Nun begann der Stunk erst richtig. Die Soldaten marschierten vor und griffen an, Hasard und die Männer der „Isabella“ und des Schwarzen Seglers leisteten massiven Widerstand. Hasard rammte dem Lieutenant sogleich die Faust unters Kinn, als dieser ihn greifen wollte, und der Mann gab vorerst das Schreien auf und sank zusammen.
Thorfin, Jean Ribault, Carberry, Shane, Ferris und der Boston-Mann gingen auf die Soldaten los, es wurde geboxt, geflucht und getreten, und im Nu war die schönste Keilerei im Gang.
Plymson war hinter der Theke in Deckung gegangen und versuchte, seinen Kummer im Alkohol zu ersäufen. Er hatte sich gerade großzügig einen Humpen mit Wein vollgeschenkt – selbstverständlich von dem guten, ungepanschten –, da rollte etwas über die Theke und landete direkt zu seinen Füßen. Ein Arm fiel schlaff auf seinen Humpen, der Humpen entglitt seiner Hand, und der schöne Rotwein ergoß sich auf das Gesicht des Störenfriedes, den Plymson als einen ohnmächtigen Soldaten identifizierte, auf dessen Kopf eine hübsche Beule heranwuchs.
„Schrubbt das Deck!“ brüllte Carberry der „Isabella“-Crew zu. „Klart auf, Leute! Weg mit diesen Kakerlaken und Bilgenläusen! Ich will hier keinen dieser Kerle mehr sehen, kapiert?“
„Aye, Sir!“ schrien die Männer zurück und gingen wieder mit den blanken Fäusten auf die Garde los.
Einer der Soldaten versuchte, die Flucht zu ergreifen, um noch mehr Verstärkung zu holen, doch als er glücklich bei der Tür angelangt war, wuchs urplötzlich die mächtige Gestalt Batutis neben ihm auf.
„Wohin denn so eilig, Mister?“ erkundigte sich der schwarze Herkules interessiert.
Der Soldat schluckte und hustete verlegen, dann erwiderte er: „Oh, nur ein bißchen frische Luft schnappen. Das ist doch nicht verboten, oder?“
Batuti entblößte seine weißen, untadelig gewachsenen Zähne. „Natürlich nicht, Mister. Es ist eine kalte Nacht, aber es regnet nicht. Nur ein wenig Nebel verschlechtert die Sicht. Komm, ich zeige dir den Weg.“
„Das ist aber nett“, stammelte der Soldat, dann stolperte er ins Freie, weil Batuti ihm einen Stoß gegen die Schulter gegeben hatte.
Der Gambia-Mann schritt selbst nach draußen, und im nächsten Moment waren ein paar eigentümliche Laute zu vernehmen – ein dumpfes Klatschen, dann ein Scharren, schließlich ein Poltern, gemischt mit einem Stöhnen und einem geseufzten „Ach“. Danach herrschte Stille, zumindest vor der Kneipe. Batuti kehrte ins Innere zurück, staubte sich ein wenig die Hände ab und gesellte sich wieder zu seinen Kameraden, um beim großen Aufklaren tüchtig mitzuhelfen.
Gegen zwei Uhr morgens hatte dann endlich alles seine Ordnung – die Männer der Stadtgarde lagen sauber aufgestapelt neben den Trümmern der „Bloody Mary“. Der Lieutenant hob zwar noch einmal den Kopf und blinzelte in die Runde, aber das war auch alles, was er für seine Männer tun konnte, denn er sank gleich wieder in sich zusammen.
„So“, sagte der Profos und schüttelte dem Wikinger grinsend die Hand. „Das hätten wir. Damit wäre der Tradition mal wieder Genüge getan. Aber wir gehen am besten gleich in See. Was, wie, Sir?“
„Sehr richtig.“ Der Seewolf schritt zur Theke und beugte sich ein Stück darüber. „Plymmie, wo steckst du denn? Kommst du freiwillig raus, oder müssen wir dich holen?“
Nathaniel Plymson, dem es nun doch gelungen war, sich insgesamt eine Gallone Rotwein einzuverleiben, kroch unter der Theke hervor, richtete sich langsam auf und sah den Seewolf aus geröteten, traurigen Augen an.
„Mußte das sein?“ fragte er weinerlich.
Er wagte erst gar nicht, seinen Blick wandern zu lassen. Die Kneipe glich einem Schlachtfeld, auf dem sich zweihundert Mann gebalgt hatten.
