„Wir haben das getan, was für uns selbstverständlich ist“, sagte Hasard.
Marcos übersetzte, und Shawano antwortete mit wenigen abgehackt klingenden Worten.
„Der Häuptling meint, daß Sie zu bescheiden sind“, sagte der Spanier, „er fragt, wo Sie das Palaver führen möchten, in der Kapitänskammer oder auf dem Achterdeck. Er ist mit den Gepflogenheiten der Europäer nicht vertraut und möchte Sie nicht beleidigen.“
„Auf dem Achterdeck ist es luftiger“, entgegnete Hasard lächelnd, „eine Frage vorweg, Marcos: Sie und Ihre Freunde sehen nicht aus wie Gefangene, die von den Timucua geknechtet werden. Täusche ich mich?“
„Nein, ganz und gar nicht, Señor Killigrew. Es ist so: Wir hatten schon lange die Nase voll von unserem Kommandanten. Don Angelo Baquillo ist ein Menschenschinder, anders kann man es nicht nennen. Daß die Indianer rebelliert haben, war zu erwarten. Es geschah Baquillo und seinen Gefolgsleuten recht. Man muß sich schämen, wenn man daran denkt, wie niederträchtig sie die Timucua behandelt haben. Meine Freunde und ich sind da einer Meinung.“
„Aber Sie wurden doch von den Timucua gefangengenommen“, sagte der Seewolf zweifelnd, „Sie sind doch nicht freiwillig an Bord dieses Schiffes gegangen.“
„Das ist richtig, Señor Killigrew. Nur wurde uns nach und nach klar, auf welcher Seite wir wirklich stehen. Was glauben Sie, wie wir uns bei dem Gefecht mit der ‚Galicia‘ gefühlt haben! Weder Don Angelo Baquillo noch Don Bruno Spadaro, der Kapitän, haben Rücksicht darauf genommen, daß sich Landsleute an Bord der ‚San Donato‘ befinden.“ Marcos preßte für einen Moment grimmig die Lippen aufeinander, ehe er fortfuhr. „Das sagt alles, denke ich. Wir sind jetzt richtige Überläufer, wenn Sie so wollen. Wir haben keine Lust mehr, unseren Kopf für die spanische Krone und das sogenannte Vaterland hinzuhalten. Treue Soldaten sind wir die längste Zeit gewesen. Lieber bieten wir Ihnen unsere Dienste an. Sie haben uns schließlich auch vor dem bitteren Ende bewahrt.“
Hasard konnte in den Gesichtszügen des Mannes lesen, daß er die Wahrheit sagte. Man konnte ihm glauben. Ob es sich mit den anderen vier Spaniern genauso verhielt, mußte sich noch herausstellen.
„Vorerst geht es nur darum, daß wir den Indianern aus der Klemme helfen“, sagte der Seewolf, „dann sehen wir weiter.“
Mit einer Handbewegung deutete er auf das Achterdeck. Shawano nickte und ging mit würdevollen Schritten voraus. Hasard und Marcos folgten ihm.
Aus der erhöhten Position vor der Heckbalustrade war die beklemmende Situation an Bord der „San Donato“ noch deutlicher zu überblicken. Die alten Leute, die Frauen und Kinder wirkten verängstigt wie in die Enge getriebene Tiere. Die Furcht machte sie stumm und hilflos, und diese Furcht wurde ständig geschürt vom Stöhnen und Schreien der Kranken aus den unteren Decksräumen.
Selbst wenn Shawano sofort zustimmte, gab es keine Möglichkeit, die ursprünglichen Pläne sofort in die Tat umzusetzen, soviel stand für Hasard schon jetzt fest. Es war undenkbar, daß die Indianer in ihrer jetzigen Verfassung bis zu den Caicos-Inseln segelten.
Insgesamt befanden sich etwa 130 Menschen an Bord der „San Donato“, und mindestens dreißig von ihnen lagen fieberkrank unter Deck. Jeden Tag konnte die Zahl der Kranken zunehmen. Damit bestand auch die Gefahr, daß sich die Zahl der einsatzbereiten Timucua-Männer an Bord weiter verringerte. Marcos und seine vier Freunde waren ohnehin überfordert, und eine Notcrew von der „Isabella“ hätte nur dazu geführt, daß die Galeone des Seewolfs hoffnungslos unterbemannt gewesen wäre.
Hasard wandte sich dem Häuptling zu und begann damit, seine Pläne zu schildern. Immer mehr zeigte sich ein Leuchten in den Augen des alten Mannes, während Marcos Satz für Satz übersetzte.
