„Eine Wunde habe ich bei ihm nicht gesehen“, erwiderte Bill. Er zögerte und sagte dann: „Der Mann wirkte, als sei er betrunken.“
„Könnte man annehmen“, sagte Hasard nachdenklich. „Aber ich glaube eher, daß er krank ist. Der Kutscher und Mac sollen mit in die Jollen. Gib ihnen Bescheid.“
„Aye, Sir. Soll ich dann wieder in den Mars?“
„Nein. Geh mit in die Jollen. Wir müssen das Dorf und die Siedlung durchsuchen, solange uns das Feuer noch die Zeit dazu läßt.“
Bill sauste zur Kuhl hinunter. Eine Jolle war bereits abgefiert. Hasard gab seine Befehle: zuerst das Dorf nach Timucuas zu durchsuchen, sich um den Indianer am Strand zu kümmern, aufzupassen, ob sich Spanier zeigten, das heißt, nach allen Seiten zu sichern, aber auch, in der spanischen Siedlung nachzuforschen, was dort passiert war.
Die erste Jolle legte ab und wurde mit hastigem Ruderschlag zum Ufer gepullt, wo der Indianer lag. Immer wieder versuchte dieser Mann, sich aufzurichten. Dan O’Flynn führte diese Jolle, Tamao war bei ihm, der Kutscher ebenfalls.
Minuten später, als sie gelandet waren und sich um den Timucua kümmerten, sagte der Kutscher lakonisch: „Sumpffieber!“
„Wir bringen ihn an Bord“, entschied Dan O’Flynn.
Tamao sprach auf den kranken Mann ein, der jetzt plötzlich schweißüberströmt war. Der Mann flüsterte etwas in der Sprache der Timucuas.
Tamao fuhr hoch und blickte Dan O’Flynn an.
„In den Hütten sind noch Kranke!“ stieß er hervor.
„Vorwärts! Wir holen sie raus“, sagte Dan O’Flynn knapp. „Kutscher, du bleibst bei dem Mann. Sag den anderen Bescheid, was hier los ist. Jede Sekunde zählt.“ Und schon stürmte er mit seinen Männern und Tamao über den Strand auf das Dorf zu.
Die zweite Jolle landete, die Hasard übernommen hatte. Der Kutscher informierte ihn hastig. Hasard befahl, den Kranken in die Jolle zu übernehmen. Zwei Mann blieben beim Kutscher. Mit den anderen raste Hasard ebenfalls zum Dorf.
Das Feuer war nicht mehr zu löschen. Aber mit rücksichtsloser Tollkühnheit brachen die Seewölfe in die Hütten ein, kämpften sich durch Rauch und Flammen und suchten nach weiteren Timucuas. Es gelang ihnen elf Männer und Frauen zu bergen und zum Strand zu transportieren.
Der Kutscher und Mac Pellew kümmerten sich sofort um diese bedauernswerten Menschen. Zwei Frauen starben ihnen unter den Händen weg. Es blieben zehn Kranke – sechs Männer und vier Frauen, unter den Männern der Krieger, der zum Strand gewankt war –, die an Bord der „Isabella“ gebracht wurden.
Dann mußten die Seewölfe ihre Hilfsaktion abbrechen, die Hitze wurde unerträglich. Es war auch unmöglich, noch zur Siedlung der Spanier vorzudringen. Eine Flammenwoge fauchte über die Küste weg. Jetzt war nur noch auf dem Wasser Sicherheit.
Hasard befahl schweren Herzens den Rückzug. Sie hatten getan, was sie konnten. Dennoch war ihm schleierhaft, wo die Timucuas geblieben waren. Er konnte sich nicht vorstellen, daß Tamaos Stamm nur noch aus einem Dutzend Kranker bestanden haben sollte.
Als die Jollen wieder an Bord gehievt wurden, meldete sich Tamao bei ihm – im Krankenraum unter der Back richteten der Kutscher und Mac Pellew gerade eine Art Quarantänestation ein, denn abgesehen von den Brandwunden litten alle zehn Überlebenden an dem Sumpffieber.
Tamao sagte: „Ich habe erfahren, was sich abgespielt hat. Shawano und seine Krieger haben heute nacht die Siedlung überfallen, mit den gesunden Männern, Frauen und Kindern sowie fünf gefangenen Spaniern eine neue Galeone besetzt und sind nach Westen davongesegelt, um eine neue Heimat zu finden. Die Kranken des Stammes hatten heute von den Spaniern umgebracht werden sollen – das hatte Shawano veranlaßt, den Spaniern zuvorzukommen. Es war seine letzte Möglichkeit, das Leben des Stammes zu erhalten. Heute morgen tauchten ein paar Überlebende der Spanier auf, darunter der Kommandant. Von ihnen wurde das Dorf in Brand gesteckt. Dann segelten diese Spanier mit einem Boot nach Norden.“
Hasard preßte die Lippen zusammen. Wir sind einen Tag zu spät hier eingetroffen, dachte er erbittert, nur einen verdammten Tag!