„Es mußte sein“, antwortete Hasard ernst, dann ließ er eine Perle über die Theke rollen, die er wie die Goldstücke, die er nun fein säuberlich aneinanderreihte, aus einem Lederbeutel fischte. „Das ist für die Renovierung, wie üblich.“
„Danke.“ Plymson seufzte. „So will es die Tradition, nicht wahr?“
„Ja.“ Hasard sah ihn über die Theke hinweg an und stellte amüsiert fest, daß sein Gesichtsausdruck sich jetzt verändert hatte. Gierig streckte der dicke Kerl seine fleischigen Finger nach der Perle und dem Gold aus. „Du kannst jetzt schließen, Plymmie“, sagte er noch, dann wandte er sich ab und winkte seinen Männern zu.
Es war tatsächlich besser, Plymouth sofort den Rücken zu kehren, die Schlägerei war im Ort nicht ungehört geblieben. Also begaben sich die Männer an Bord ihrer Schiffe und warfen die Leinen los. Auch Thorfin Njal legte mit „Eiliger Drache über den Wassern“ ab.
Wie richtig ihr Handeln war, konnten die Männer nur ahnen. Denn sie sahen die gut vierzig Soldaten der Stadtgarde nicht mehr, die kurz darauf am Kai zusammenliefen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Schiffe bereits die Reede erreicht, und Plymouth blieb in der Dunkelheit hinter ihnen zurück.
Die vierzig Männer der Garde konnten gerade noch die prächtigen, majestätischen Silhouetten der Galeone und des Viermasters bewundern, die sich im Mondschein auf einer sanften Dünung wiegten, dann legten sich die Schleier des Nebels über die Umrisse, und die „Isabella IX.“ und der Schwarze Segler waren verschwunden.
6.
Mit trübem Grau kroch der neue Tag von Osten heran. Frieda Groot-Jehan verfolgte das Hellerwerden vom Fenster ihres Zimmers aus. Sie war erst vor einer halben Stunde heimgekehrt und hatte sofort das Feuer im Kamin angeheizt und in dem Kupferkessel, der darüber hing, Wasser gekocht.
Sie goß Wasser in einen Zinkbecher, tat einen ordentlichen Schuß Korn hinzu, setzte sich dann wieder an ihr Fenster und beobachtete die Männer, die vom Strand heraufstiegen und die letzten Ladungen Holz brachten.
Die „Eendracht“ war nun völlig abgewrackt, nur noch ein paar Spanten ragten als traurige Überreste des Dramas, das sich in der Nacht abgespielt hatte, aus dem Wasser. Bald trat wieder die Flut ein, und bald würde die See auch die letzten Teile zerfallen lassen.
Nach wie vor blies der Wind aus Norden und pfiff über die Häuser von Norderney. Es wird, so dachte Frieda, weitere Schiffe geben, die uns in die Falle laufen.
Sie sah Lüder. Er gab den Männern noch ein paar Anweisungen, und sie kehrten noch einmal zum Ostufer der Insel zurück, wahrscheinlich, um die Boote zu sichern, wie Frieda annahm. Die Ladung der Galeone war zu gerechten Teilen zwischen Norderney und Baltrum aufgeteilt worden, die Jehans hatten alles unter Dach und Fach gebracht.
Lüder strebte auf sein Haus zu. Sie hörte, wie er die Tür öffnete und wieder schloß. Sie grübelte über ihn nach. Die Bemerkungen, die der alte Eberhard von sich gegeben hatte, fielen ihr wieder ein. Sie dachte aber auch an den toten Klusmeier, der immer noch vorn am Tor hing.
Einige Zeit verstrich, und sie wunderte sich darüber, daß Lüder sie nicht aufsuchte. Sie hörte ihn auch nicht im Haus herumgehen. Schon wollte sie aufstehen und nachsehen, wo er war, da sah sie durch das Fenster ihren Schwiegersohn Willem, der im Laufschritt herbeieilte.
Willem gab aufgeregte Zeichen, irgend etwas schien sich ereignet zu haben. War ein neues Schiff aufgetaucht?
Frieda verließ ihr Zimmer und rief: „Lüder?“
Sie erhielt keine Antwort. Sie murmelte etwas Unverständliches, dann ging sie zur Tür und ließ Willem herein. Er lebte mit seiner Frau Grete unter demselben Dach wie Frieda und Lüder. Es war ein großes Haus, in dem sie auch dann alle noch genügend Platz hatten, wenn sich Nachwuchs einstellte.
Schwer atmend blieb Willem vor seiner Schwiegermutter stehen.
„Es gibt Verdruß“, meldete er. „Eben haben wir das Boot von Karl Lütt-Jehan gesichtet. Er kommt rüber. Bestimmt sucht er Streit.“
„Wir bereiten ihm einen gebührenden Empfang“, brummte Frieda. „Ist Eberhard, dieser Hundesohn, auch