es wichtig ist. Alle Männer der ‚Isabella‘ sind auch ihre Miteigner oder Reeder, wenn Sie so wollen. Sie beteiligten sich am Kauf des Schiffes.“
„Das gibt es doch gar nicht“, sagte der Portugiese verblüfft, ja nahezu betroffen.
Hasards Lächeln war fein und verhalten. „Warum nicht?“
„Das Geld!“ platzte de Ribeiro heraus. „Woher hatten sie denn das Geld, um sich an dem Kauf eines solchen Schiffes beteiligen zu können?“ Er betonte das „eines solchen“ und verriet damit, daß er wohl erkannt hatte, was die „Isabella“ von anderen Galeonen unterschied.
Ganz offen erwiderte Hasard: „Sie knöpften es den Spaniern ab – jenen Spaniern, die drüben die Neue Welt ausplünderten. Wenn ich ‚sie‘ sagte, so zähle ich natürlich auch dazu. Darf Ihnen Mister O’Flynn jetzt antworten?“
„Jawohl, Sir“, sagte de Ribeiro. Er sagte „Sir“!
Dan O’Flynn hob den Kopf mit den hellen, scharfen Augen, lächelte leicht und sagte: „Ich glaube, daß ich richtigliege, wenn ich erkläre, daß Kapitän Killigrew ein Mann ist, der zwischen zwei Parteien den Standpunkt der Neutralität vertritt, vorausgesetzt, beide Parteien sind gleichwertig. Diese Gleichwertigkeit bezieht sich auf die Kampfkraft dieser beiden Parteien. Sollte jedoch die eine oder andere Partei zu Mitteln greifen, die unmenschlich, grausam, tückisch, gemein – nach christlicher Auffassung teuflisch – sind, dann wird sich Kapitän Killigrew auf Biegen und Brechen für jene Partei einsetzen und schlagen, die einen solchen Weg nicht geht. Das ist eine Frage des Rechtsstandpunktes. Es gibt ein Kriegsrecht, ein moralisches Recht, ein Recht des Schwächeren – vielleicht. Nur ist Recht unteilbar. Das Recht eines Stärkeren – weil er die Macht hat – haben wir Männer der „Isabella‘ nie anerkannt. Ich fasse zusammen, um Ihre Frage, Señor de Ribeiro, zu beantworten – anstelle meines Kapitäns: Kapitän de Jonge versuchte, uns zu erspressen. Die Antwort werden wir ihm nicht schuldig bleiben, falls er versuchen sollte, Sie anzugreifen.“
Gaspar de Ribeiro starrte Dan O’Flynn sprachlos an, dann wechselte sein Blick zu Hasard.
Hasard sagte: „Kein Kommentar.“
Jetzt war der weißhaarige Mann fast verstört.
„Mein Gott“, murmelte er, „das gibt es doch nicht, das kann es nicht geben, so etwas habe ich noch nicht erlebt. Sollte die Welt anders sein, als ich meinte erkannt zu haben – und ich habe über ein halbes Jahrhundert hinter mir!“
„Die Welt“, sagte Hasard, „ist weder gut noch schlecht. Sie ist nur so, wie wir Menschen sie gestalten. Es gibt das Gute, und es gibt das Böse. Vielleicht muß das so sein, damit das Gute nie einschläft. Nur – was ist gut?“
Und damit verließen sie Gaspar de Ribeiro.
Als sie zur „Isabella“ zurückgingen, sagte Hasard: „Deine Antwort war gut, Dan. Sie entspricht genau meiner Auffassung. Seit wann denkst du über Recht nach?“
Sehr ernst sagte Dan O’Flynn: „Seit ich zum ersten Male begriff, auf welche Weise dein Pflegevater, Sir John Killigrew, Herr auf Arwenack, über die Leute von Falmouth herrschte, ohne irgendwelche Rücksichten zu nehmen. Da war ein besonderer Punkt, der mich zuerst irritierte und dann empörte. Er nahm sich das Recht heraus, für seine Mannen auf Arwenack Ehen zu schließen und in der ersten Nacht nach der Hochzeit mit der Braut zu schlafen – ob das dem Bräutigam und der Braut paßte oder nicht. Und war dann auch noch ein Kind die Folge, dann durfte der auf diese Weise gehörnte Ehemann für den Bastard sorgen. Sir John hielt es nicht für nötig, sich darum zu kümmern. Ich gebe ohne weiteres zu, daß ich damals fest entschlossen war, Sir John umzubringen, falls mir so etwas widerfahren sollte. Vielleicht war auch das einer der Gründe, warum ich von zu Hause ausrückte. Was Sir John in burgherrlicher Weise tat, verletzte die Würde des Menschen. Das ist jedenfalls meine Meinung.“
„Sie ist richtig“, sagte Hasard.
