»Hunter war Beaus Vertrauter«, sagte sie. »Sein Zuhause.«
Ashley war früh in diesen Raum des Vertrauens eingetreten. Sie war unsere Schwester, und deshalb liebten wir sie und waren in gleichem Maße von ihr genervt.
»Es stimmte damals, und es stimmt noch heute: Ich bin die kleine Schwester, die sich glücklich schätzen konnte, von diesen beiden außerordentlichen Männern aufgezogen und aufgebaut zu werden«, sagte sie. »Auch wenn sie, wie mein Mann manchmal betont, die Anleitung nicht vollständig gelesen haben.«
Ashley sprach einige Ereignisse an, die aus der Sicht einer kleinen Schwester als Meilensteine gelten konnten, einschließlich der Tatsache, dass Beau und ich sie Howard, ihrem künftigen Ehemann, vorgestellt hatten, den wir 2008, im Wahlkampf für das Obama-Biden-Team, bei einer Spendenveranstaltung kennengelernt hatten.
Beau und ich gaben Ashley ihren Namen, wir wiederum waren für sie vom ersten Tag an Beauie und Huntie. Als wir in der Schule und später im College waren, war sie einfach immer dabei, sie war derart hartnäckig, dass unsere Freunde sie »Klette« nannten. Beau nahm sie immer nur unter einer Bedingung mit: Sie musste »Fire on the Mountain« von den Grateful Dead singen. Mit acht, als Beau studierte und eine eigene Wohnung bezogen hatte, übernachtete sie manchmal bei ihm.
Ashley sprach über unsere alljährliche Thanksgiving-Reise nach Nantucket, wenn »meine Brüder mich aus der Schule abholten und wir in den Jeep Wagoneer kletterten und sieben Stunden fuhren – nie wieder hat Autofahren so viel Spaß gemacht«.
Das vergangene Jahr hatte sie sehr belastet, wie uns alle, doch auch sie fühlte sich beschenkt, diese letzte Phase im Leben unseres Bruders begleitet zu haben. Sie sprach über das »tragische Privileg«, so drückte sie sich aus, Beau jeden zweiten Freitag zu seinen Chemo-Terminen begleiten zu dürfen. Danach gingen sie oft zusammen frühstücken, und dann musste sie ihm zuliebe »You Get What You Give« von den New Radicals hören, eine Art Titelsong, so begann sie zu verstehen, für sein Leben. Sie las den hingerissenen Trauergästen diese Strophe vor:
This whole damn world could fall apart
You’ll be okay, follow your heart.
You’re in harm’s way, I’m right behind.
»Wenn ich zurückblicke«, sagte Ashley, »glaube ich, dass Beau das Lied in diesen gemeinsamen Stunden nicht für sich gespielt hat, sondern für mich. Um daran zu erinnern, dass ich nicht aufgeben durfte, dass mich – und uns – der Kummer nicht zerstören durfte.«
Zum Schluss sagte sie:
»Solange ich Hunt habe, habe ich dich. Also, Beauie … man sieht sich. Ich liebe dich über alles.«
Ashley und ich küssten und umarmten uns. Ich war so stolz auf sie, und ich spürte, dass Beau es ebenso war.
Sie hatte uns allen die Befangenheit genommen. Als ich an den Ambo trat und meine Notizen sortierte, war ich ganz ruhig – ungewöhnlich ruhig. Eigentlich machte es mir Angst, vor großen Menschenmengen zu sprechen. Ich hatte gespürt, wie besorgt alle um mich waren, nicht nur in diesem Moment. Ich hatte das Gefühl, dass alle befürchteten, ich könnte wegen Beaus Tod rückfällig werden. Wären die Umstände andere gewesen, hätte dieses Gefühl meine Angst nur noch verstärkt.
Aber nicht jetzt.
Während mich tausend Augen ansahen und der Gottesdienst von einem Millionenpublikum am Fernseher verfolgt wurde, befand ich mich in der Geborgenheit meiner Familie: Ashley, Mom und Dad, meine Tanten, Onkel und Cousinen, meine Frau und meine Töchter – sie waren alle bei mir, und sie waren alle für mich da.
Und dann war da Beau. Ich hatte noch immer nicht das Gefühl, dass er fort war.
Nachdem ich den Vorrednern gedankt und Ashley der Liebe ihres Bruders Beau versichert hatte – »Er hat dein Lachen geliebt, dein Lächeln« –, wandte ich mich direkt an Beaus Kinder, die dicht aneinandergedrängt in der ersten Reihe saßen. Ich wiederholte, was ich ihnen die ganze Woche lang schon gesagt hatte: dass ihr Vater immer bei ihnen sein würde, dass er ein Teil von ihnen war, und dass die ganze Verwandtschaft sie genauso lieben und beschützen würde, wie sie mich und ihren Vater geliebt und beschützt hatte.
