„Ich wurde rasend.“
Jetzt trank der Kapitän. Seine Hand zitterte, als er das Glas zum Mund führte. Genever tropfte über sein Kinn und lief an seinem Hals entlang in den Hemdausschnitt.
„Du mußt mir mehr darüber erzählen, Jan Swammerdam“, sagte er. „Jede Einzelheit. Nur so kann ich entscheiden, in welchen Sumpf der Sünde du dich verirrt hast. Du bist tief gesunken, Jan Swammerdam, und ich habe dich zum Tode durch den Strang verurteilt. Du weißt, nur meine Gnade kann dich noch retten.“
„Was soll ich tun, Kapitän?“
„Du wirst heute nacht das Schiff dieser englischen Hunde überfallen und den Kapitän töten!“
„Ich allein?“
„Unsinn. Die vierzehn Dummköpfe, mit denen du in der letzten Nacht die sechs Engländer überwältigen und hier an Bord bringen solltest, werden dich begleiten. Es ist auch deren letzte Chance.“
„Fünfzehn Männer sind zu wenig, Kapitän“, sagte der Profos. „Die Engländer kämpfen wie die Teufel.“
„Hast du Angst, Jan Swammerdam? Als du das Weib überfielst, hattest du auch keine Angst. Du mußt wieder rasend sein – wie zu dem Zeitpunkt, als dich deine Lüste übermannten. Verstehst du das?“
Der Bulle grunzte und schien nicht sehr begeistert zu sein. Vieles begriff er auch nicht. Warum wollte der Kapitän so viele Einzelheiten wissen? Als die Untat bekannt geworden war, hatte der Kapitän bereits gierig nach den Details gefragt. Warum fragte er immer wieder?
Die Stimme des Kapitäns war scharf wie ein Messer. „Hast du verstanden, Jan Swammerdam? Warum antwortest du nicht? Soll ich dich wieder auspeitschen lassen?“
„Nein, Kapitän. Ich meinte nur, daß es schwer sein wird, mit nur vierzehn Männern das Schiff zu besetzen und den Kapitän zu töten. Sollen wir auch seine Leute töten?“
„So wenig wie möglich. Sie sollen die Peitsche spüren – deine Peitsche, Jan Swammerdam. Du peitschst doch gerne, nicht wahr?“
Der Bulle keuchte. „‚Jawohl, Kapitän.“
„Na also.“ Der Kapitän legte sich in die Kissen seiner Koje zurück. „Gut, ich werde dir noch fünf Männer zusätzlich mitgeben. Dann seid ihr zwanzig. Schenke uns noch einen Genever ein, Jan Swammerdam.“
Der Bulle gehorchte.
Wie zuvor hob der Kapitän sein Glas.
„Ich trinke auf deinen Tod, Jan Swammerdam“, sagte er.
Der Profos trank mit verbissenem Gesicht.
„Es sei denn“, sagte der Kapitän, „du meldest mir den Tod des englischen Kapitäns. Dann, Jan Swammerdam, trinke ich auf dein Leben. Sage, daß ich gütig bin.“
„Sie sind gütig, Kapitän.“
„Wir wollen beten“, sagte Pieter de Jonge, „wie es sich für Christenmenschen geziemt. Knie nieder, Jan Swammerdam, und bete mir nach!“
Es wurde ein sehr schauriges Gebet, denn Kapitän Pieter de Jonge erging sich in endlosen Tiraden über die Sünden der Fleischeslust, deren verschiedene Einzelheiten von ihm mit donnernder Stimme angeprangert, aber von dem Profos kaum noch verstanden wurden.
Es war ihm auch völlig gleichgültig, ob ein Gebot bestand, er möge keine Hand anlegen an seines Bruders Weib. Er hatte keinen Bruder, soweit er sich erinnern konnte, und wenn er einen gehabt hätte und dessen Weib wäre begehrenswert gewesen, na dann …
Er murmelte nach, was der Kapitän salbaderte.
Und er dachte an die sechs harten Männer des englischen Schiffes. Teufel, dachte er, das kann nicht gutgehen.
„Landgang, Sir?“ fragte Ben Brighton an diesem Abend genauso, wie er es einen Tag zuvor getan hatte. Und in seinen grauen Augen blitzte es wieder unternehmungslustig – wie am Vorabend.
