„Das ist gut möglich“, sagte Dan O’Flynn, „aber ich halte es nicht für einen Vorteil der Spanier. Tausend Mann auf drei Schiffen nutzen ihnen herzlich wenig, wenn man die Schiffe zusammenschießt.“
Don Juan nickte.
„Dem kann ich nicht widersprechen. Doch vielleicht sollte man andererseits berücksichtigen, daß Cubera jeden von See her angreifenden Gegner von einem festen Punkt aus unter Feuer nehmen kann. Er befindet sich praktisch auf Grand Turk in einer ähnlichen Lage wie zuvor unsere Freunde hier auf der Schlangen-Insel. Cubera kann Grand Turk mit seinen tausend Mann an jeder beliebigen Stelle verteidigen und außerdem die drei Schiffe in der Bucht in schwimmende Batterien verwandeln. Ich befürchte, daß ein überfallartiger Angriff für uns zu einem Fiasko werden könnte.“
„Keine Sorge“, entgegnete der Wikinger knurrend, „wir haben schon ganz anderen Strolchen die Hammelbeine langgezogen.“
„Das glaube ich gern“, sagte Don Juan, „aber warum muß man ein unnötiges Risiko eingehen? Können wir es uns denn leisten, noch mehr Verluste hinzunehmen?“ Seine Gesichtszüge hatten sich verhärtet, als er nach einer kurzen Pause hinzufügte: „Allein der Verlust des Seewolfs ist ein zu hoher Preis.“
Diesmal gab es beipflichtendes Gemurmel.
„Und was wäre dein Gegenvorschlag?“ fragte Dan O’Flynn gespannt.
Ein kaum merkliches Lächeln huschte über die Mundwinkel des hochgewachsenen Spaniers.
„Wenden wir die umgekehrte Taktik an“, sagte er kurzerhand, „verteidigen, statt angreifen. Das halte ich für die bessere Methode, und dabei hätte man noch verschiedene Variationsmöglichkeiten.“
„Wie stellst du dir denn so was vor?“ fragte der Wikinger. Seine Stirn war gefurcht, seine Augen zusammengekniffen.
„Zum Beispiel könnten wir unsere Schiffe auf See verteilen“, erwiderte Don Juan, „und zwar zunächst außer Sichtweite für Cubera und seinen heranrückenden Verband.“
„Verband nennst du das?“ entgegnete Thorfin Njal kopfschüttelnd. „Diese lächerlichen drei Schlorren?“
Don Juan zog die Schultern hoch.
„Wie dem auch sei, wir könnten ihn völlig überraschend in die Zange nehmen, sobald er mit seinen drei Schlorren die Schlangen-Insel angreift.“ Bei den letzten Worten grinste er.
Jean Ribault pfiff anerkennend durch die Zähne.
„Hört sich gut an“, sagte er. „Auf die Weise entblößen wir die Schlangen-Insel nicht schon wieder. Im übrigen werden wir trotzdem das Überraschungsmoment auf unserer Seite haben. Wirklich, eine ausgezeichnete Idee.“
Auch Dan O’Flynn und die anderen nickten beipflichtend. Der Gesichtsausdruck des Wikingers war nachdenklich geworden. Immerhin, und das bemerkten seine Gefährten mit Erstaunen, brach er nicht sofort in polternden Protest aus.
„Auch ich halte den Vorschlag unseres neuen Freundes für hervorragend“, sagte Arkana, „und zwar aus einem anderen Grund: Zwar verfügen die Gegner nur noch über drei Schiffe. Wenn es ihnen aber wider Erwarten doch gelingen sollte, einen neuen Angriff auf unsere Insel zu unternehmen, dann werden sie besser gerüstet sein. Sie kennen die Art unserer Verteidigung, sie kennen unsere Kampfmethoden, und sie wissen, wie sie sich auf einen neuen Landeversuch vorzubereiten haben. Das heißt, wir hätten einen wesentlich schwereren Stand, wenn wir die Insel ein zweites Mal allein verteidigen müßten.“
„Das ist wohl ziemlich unwahrscheinlich“, sagte Dan O’Flynn, „aber vor Überraschungen ist man ja nie ganz sicher.“
„Was ich nur bestätigen kann“, sagte Jean Ribault bekräftigend. „Cubera ist ein gewiefter Bursche. Vielleicht hat er sich längst eine Möglichkeit ausgedacht, uns doch zu entwischen, wenn wir ihn bei Grand Turk angreifen sollten. Nein, ich meine, wir sollten unbedingt so taktieren, wie Don Juan angeregt hat.“
„Und was hältst du davon?“ fragte Dan, indem er sich an den Wikinger wandte.