»Natalie«, fuhr ich fort, »er ist der Teil von dir, der dich so liebevoll und mitfühlend macht. Er ist der Grund, warum du dich immer vor deinen Bruder stellst, so wie er es mit mir gemacht hat.
Hunter, Robert Hunter Biden der Zweite – er hat dich und mich für immer miteinander verbunden. Du verkörperst seine Ruhe und Zielgerichtetheit. Weißt du, du bist deinem Vater so ähnlich, als ich euch dort am Ende des Stegs gemeinsam angeln sah, war es, als wärt ihr zwei Ansichten ein und derselben Person.
So wie Tante Valerie für euren Dad und mich da war – so wie wir Onkel Jimmy hatten, Onkel Frankie, Onkel Jack, Onkel John, Mom-Mom und Da-Da – so habt ihr eure Tante Ashley, eure Tante Liz, eure Tante Kathleen, Poppy und Mimi, Nana und Pop. Wir werden euch in dieselbe Liebe hüllen, diese große und wunderschöne Liebe. Genau die Liebe also, die euren Vater und mich geprägt hat, wird auch euch prägen.«
Ich hatte natürlich keine Vorstellung, wie kompliziert all das bald werden sollte.
Noch einmal erzählte ich, wie Beau meine Hand gehalten hatte, als wir diese kleinen Jungen waren, die voller Angst im Krankenhaus lagen, und ich sagte, dass meine längst nicht die einzige Hand war, die er in seinem Leben gehalten hatte, um Beistand in einer Krise zu leisten. Die Missbrauchsopfer, die Eltern gefallener Soldaten, die Opfer von Gewaltverbrechen – er hat sie alle berührt.
»Tausende Menschen erzählen sich gerade diese Geschichten«, sagte ich, »wie Beau Biden damals ihre Hände genommen hat.«
»Er verkörperte Klarheit«, fuhr ich fort, und ich sprach zu mir selbst genauso wie zu den Anwesenden, »eine Klarheit, in die man eintreten konnte wie in einen Raum. Er war die Klarheit eines Sonnenaufgangs am Lake Skaneateles. Eine Klarheit, in der man schweben konnte. Eine Klarheit, die ansteckend war. Er war diese Klarheit nicht nur für seine Familie, sondern auch für jeden, der ihn als seinen Freund bezeichnen durfte.«
»Das einzige Anrecht, das ich auf meinen Bruder habe«, sagte ich zu all den Menschen, die von Beau berührt worden waren, »ist die Tatsache, dass es meine Hand war, die er als Erste genommen hat.«
Als ich diese Worte las, schien die Zeit nicht mehr zu existieren. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich dort oben schon stand (es waren zweiundzwanzig Minuten), und die Sorgen und Ängste der anderen beschäftigten mich nicht.
»Ich bin überzeugt«, sagte ich, »dass uns Gott vor zweiundvierzig Jahren ein Geschenk gemacht hat. Er hat meinen Bruder verschont, er hat ihn so lange verschont, dass er eine Liebe in die Welt geben konnte, die für tausend Leben reicht. Gott hat uns einen Jungen geschenkt, der die Last einer Liebe tragen konnte, die grenzenlos war.«
»Und wie es begonnen hat«, schloss ich, »so hat es geendet: Seine Familie war bei ihm. Wir haben ihn gehalten, jeder von uns hat verzweifelt versucht, ihn festzuhalten. Und wir haben geflüstert: Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich. Und bei seinem letzten Atemzug hielt ich seine Hand. Ich weiß, dass ich geliebt wurde, und ich weiß, dass er mich niemals loslassen wird.«
Als ich geendet hatte, kehrte ich zu meinem Platz zurück. Dad stand auf und küsste mich. Dann flüsterte er mir ins Ohr: »Wunderschön.«
Nach dieser langen Woche schöpfte ich Hoffnung. Ich spürte sogar, dass die anderen begannen, mich hoffnungsvoll zu betrachten. Stundenlang hatten wir dagestanden und die Beileidsbekundungen entgegengenommen, und es war, als hätte jeder Dritte, der mich umarmte oder mir die Hand schüttelte, mich aufgefordert, nach Delaware zurückzukehren und für ein politisches Amt zu kandidieren.
Kathleen und ich fuhren am Morgen nach Beaus Beerdigung nach Washington zurück. Nur