„Was wirst du jetzt tun?“ fragte Tamao leise.
Hasard hob den Kopf. „Hinter der Galeone hersegeln natürlich. Wenn deine Leute eine neue Heimat suchen, dann wäre Coral Island genau das Richtige für sie.“ Er stutzte und sagte: „Verstehen es denn deine Leute, mit der Galeone umzugehen?“
„Sie haben das Schiff gebaut. Und sie werden die fünf gefangenen Spanier gezwungen haben, ihnen zu helfen.“
„Dein Wort in Gottes Ohr“, murmelte Hasard und befahl, ankerauf zu gehen und die Segel zu setzen – alle Segel, um schnell zu sein und die Galeone der Timucuas einzuholen.
9.
Gegen Mittag dieses ereignisreichen Tages begann einer der vier Offiziere aus dem Stab des Don Angelo Baquillo zu zittern und darüber zu klagen, daß er friere.
Die einmastige Jolle mit Don Angelo Baquillo am Steuer segelte immer noch an der Küste entlang nordwärts. Bisher war zwischen diesen fünf Männern kaum etwas gesprochen worden. Man hatte sich auch nichts zu sagen, es sei denn, man hörte nicht auf, sich über die unerhörte Frechheit der Wilden zu empören, die gewagt hatten, zu rebellieren. Aber auch dieses Thema erschöpfte sich einmal. So hatten sie verdrossen auf den Duchten gehockt, über das Wasser gestiert und im stillen sich bemitleidet.
Jetzt schreckten sie auf, als ihr Compadre zu lamentieren begann und das Boot mit seinem Gezittere zum Wackeln brachte. Und sofort rückten sie von dem Mann ab, getroffen von der Erkenntnis, daß ihn das tückische Fieber gepackt hatte.
„Hören Sie auf zu zittern, Mann!“ blaffte Don Angelo Baquillo.
„Ich friere so!“ klagte der Mann und zitterte weiter.
„Interessiert mich nicht“, sagte Don Angelo Baquillo wütend. „Reißen Sie sich gefälligst zusammen, Sie machen mich ganz nervös mit Ihren Zuckungen. Nehmen Sie sich eine Decke, und rücken Sie ganz nach vorn. Ich habe keine Lust, mich von Ihnen anstecken zu lassen.“
Die drei anderen nickten. Auch sie hatten keine Lust, dem Sumpffieber zu erliegen, dabei war „Lust“ noch verkehrt ausgedrückt, denn es gibt wohl kaum einen Menschen, der Lust darauf verspürt, krank zu werden. Eher gerät er in Panik angesichts einer Krankheit, die in den meisten Fällen mit dem Tode des Betroffenen endet.
So bildete sich sofort eine Front gegen den Kranken, und die Verbannung zum Bugraum der Jolle kam einer Ächtung gleich, die besagte, daß man nichts mehr mit ihm zu tun haben wolle und Wert darauf lege, jegliche Berührung mit ihm zu vermeiden.
Der Kranke nahm sich eine Decke und quälte sich allein über die Duchten nach vorn. Er hüllte sich in die Decke ein und hockte sich nieder. Das Zittern vermochte er nicht zu unterdrücken. Es wurde stärker und schüttelte ihn regelrecht durch.
„Unmöglich, dieser Kerl!“ fauchte Don Angelo Baquillo.
Das fand der Adjutant auch und schlug vor, den Kranken über Bord zu werfen.
„Er gefährdet unser aller Leben!“ rief er, und die Hysterie in seiner Stimme war nicht zu überhören.
Dagegen empfahl ein anderer, den Kranken an Land in den Sumpf zu stoßen, was seiner Meinung nach geeigneter sei, „die Keime der Krankheit“ zu ersticken, wie er sich ausdrückte.
Sie hatten alle vier so viel Gemüt wie ein Eisblock. Jeder dachte nur an sich selbst und das eigene wertvolle Leben, und es interessierte sie einen Dreck, ob der andere Qualen litt und dahinsiechte. Die Geschichte vom barmherzigen Samariter war ihnen unbekannt. War sie ihnen jedoch bekannt, dann sahen sie keine Veranlassung, sich den biblischen