Anschaulich berichtete der Seewolf über das freie Leben, das er und seine Männer mit ihren vielen treuen Freunden auf einer eigenen Insel in der Karibik führen wollten. Er sprach von der schwierigen Versorgungslage, die sie noch nicht geklärt hatten. Und er erzählte von der Insel, die sie „Coral Island“ getauft hatten, die Koralleninsel.
Dort; so sagte Hasard, sollten große Versorgungsplantagen angelegt werden, und eben dort gäbe es genügend fruchtbaren Boden und auch Trinkwasser, so daß der gesamte Stamm der Timucua ein Leben in Frieden und Freiheit führen könnte.
„Es muß das Paradies sein“, sagte der weißhaarige alte Mann, und in seinen Augen standen Tränen. „Für mein Volk wird ein Traum wahr werden, Señor Killigrew. Es ist die Verheißung, an die wir schon nicht mehr geglaubt haben. Zu groß war das Leid, das meine Brüder und Schwestern ertragen mußten, und zu viele sind ins Jenseits gegangen.“
„Tamao hat ähnliche Worte gebraucht“, erwiderte der Seewolf gerührt, „wenn wir ihn und Asiaga nicht zufällig gefunden hätten, wären wir jetzt nicht hier.“
„Und das Volk der Timucua wäre dem Untergang geweiht“, sagte Shawano dumpf, „wie steht es mit Tamao und Asiaga? Wir alle waren in großer Sorge um sie.“
„Die beiden sind wohlauf“, antwortete Hasard, „Asiaga konnte vom Fieber geheilt werden. Jetzt betreut sie gemeinsam mit Tamao die zehn Kranken, die wir in der Waccasassa-Bucht noch an Bord genommen haben. Deshalb konnten Tamao und Asiaga mich auch nicht zu dieser Unterredung begleiten, sie werden bei der Betreuung der Kranken dringend gebraucht.“
Shawano schüttelte mit einem milden Lächeln den Kopf.
„Sie brauchen sich für nichts zu rechtfertigen, Señor Killigrew. Jedes Wort aus Ihrem Mund ist ehrlich und wahr. Sie reden nicht mit gespaltener Zunge, wie es die Spanier tun, die uns unterdrückten. Nehmen Sie meinen feierlichen Schwur an, daß mein Volk treu auf Ihrer Seite steht, wie auch immer Ihre Entscheidungen sein mögen.“
„Das gilt auch für meine Freunde und mich“, sagte Marcos bekräftigend.
Hasard atmete tief durch. So viel offenherziger Dank brachte ihn in Verlegenheit, weder er noch seine Männer erwarteten dies. Was sie getan hatten und noch tun würden, entsprach der Menschlichkeit, die ihr Denken bestimmte.
„Vorläufig können wir nicht daran denken, in die Karibik aufzubrechen“, sagte der Seewolf, „wir würden höllischen Schiffbruch erleiden. Egal, wie wir es drehen und wenden, die Timucua müssen erst einmal gesund werden.“
„Das ist auch meine Meinung“, pflichtete ihm Marcos bei, „die Gesunden an Bord sind zwar willig, und sie lernen auch schnell. Aber man kann diese Männer nicht in zwei, drei Tagen zu voll tauglichen Decksleuten ausbilden. Im übrigen“, er deutete nach achtern, „werden wir uns wohl nach dem Wetter richten müssen. Es wird uns den Kurs aufzwingen.“
Hasard wandte sich um, und auch Shawano blickte sorgenvoll in die angegebene Richtung. In der kurzen Zeitspanne an Bord der „San Donato“ hatte der weißhaarige alte Mann begriffen, wie lebensentscheidend jeglicher Wettereinfluß für einen Seefahrer war.
Über der südlichen Kimm hatte sich der Himmel verdüstert. Hier, im nordwestlichen Teil des Golfes von Mexiko, schien die Witterung unberechenbar. Gab es manchmal tage- und wochenlange Beständigkeit, so erfolgten Wetterumschwünge oft innerhalb von Stunden oder noch kürzeren Zeitabständen.
Wie zur Bestätigung von Marcos’ Worten frischte der Wind unvermittelt auf. Eine erste Bö fauchte über die Decks, dann wurde es wieder ruhiger.
Hasard sah den Spanier an.
„Es gibt nur eins, Marcos: Wir müssen so schnell wie möglich die Küste anlaufen. Dann gilt es, für die ‚San Donato‘ eine geschützte Bucht zu finden. Dort werden wir sie in ein Lazarettschiff umwandeln und alle Kranken gründlich auskurieren.“
Marcos nickte.
„Wir müssen damit rechnen, daß wir bald an die fünfzig Fieberkranke haben. Neben den ernsthaft Erkrankten unter Deck haben wir bei fast zwanzig weiteren die ersten Anzeichen der Krankheit festgestellt.“
„Die zehn Kranken