Beautiful Things. Hunter Biden. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hunter Biden
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783455011890
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könnte.

      Es war ein Todesurteil.

      Es dauerte nicht lange, bis aus meiner Fassungslosigkeit Wut wurde, ich war mir sicher, dass die Ärzte den Tumor damals, als Beau angeblich den Schlaganfall gehabt hatte, einfach übersehen hatten. Hätte er bessere Chancen gehabt, wenn man es früher erkannt hätte? Das ist eine andere Frage, die sich so überhaupt nicht beantworten lässt.

      Nun fanden sich Beau und wir alle in derselben unlösbaren Situation wieder wie so viele Patienten mit ihren Familien, die eine derart schlechte Prognose erhalten. Wir hatten ein Blatt bekommen, mit dem man praktisch nicht gewinnen konnte, und verdoppelten unseren Einsatz. Da wir nicht imstande waren – möglicherweise auch nicht gewillt –, etwas anderes zu tun, da wir vielleicht auch einfach eine Scheißangst hatten, ließen wir uns mit kämpferischem Optimismus auf jede neue Behandlung ein, die Beaus Ärzte empfahlen. Zu diesen Empfehlungen gehörten in einem Zeitraum von einundzwanzig Monaten zwei weitere große Operationen, eine Chemotherapie und brutale Bestrahlungen – alles letzten Endes vergeblich.

      Wenn ich noch einmal von vorn anfangen könnte, würde ich dieser Standardbehandlung niemals zustimmen, besonders nicht der Strahlentherapie. Angesichts der verschwindend geringen Wahrscheinlichkeit, dass er auch nur annähernd wiederhergestellt werden würde, angesichts auch der Schmerzen und der Beeinträchtigungen – er hatte Schwierigkeiten beim Sprechen, konnte seine Schuhe nicht mehr selbst anziehen – war die Behandlung fast schon barbarisch. Doch in dem Augenblick, in dem man diesen herausragenden, höchst engagierten und einfühlsamen Spezialisten ausgeliefert ist, glaubt man, selbst die winzigste Chance ergreifen zu müssen.

      Unsere letzte Hoffnung war ein überaus riskanter Eingriff, dessen Ausgang völlig offen war: Ein biologischer Wirkstoff, den ein vom MD-Anderson-Institut finanzierter Krebsforscher entwickelt hatte, wurde Beau direkt ins Gehirn gespritzt. Uns war klar, dass die Wahrscheinlichkeit, den Tumor zurückzudrängen, äußerst gering war, doch wir hofften auf ein Wunder.

      Die Hoffnung auf ein Wunder ist ein Widerspruch in sich. Ein Wunder, so wie es gemeinhin verstanden wird, ist etwas, auf das sich ein rational gesteuerter Mensch nicht verlassen sollte. Weshalb eine Art beharrlicher Abschottung verschiedener Lebensbereiche vonnöten ist, um sich zu einem Zeitpunkt vom rationalen Denken zu verabschieden, an dem man eigentlich mit nichts anderem beschäftigt ist als mit Kalkül und rationalen Entscheidungen. Im Fall von Beau betrafen diese von der Planung seiner endlosen Arzttermine über die Überwachung seiner Ernährung bis hin zu der Frage, wer ihm beim Anziehen hilft, alles. Diese Banalitäten türmten sich auf, bis ein provisorischer, dem Mystischen, dem Magischen und dem Unerklärlichen geweihter Altar aus ihnen geworden war. Wir wussten, dass diese Behandlung das letzte Mittel war – weniger als ein Hoffnungsschimmer.

      Die Wochen bis zu dieser verzweifelten letzten Maßnahme und die relativ kurze Zeitspanne, die darauf folgte, sollten auch die letzten erhabenen Momente enthalten, die ich mit meinem Bruder verbringen durfte.

      Eine Woche vor dieser letzten Operation am MD-Anderson-Krankenhaus flog ich mit Beau nach Houston. Wir wohnten in einer Hotelsuite etwa eine Meile vom Krankenhaus entfernt, und täglich schleppten wir uns hin, damit Beau mit einer ganzen Reihe von Untersuchungen und Medikamenten auf den Eingriff vorbereitet werden konnte. Mom und Dad sollten am Tag der Operation dazustoßen.

      Beau war derart beeinträchtigt, dass ich ihm helfen musste, Socken und Schuhe anzuziehen, ich half ihm auf die Toilette, führte ihn in die Dusche und wieder hinaus. Kurz nach der Ankunft in Houston stritten wir uns, weil ich versucht hatte, eine App auf seinem Handy zu installieren, die ihn beim regelmäßigen Atmen unterstützen sollte, was ihm immer schwerer fiel. Beau war frustriert, weil er nicht richtig damit umgehen konnte, und ärgerte sich, weil er glaubte, ich würde die Geduld mit ihm verlieren. Es brach mir das Herz, dass ich genötigt war, ihn vom Gegenteil zu überzeugen: Dem älteren Bruder zuzusehen, wie es ihm nicht gelingen wollte, der Anleitung für eine Sache zu folgen, die so einfach war wie das Ein- und Ausatmen, war niederschmetternd.

