Solche und ähnliche abstruse Gedanken gingen in den Köpfen des Stabes um, und das war alles bezeichnend für ihren desolaten Zustand.
Indessen hatte Don Angelo Baquillo unter einem kleineren Anlegesteg eine Jolle entdeckt, und seine trüben Gedanken wurden in neue Bahnen gelenkt. Diese Jolle, das wurde ihm blitzartig klar, würde ihnen dazu dienen, die Fieberhölle zu verlassen. Entlang der Küste auf dem Wasserweg gelangte man schneller voran als zu Fuß durch die unwegsame Sumpfwildnis, in der noch dazu alle möglichen Gefahren drohten. Im übrigen: was sollte man hier auch noch! An den Bau von Schiffen für die spanische Flotte war vorerst nicht mehr zu denken. Lebensentscheidend war jetzt, einen der spanischen Stützpunkte weiter im Norden zu erreichen.
So fand Don Angelo Baquillo sehr schnell zurück in die gewohnte Rollenverteilung, das heißt, er gab seine Befehle, und die anderen hatten zu gehorchen. Das stand ihm ja auch rangmäßig zu.
Er fuhr nach der Entdeckung der Jolle zu seiner Stabs-Gruppe herum und schrie sie an, man möge das Boot unter dem Steg hervorziehen. Oder ob man vielleicht erwarte, daß er das tue?
Die Señores stürzten eilfertig herbei, um dem Befehl des Kommandanten Folge zu leisten – Hauptsache, es wurde überhaupt etwas befohlen. Mit der Ausführung des Befehls war’s dann wieder etwas schwieriger, weil sie nicht gewohnt waren, die Arbeiten von Bootsgasten zu leisten. Es war dies ja eine untergeordnete Tätigkeit, die üblicherweise vom Schiffsvolk ausgeübt wurde.
Die Jolle hatte sich aus unerfindlichen Gründen unter dem Steg verklemmt, und ihnen stand sehr bald der Schweiß auf der Stirn, während sie am Zerren und Rucken waren und dabei bäuchlings auf dem Steg lagen.
Barsch jagte Don Angelo Baquillo zwei Mann ins Wasser, als die ganze Zerrerei nichts nutzte, und jetzt klappte es. Die Jolle schwamm längsseits des Stegs, die beiden Männer planschten an Land – sie hatten sich zu sehr verausgabt und schafften es nicht mehr, sich auf den Steg zu ziehen.
Don Angelo Baquillo registrierte mit Ingrimm, daß die Herren bei dem guten Leben in der Siedlung ziemlich faul und fett geworden waren. Für ihn galt dieser Maßstab natürlich nicht.
Er besichtigte die Jolle vom Steg aus und stellte fest, daß sie mit sechs Riemen und einem Steckmast ausgerüstet war. Das Segel befand sich in einem Segeltuchsack unter der Heckducht.
Don Angelo Baquillo nickte befriedigt und befahl zweien seiner Trabanten, den Mast und das Segel zu setzen. Die beiden anderen, denen das Wasser aus den Kürbishosen lief, scheuchte er in die Siedlung mit dem Auftrag, Waffen, Proviant, Trinkwasser und Decken zu besorgen und herzubringen und sich gefälligst zu beeilen.
„Ich habe keine Lust, hier lange zu warten“, beschied er den beiden triefenden Gestalten.
Sie trollten sich davon. Er wandte sich wieder der Jolle zu und setzte seine Meckerei fort, weil diese beiden Herren, darunter wieder sein Adjutant, erhebliche Schwierigkeiten mit dem Setzen des Mastes hatten. Sie wußten tatsächlich nicht, was bei dem Mast oben und unten war, obwohl sich diese Spiere nach oben verjüngte und unten Vierkant geschnitten und mit einem Zapfen versehen war.
Für solche Details hatten sie sich nie interessiert, und jetzt kriegten sie das Zittern, als sie von ihrem Kommandanten entsprechend abgekanzelt wurden. Don Angelo Baquillo wurde ausgesprochen rüde und ausfallend. Die Zeit brannte ihm unter den Nägeln. Dabei hatte er eine erbärmliche Angst, von dem Fieber gepackt zu werden.
Dank seiner fluchenden Hinweise gelang es den beiden schließlich, den Mast zu setzen und zu verstagen. Dann war das Segel dran, und auch dabei stellte sich heraus, daß die beiden schwitzenden Männer in der Jolle entweder zwei linke Hände hatten oder von jeder Sachkenntnis ungetrübt waren. Wahrscheinlich traf beides zu.
Don Angelo Baquillo war nahe dran, sich die Haare zu raufen und die beiden Kerle in die Sümpfe zu jagen. Das hätte er rigoros getan, aber er brauchte diese Tölpel, falls der Wind wegblieb. Da würden sie nämlich rudern müssen, bis ihnen die Hände rauchten. Selbstverständlich war es nicht einmal einer Erwägung wert, daß er sich auf eine der Ruderduchten setzte, um die Jolle mittels Riemenantrieb voranzubringen. Dazu waren die anderen da, nicht er.