„Suleika“, sagte Hasard lächelnd.
„Suleika“, bestätigte Ben Brighton, „die Blume des Orients.“
Hasard strich sich über das glatte Kinn und starrte zu der „Zwarte Leeuw“ hinüber.
Ben Brighton folgte dem Blick. Er sagte: „Ich hatte geraten, daß wir den Kerl in die Vorpiek sperren. Dann hätten wir Ruhe gehabt.“
„Ich weiß, Ben.“ Hasard hob unbehaglich die Schultern. „Vielleicht hätten wir es tun sollen. Aber irgendwie war mir das nicht recht.“
Selten geschah das, fast nie, aber Ben Brighton sagte scharf und hart: „Irgendwann gehen wir einmal mit fliegenden Fahnen unter – wegen deiner Fairneß.“
„Besser so als mit dem Gedanken, unfair gewesen zu sein.“
Ben Brighton seufzte, und das war Antwort genug.
„Schieß ab an Land“, sagte Hasard, „aber Ed bleibt dieses Mal an Bord, vielleicht rappelt’s bei denen da drüben, und sie versuchen was. Da hätte ich Ed gern hier an Bord. Wie viele Männer nimmst du mit?“
Ben Brighton starrte auf seine Stiefel und sagte nichts.
„He, Ben, ich habe dich was gefragt!“ sagte Hasard.
Ben Brighton hob den Kopf.
„Ich bleibe“, sagte er knapp.
„Was ist mit dir los, Ben?“ fragte Hasard verblüfft. „Soll ich dich vielleicht an Land prügeln?“
„Ich habe eben nachgedacht“, erwiderte Ben. „Ich weiß, daß sie es heute nacht versuchen werden. Da brauchen wir jeden Mann.“
„Schwarzseher?“
„Es ist so, ich weiß es eben.“ Ben Brighton reckte die Schultern. „Frag mich nicht, warum ich das weiß. Sie werden vom Wasser und von der Landseite her angreifen. Danach sollten wir unsere Verteidigung aufbauen.“
„Ben“, sagte Hasard, „du bist an diesem Abend ziemlich verbissen. Vielleicht solltest du doch in Erwägung ziehen, daß Suleika auf dich wartet. Was meinst du?“
„In Ordnung, Sir.“ Ben Brighton richtete sich kerzengerade auf. „Dann möchte ich Matt Davies, Dan O’Flynn, Jeff Bowie und Gary Andrews mit an Land nehmen.“
„In Ordnung, Ben. Wir verfahren wie gestern. Drei Böller mit den Drehbassen – und hier ist was los, klar?“
„Alles klar, Sir.“
Zehn Minuten später stieg Ben Brighton mit den Männern, die er genannt hatte, über die Leiter von Bord. Es war bereits dunkel. Hasard starrte ihnen nach. Irgend etwas irritierte ihn, aber er wußte nicht, was es war.
Er vergaß es wieder, weil er mit Big Old Shane und Smoky darüber beratschlagte, welche Posten an welchen Stellen aufgestellt werden sollten. Carberry gesellte sich hinzu. Ferris Tucker, der den ganzen Tag wie ein Berserker geschuftet hatte, war wachfrei. Er lag bereits in der Koje.
Lächelnd sagte Hasard: „Ben meinte, die Kerle könnten in dieser Nacht vom Wasser und von der Landseite her etwas gegen uns unternehmen. Er war sich sogar ziemlich sicher, hatte ich den Eindruck.“
„Der spielt wohl jetzt Old O’Flynn“, sagte Smoky und grinste.
„Ich weiß nicht so recht“, meinte Hasard, „Aber irgendwie hat er mich angesteckt. De Jonge hat von uns eine Abfuhr erhalten, wird also nicht mehr mit uns rechnen. Aber ich könnte mir vorstellen, daß er auf unsere ‚Isabella‘ scharf ist. Bisher hat er nicht gewagt, etwas gegen die Portugiesen zu unternehmen, weil die Kampfkraft mit fünf Schiffen gegen fünf Schiffe der Portugiesen gleich verteilt war. Mit der ‚Isabella‘ würde er diese Kampfkraft zu seinen Gunsten verändern. Bemannen könnte er die ‚Isabella‘, indem er Mannschaften von seinen fünf Schiffen abzieht.“
„Noch ist die ‚Isabella‘