„Das ist ungeheuerlich!“ rief Don José Isidoro. „Wir werden diese indianischen Teufel und die Britenhunde zur Rechenschaft ziehen, Don Bruno, das schwöre ich Ihnen! Ja, wir werden blutige Rache üben, da können Sie ganz sicher sein.“
„Ich will Sie nicht beleidigen, Don José“, entgegnete Spadaro, „aber meinen Sie, daß Sie das allein schaffen? Bei aller Hochachtung für Ihre und Ihrer Mannschaft Kampfkraft – diese verfluchten Engländer sollte man nicht unterschätzen.“
Kapitän Isidoros Lachen hallte dröhnend über das Wasser zwischen den beiden Schiffen.
„Keine Sorge, Don Bruno. Der Hundesohn, der die ‚Santa Teresa‘ bezwingen will, muß erst noch geboren werden. Im übrigen gibt es zur Zeit keine andere brauchbare Galeone im Hafen von Pensacola. Bitte richten Sie in der Kommandantur aus, daß ich die Fahrt unverzüglich fortgesetzt habe, um die Britenhunde auf den Meeresgrund zu schicken. Außerdem werden wir den Timucuas den entscheidenden Denkzettel verpassen.“
Spadaro versprach, die Befehlshaber in Pensacola entsprechend zu informieren. Dann blickte er gedankenverloren der „Santa Teresa“ nach, wie sie über Steuerbordbug segelnd auf Kurs Westsüdwest ging.
Weithallende Hammerschläge und das Kreischen von Sägen begleiteten den Seewolf, als er an diesem Vormittag des 14. September 1593 in die bereits abgefierte kleine Jolle abenterte. Es war ein schwerer Weg, um den ihn niemand an Bord der „Isabella“ beneidete. Dennoch hatte er mit Engelszungen reden müssen, um all jene zurückzuweisen, die darauf bestanden hatten, ihn zu begleiten.
Die Instandsetzungsarbeiten an Bord der schlanken Galeone hatten bereits in vollem Umfang begonnen. Unter Leitung von Ferris Tucker waren die Männer dabei, einige Gefechtsschäden auszubessern.
Hasard blickte nicht zurück, während er sich auf die mittlere Ducht setzte und die Riemen in die Dollen legte. Nein, er mußte diese Aufgabe allein bewältigen. Gewiß, die Gefahr war groß, das Risiko unkalkulierbar. Aber es ergab keinen Sinn, auch nur einen einzigen weiteren Mann dieser Unwägbarkeit auszusetzen.
Er mußte damit rechnen, daß er sich ansteckte. Wenn er auch nur einen Fuß auf die Planken der „San Donato“ setzte, konnte das bedeuten, daß er kurze Zeit später an dem tückischen Fieber erkrankte. Aber er hatte keine andere Wahl. Es mußte ihm gelingen, sich mit dem Häuptling der Timucua zu verständigen.
Hasard stieß die Jolle von der Bordwand der „Isabella“ ab und begann zu pullen. Jetzt sah er Ben Brighton auf dem Achterdeck, wie er ihm mit sorgenvoller Miene nachschaute. Auch etliche andere waren zu sehen – Big Old Shane, der alte O’Flynn und die Zwillinge, neben ihnen die Bordhündin Plymmie mit den Vorderpfoten auf dem Schanzkleid. Hasard mußte grinsen, trotz allem. Samt und sonders zogen sie Gesichter wie drei Tage Regenwetter, und nicht einmal Plymmie bildete da eine Ausnahme. Es war überhaupt erstaunlich, welchen fast menschlichen Verstand die Wolfshündin manchmal entwickelte.
„So schnell werdet ihr mich nicht los!“ rief der Seewolf. „Reißt euch gefälligst zusammen.“
Sie reagierten mit einem müden Winken. Sehr überzeugt schienen sie von seiner Zuversicht nicht zu sein. Dabei lebten sie mehr oder weniger alle mit der Ansteckungsgefahr. War es anfangs Asiaga gewesen, die sie an Bord der „Isabella“ gesundgepflegt hatten, so befanden sich jetzt die fieberkranken Timucua-Indianer aus der Waccasassa-Bucht in der Krankenkammer unter der Back. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen war ein gewisses Risiko also auch auf der „Isabella“ selbst nicht ausgeschlossen.
Das änderte aber nichts daran, daß die Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken, auf der „San Donato“ ungleich größer war.
Hasard pullte mit kraftvollen Schlägen und trieb die Jolle zügig auf die Galeone der Indianer zu. Auf beiden Schiffen waren die Segel aufgegeit und Treibanker ausgebracht worden. In keiner Himmelsrichtung zeigten sich Mastspitzen am Horizont, es herrschte also keinerlei Gefahr. Die „Galicia“ hatte schwer gerupft die Flucht ergriffen, und ihr Kapitän hätte schon ein hirnloser Narr sein müssen, wäre er noch einmal umgekehrt. Dessen ungeachtet waren aber die Ausguckposten auf der Hut.