Eine Stunde später verholten sie die „Isabella“ zu der Helling, scheel beäugt vom Kapitän der „Zwarte Leeuw“, der wie ein gereizter Bulle auf der Kampanje seines Schiffes hin und her marschierte. Aus dem Verholen der „Isabella“ mußte er schließen, daß sich Hasard mit den Portugiesen geeinigt hatte.
Die Männer der „Isabella“ leisteten Schwerarbeit. Sie hatten die beiden Beiboote ausgesetzt, lange Leinen zu den Pollern auf dem Galionsdeck ausgefahren und schleppten die Galeone mit Muskelkraft zur Helling.
Je acht Männer pullten in den beiden Beibooten. Und wenn einige Kerle auf der „Zwarte Leeuw“ zuerst höhnisch gegrinst hatten, dann war denen das Grinsen sehr schnell vergangen, denn die Seewölfe hatten einen Schlag drauf, mit dem sie ihr Schiff glatt bis Sumatra hätten verholen können – quer über die Sundastraße.
Der breitschultrige Bootsmann, der in einem der beiden Beiboote das Verholmanöver leitete, tat das mit einer Lässigkeit, als jongliere er tagtäglich mit Galeonen über irgendwelche Reeden.
Das wickelte sich alles ohne viel Tamtam, Brüllerei oder Hektik ab. Einige der Niederländer verstiegen sich zu der Ansicht, auf diese Weise könnten die „Isabella“-Kerle glatt ein Gefecht führen, woran sogar ein Fünkchen Wahrheit war, was die Manövrierbarkeit betraf.
Der Wind stand in die Bai, was diese Kerle dazu ausnutzten, die Galeone bis etwa sechzig, siebzig Yards quer vor die Helling zu schleppen und sie dann vom Wind mit dem Heck zur Slipanlage herumschwojen zu lassen. Der Bug blieb seewärts gerichtet, gehalten von den sanft anpullenden Männern in den beiden Beibooten. Der Wind trieb die Galeone jetzt – mit dem Heck voran – auf die Slipanlage zu.
Die beiden Beiboote, schräg vom Bug weg herausgestaffelt, wirkten jetzt wie Ruder oder auch bremsend, je nachdem, was notwendig war.
Es sah fast spielerisch aus, wie die schlanke Galeone mit den überlangen Masten und den niedrigen Aufbauten in die richtige Position dirigiert wurde – und dennoch war es ein irres Manöver, das sich kaum einer der Niederländer zugetraut hätte.
Und weil ein großer Teil der niederländischen Crew dieses Manöver lautstark bewunderte, platzte Pieter de Jonge mal wieder vor Wut und brüllte seine Leute an, ob sie nichts Besseres zu tun hätten, als Maulaffen feilzuhalten.
Damit der Schlendrian nicht einriß, ließ er seine Kerle die Decks schrubben, was reine Schikane war, weil das morgendliche Reinschiff vor drei Stunden beendet worden war.
Später ließ er sich von einer Pinasse zu den vier ankernden Galeonen pullen und schien auch dort Kapitäne und Mannschaften auf Trab zu bringen, denn als er zurückkehrte, gingen die vier Galeonen ankerauf und übten vor dem Baiausgang das Segeln im Verband. Vielleicht wollte er auch demonstrieren, daß er es in der Hand habe, die Bantambai abzuriegeln oder zu blockieren.
Die „Isabella“ wurde mit dem Heck voran auf die Slipanlage bugsiert und über mehrere Winschen, an denen Portugiesen und Eingeborene unter der Leitung des Hellingmeisters arbeiteten, so weit aus dem Wasser gezogen, daß das Heck freikam.
Dann ging Ferris Tucker, unterstützt von Big Old Shane, Al Conroy und einigen anderen Helfern, an die Arbeit.
Gegen Mittag fielen die Seewölfe über die vom Kutscher gebratenen „Piephähne“ her, wie Carberry sie nannte.
Zu diesem Zeitpunkt hatte de Jonge ein Schauspiel besonderer Art zu bieten.
Die vierzehn Mannen, die in der Nacht von den sechs Seewölfen als Wein- und Schnapsleichen auf der Pier abgeliefert worden waren, wurden nacheinander auf der Kuhl ausgepeitscht.
Das besorgte der Bulle von Profos, der aus der Vorpiek geholt worden war.
Dann wurde die