Inzwischen keuchten die beiden anderen Stabsleute heran und deponierten am Steg die Sachen, die der Kommandant gefordert hatte. Sie mußten sehr oft hin und her laufen, weil auch diese Kuliarbeit für sie ungewohnt war. Sie stellten sich ungeschickt an, vor allem beim Transport der kleinen Wasserfässer, die sie, mit den Armen umschlungen, vor sich her trugen, statt sie sich aufs Kreuz zu laden, wobei sie sogar noch eine Hand zum Tragen von Waffen frei gehabt hätten.
Auf die Idee, für den Transport einen Handkarren zu nehmen, kamen sie nicht. Für das Denken war ja Don Angelo Baquillo verantwortlich. Aber dem war die Möglichkeit mit dem Handkarren auch nicht eingefallen, dafür aber etwas anderes, von dem man sagen konnte, daß es bezeichnend für ihn war.
Als alles in der Jolle verstaut war, hätten Don Angelo Baquillo und sein Stab die Bucht verlassen können, zumal der Kommandant ja auch dauernd gedrängt hatte, man möge sich noch mehr beeilen. Aber jetzt erklärte Don Angelo Baquillo, es gäbe noch etwas zu erledigen.
Er sagte mit einem Glitzern in den harten Augen: „Wir werden dem Dorf dieser stinkenden Wilden noch einen Besuch abstatten, Señores!“
Die vier Männer zuckten zusammen und starrten ihn ungläubig an. Dem Dorf einen Besuch abstatten? Das hieß ja, sich mutwillig der Ansteckung auszusetzen. Hatte der Kommandant nicht selbst gesagt, daß die Wilden den Teufel im Leib hätten und das Ziel verfolgten, die Spanier zu vernichten? Deswegen hatte doch heute die befohlene Aktion gegen die kranken Indianer stattfinden sollen.
„Wohl Angst, wie?“ fragte Don Angelo Baquillo höhnisch. „Aber das interessiert mich nicht. Ich übertrage Ihnen die Aufgabe, das Dorf anzuzünden. Man muß dieses Pack mit Stumpf und Stiel ausrotten. Wir sind heute nacht heimtückisch überfallen worden und haben eine Schlappe erlitten, weil die Truppe versagt hat. Ich bin nicht gewillt, das hinzunehmen. Als Offizier des spanischen Königs habe ich die Pflicht, zurückzuschlagen und den Feind zu vernichten. Daher befehle ich, an jede der Hütten den Brand zu legen. Nehmen Sie Fackeln mit. Wer sich Ihnen in den Weg stellt, ist zu erschießen. Versorgen Sie sich also mit genügend Pistolen. Ich erwarte, daß das Dorf in spätestens einer Viertelstunde in Flammen steht. Vorwärts!“
„Aber …“, begann der Adjutant zögernd und sehr blaß im Gesicht.
„Ich sagte: vorwärts!“ unterbrach ihn der Kommandant schneidend. „Oder haben Sie die Absicht, den Befehl zu verweigern?“ Er zog eine Pistole und richtete sie auf den Teniente.
Die vier Männer drehten sich schleunigst um und liefen zur Waffenkammer, wo auch die Fackeln deponiert waren. Zwei wurden dort gleich entzündet. Dann zogen sie los, bepackt mit Fackeln und Pistolen.
Don Angelo Baquillo folgte ihnen langsam, die Pistole immer noch in der Faust, ein zynisches Grinsen im Gesicht. Er genoß seine Macht. Die Phrasen über seine Pflicht als Offizier gingen ihm immer leicht über die Lippen. Sie waren stets gut, um solchen Narren wie diesem Adjutanten den nötigen Respekt einzuflößen, damit sie kuschten.
Die vier Offiziere hatten das Tor durchschritten und näherten sich zögernd dem Dorf. Don Angelo Baquillo lehnte sich an einen der Torpfosten und sah zu. Einmal schaute er zurück zu dem Steg, wo das Boot lag, und maß die Entfernung. Falls im Dorf etwas passierte, mußte der schnelle Rückzug ins Auge gefaßt werden, um das eigene Leben außer Gefahr zu bringen. Ja, das war zu schaffen. Bis jemand das Tor erreicht hatte, war er längst in der Jolle und trieb sie hinaus in die Bucht – unerreichbar für jeden Feind.
Jawohl, so mußte man Aktionen leiten!
Zufrieden drehte sich Don Angelo Baquillo wieder um und schaute zu dem Vierer-Trupp. Und er erstarrte.
Zwei halbnackte Wilde taumelten zwischen den ersten Hütten des Dorfes hervor und dem Trupp entgegen – Kranke offenbar, aber sie hatten Messer in den Fäusten.
Die vier Männer des Stabstrupps schrien auf, zwei wandten sich zur Flucht, die beiden anderen