Hasard wandte den Kopf und sah, daß ihn nur noch wenige Yards von der „San Donato“ trennten. Er manövrierte die Jolle an die Jakobsleiter heran, holte die Riemen ein und vertäute das Boot.
Das Schiff, soviel ließ sich aus der Nähe erkennen, war sorgfältig und solide gebaut. Die Timucua-Indianer, die auf der Werft in der Waccasassa-Bucht zur Zwangsarbeit verurteilt gewesen waren, hatten hervorragende Arbeit geleistet. Sie kannten dieses Schiff, das sie nach der blutigen Revolte in der Bucht an sich gebracht hatten, und waren mit jeder einzelnen Planke und mit jedem Nagel vertraut. Aber ihnen fehlte das seemännische Können, und so waren sie auf die Hilfe jener fünf Spanier angewiesen, die sie als Gefangene mit an Bord genommen hatten.
Der Seewolf gab sich einen Ruck. Ohne zu zögern, enterte er auf und trat durch die Pforte im Schanzkleid. Er verharrte. Die Eindrücke trafen ihn mit jäher Intensität.
Aus den Unterdecksräumen drang das Stöhnen der Kranken, dazu die Schreie jener, deren gepeinigte Körper von Fieberkrämpfen gepackt und geschüttelt wurden. Das ganze Schiff war erfüllt von diesen Lauten menschlichen Leidens, und sie trafen den Seewolf bis ins Mark.
Überall auf den Decks hockten Menschen in apathischer Regungslosigkeit – Frauen, Kinder und alte Leute. Nur ihre Augen waren auf den großen schwarzhaarigen Engländer gerichtet. Hoffnung vermochte Hasard in diesen Augen nicht zu lesen, nur so viel, daß sich diese bedauernswerten Menschen mit ihrem Schicksal abgefunden hatten und keine Erwartungen mehr hegten.
Vier Spanier waren damit beschäftigt, den knapp dreißig gesunden Timucua-Männern Anweisungen zu geben, ihnen in der Kürze der Zeit das Notwendigste an seemännischem Wissen zu vermitteln.
Der fünfte Spanier erwartete den Seewolf an der Seite des Häuptlings. Shawano war ein großer, wuchtig gebauter Mann um die sechzig Jahre. Sein Haar war schlohweiß, das bronzehäutige Gesicht von vielen scharfen Furchen durchzogen.
Shawano hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Ein kaum erkennbares Lächeln kerbte sich in seine Mundwinkel, als der hochgewachsene Mann aus dem fernen England auf ihn zutrat. Die Bekleidung des Häuptlings bestand aus dünnem, weichem Leder, und das hemdartige Oberteil wurde von feinen Rohhautschnüren anstelle von Knöpfen zusammengehalten. Die Beinkleider reichten bis auf die Knöchel, die weichen Ledersandalen waren gleichfalls mit Rohhautschnüren zusammengefügt.
„Ich begrüße Sie mit großer Freude, Señor Capitán“, sagte Shawano in einem kehligen Spanisch, „ich, Shawano, Häuptling der Timucua.“ Aus seiner Stimme klang ungebrochene Selbstsicherheit. Er repräsentierte den Stolz seines Volkes, das sich auch durch schlimmste Schicksalsschläge nicht zu winselnden Kreaturen erniedrigen ließ.
„Mein Name ist Philip Hasard Killigrew“, entgegnete der Seewolf mit einer angedeuteten Verneigung. „Ich bin hier, um mit Ihnen über die Zukunft zu reden, Shawano.“
Der weißhaarige Mann nickte, schwieg einen Moment und dachte offenbar nach. Dann wandte er sich dem Spanier an seiner Seite zu und redete in der Sprache der Timucua auf ihn ein. Der Spanier, ein muskulös gebauter mittelgroßer Mann, glich in seinem Äußeren schon mehr den Indianern als seinen weißen Landsleuten. Ein Stirnband hielt seine halblangen schwarzen Haare zusammen, um den linken Oberarm trug er einen Metallreif, eine leichte offene Weste war alles, womit er seinen kräftigen Oberkörper bedeckte. Das schwere Entermesser steckte ohne Scheide unter seinem Hosengurt, die Füße des Spaniers waren nackt.
Shawanos Redefluß endete nach einem bekräftigenden Knurrlaut.
Der Spanier blickte den Seewolf an.
„Erlauben Sie, daß ich mich vorstelle, Señor Killigrew. Mein Name ist Marcos. Ich habe zwei Jahre in der Siedlung an der Waccasassa-Bucht gelebt und kenne mich in der Sprache der Timucua sehr gut aus. Häuptling Shawano sagt, daß seine Spanischkenntnisse nicht ausreichen,