Thorfin fuhr sich mit dem Handrücken durch das raschelnde Bartgestrüpp. Nach kurzem Überlegen gab er sich einen Ruck und sah Don Juan grinsend an.
„Ist nicht verkehrt, deine Taktik. In Stücke schießen werden wir die Halunken sowieso.“
„Stimmen wir also ab“, sagte Dan O’Flynn. „Der Einfachheit halber: Wer ist gegen den Vorschlag Don Juans?“
Keine einzige Hand erhob sich.
„Damit sind wir uns einig“, sagte Dan zufrieden, „jetzt brauchen wir nur noch ein paar Vorkehrungen zu treffen.“
Über diesen Punkt gab es nicht viel zu beschließen. Alle waren sich darüber im klaren, daß man nicht die Hände in den Schoß legen und einfach abwarten konnte, bis der spanische Verband irgendwann einmal aufkreuzte. Vielmehr war es wichtig, den Gegner ständig unter Kontrolle zu haben – eine unabdingbare Voraussetzung dafür, daß Don Juans Taktik funktionierte.
In dieser Beziehung sollte es sich nun auszahlen, daß die Männer des Bundes der Korsaren den Bereich ihrer karibischen Heimat rings um die Caicos- und Turks-Inseln genau kannten. So war auch kein langes Überlegen erforderlich, was die „Kontrolle“ des Gegners betraf.
Der Bucht auf der Ostseite von Grand Turk, das wußten die Mitglieder des Bundes, lag eine noch kleinere Insel fast genau gegenüber. Jene Insel war nur knapp 600 Yards von Grand Turk entfernt und bot die günstigsten Voraussetzungen für die Einrichtung eines Beobachtungspostens.
An der Ostseite dieser kleineren Insel würde man mit der „Empress“ ungesehen ankern können. Und von einer Anhöhe aus würde man Cuberas Bucht überblicken können, ja, mit dem Spektiv mußte es sogar möglich sein, Einzelheiten in aller Deutlichkeit zu erspähen.
So fiel erneut der „Empress of Sea“ die Aufgabe zu, die Aufklärung zu übernehmen. Dank seiner geringen Abmessungen und seiner Schnelligkeit war der Dreimaster des alten O’Flynn das geeignetste Schiff für dieses Unternehmen.
Don Juans Schebecke schied wegen ihrer Auffälligkeit aus, obwohl sie von ihren Segeleigenschaften her ebenfalls geeignet gewesen wäre. Überdies mußte auch berücksichtigt werden, daß Cubera und seine Männer den algerischen Dreimaster mit den rot-weiß gestreiften Segeln bereits hinlänglich kannten.
Als Besatzung für die „Empress“ wurden neben Old Donegal und seiner Stammcrew mit Martin Correa, Nils Larsen, Sven Nyberg und den Zwillingen, Jean Ribault, Don Juan, Dan O’Flynn und Matt Davies ausgewählt.
4.
Die beiden Holzräder des Handkarrens gruben sich tief in den Sand, als Philip und Hasard keuchend den Strand erreichten. Der Karren war mit Pulverfässern beladen, vorgesehen für die Nachmunitionierung der „Empress“.
„Kurze Pause“, sagte Philip mit pfeifendem Atem.
Die beiden Jungen verharrten und wischten sich den Schweiß von der Stirn.
„Nun sieh sich einer das Viehzeug an!“ rief Hasard im nächsten Moment.
„Mußt du unbedingt Mister Carberry nachäffen?“ entgegnete sein Bruder unwirsch. Dann aber, als er aufblickte, blinzelte er ungläubig und schüttelte den Kopf.
Hundert Yards von ihnen entfernt lag das Beiboot, das mit den Pulverfässern beladen werden sollte. Auf der Achterducht thronte eine fast mannsgroße haarig-schwarze Gestalt. Im Bugraum stand eine schwanzwedelnde Plymmie, die sehnsüchtig zur „Empress“ hinüberblickte. Nach dem ausgiebigen Landgang schien ihr der Sinn nun bereits wieder nach einer Seereise zu stehen. Sie war eben eine echte Bordhündin geworden, wenn sie auch die Planken der „Isabella“ vorübergehend mit denen der „Empress“ tauschen mußte.
Das Problem