      Wir verbrachten die gemeinsame Zeit in dieser Woche in einem Wechsel von abwartender Stille und albernem Gelächter. Wir führten keine schwermütigen Gespräche darüber, dass es bald vorbei sein könnte, und versuchten zu keinem Zeitpunkt, die Chancen der Behandlung einzuschätzen. Wir bereiteten uns auch nicht für den Fall der Fälle vor. Wir wussten intuitiv beide, was zu tun war. Beau erlaubte sich einfach nicht, für den schlimmstmöglichen Ausgang zu planen. Und wir anderen richteten uns nach ihm.

      Dad rief ständig an, wie üblich, er fragte, ob es Beau gut gehe, ob er etwas tun könne. Ich gab ihm immer dieselbe Antwort: ja – und nein. Das, was wichtig war, konnte er aus diesen Antworten heraushören. In schwierigen Zeiten wie diesen konnten er, Beau und ich auf einer Art nonverbalen Frequenz miteinander kommunizieren, die wir bei früheren Schicksalsschlägen entwickelt hatten. Wenn wir mehr sagten, riskierten wir, den Bann zu brechen und an einen Ort zu gelangen, den wir alle nicht betreten wollten.

      Natürlich hatten wir auch realistischere Gedanken zugelassen. Sie brauchten nur in diesem Augenblick nicht ausgesprochen zu werden. Natürlich wusste ich, was sich Beau für mich wünschte, und ich wusste auch, was ich zu tun hatte. Es war ja nicht so, dass er Lösungen parat hatte, die zu begreifen ich nicht imstande gewesen wäre, oder umgekehrt.

      Etwas, über das wir sehr wohl sprachen, war die Frage, wie wir den Wahlkampf für den Gouverneursposten in Delaware führen würden, den er nach der Operation aufnehmen wollte. Die Bidens haben Politik im Blut. Der damalige demokratische Gouverneur durfte nicht wieder antreten, und Beau hatte im Jahr zuvor angekündigt, dass er nicht noch einmal als Generalstaatsanwalt kandidieren würde, weil er sich ganz auf die Gouverneurswahlen von 2016 konzentrieren wolle. Die ungewöhnliche Strategie, ein politisches Amt zu verlassen, um sich zwei Jahre später in ein neues wählen zu lassen, heizte Spekulationen über seinen Gesundheitszustand an. Wir wussten alle, wie gering seine Chancen waren, aber Beau tat, als müsste die Behandlung wirken, und wir alle folgten ihm darin – egal, was die Statistik sagte.

      Die ganze Woche lang blieben wir mehr als optimistisch. Für Beau war dies eine Haltung, die weit über den üblichen Aberglauben hinausging. Wie ein Pilger, der eine heilige Stätte aufsucht, machte er sich täglich auf den Weg ins Krankenhaus. Er war überzeugt, dass alles gut werden würde – dass er geheilt würde. Die Ärzte und Ärztinnen, die Pfleger und Pflegerinnen, die wir von den beiden vorherigen Operationen fast alle schon kannten, waren beinahe so etwas wie Heilige für ihn, die transzendente Dinge tun konnten.

      Ich erinnere mich, dass Beaus besondere Bewunderung dem Anästhesisten galt, einem wunderbaren Mann mit strahlend blauen Augen – Augen, die tatsächlich ebenso blau waren wie die meines Bruders. Beau war fasziniert von ihm, und er erwähnte immer wieder, wie beruhigend diese Augen auf ihn wirkten. Sie waren das Letzte, was er gesehen hatte, bevor die beiden vorangegangenen Kraniotomien begannen, und das Erste, was er nachher sah oder bewusst wahrnahm. Derselbe Anästhesist sedierte ihn auch, bevor er in die MRT-Röhre geschoben wurde, denn Beau hatte Angst vor engen Räumen. Die beiden schienen eine unausgesprochene gemeinsame Erkenntnis zu teilen, während sie sich gegenseitig in die identischen tiefblauen Augen sahen.

      Wenn wir im Hotel waren, lachten wir über all die Dinge, über die wir immer gelacht hatten. Wir lagen zusammen auf seinem Bett und sahen uns auf meinem Laptop Filme und Fernsehserien an, und ich blieb so lange bei ihm, bis er langsam in den Schlaf glitt. Wir sahen Folge um Folge von Curb Your Enthusiasm und Eastbound & Down, zwei Serien, die den schrägen Humor auftischten, den Beau liebte. Doch selbst da lachte er nicht ganz so laut wie sonst, es schien ihn etwas weniger zu amüsieren. Es fiel ihm immer schwerer, einer Geschichte zu folgen und sich über einen gewissen Zeitraum auf sie einzulassen.

      Wir verließen das Zimmer nur selten – manchmal aßen wir unten im Hotelrestaurant, einmal gingen wir ins Kino, und einmal bekam Beau Überraschungsbesuch von zwei Freunden, die extra eingeflogen waren. An einem Nachmittag gingen wir zu einem Westerngeschäft in der Nähe. Es war ermutigend zu sehen, wie Beaus Humor noch einmal aufblitzte. Er wählte zwei lachhaft knallrote Westernhemden – mit Druckknöpfen, damit er sie leichter selbst anziehen konnte – und dazu zwei Paar Jeans. Ich versuchte ihn zu einem Cowboyhut zu überreden, aber er biss nicht an. So schlimm stand es um ihn noch nicht. Also kaufte