Mit freudestrahlender Miene walzte er auf den Capitán zu. Die Offiziere hatten sich diskret zur Heckbalustrade zurückgezogen.
„Ihr Verständnis weiß ich sehr zu schätzen“, sagte er breit, „das müssen Sie mir glauben, Capitán. Zuallererst muß ich mich jedoch für das Verhalten meiner Dienerschaft entschuldigen. Dieses nichtsnutzige Pack ist es nicht wert, daß man einen überflüssigen Gedanken an die Kerle verschwendet. Lassen Sie sie ruhig schuften bis zum Umfallen. Das bringt sie vielleicht zur Vernunft.“
„Vielen Dank für den Ratschlag“, sagte Cubera. Das Stirnrunzeln wollte aus seinem Gesicht nicht weichen. Was, in aller Welt, führte der salbadernde Fettsack jetzt wieder im Schilde? Cubera gab sich einen inneren Ruck. Nun gut, sollte er seine Mitarbeit leisten. Man mußte ihn eben unter Kontrolle halten. „Ich habe gehört, Sie wollen uns unterstützen?“
Don Antonio de Quintanilla schob den mächtigen Bauch vor und legte die Hände mit gefalteten Wurstfingern darüber.
„Es ist ganz einfach meine Pflicht, Señor Cubera. Wenn ich auch nicht mit der Waffe in der Hand an den Kämpfen teilnehmen konnte – meine Verwundung, Sie wissen –, so möchte ich doch wenigstens auf andere Art und Weise aktiv werden. Je mehr Hände zupacken, desto schneller wird der Verband wieder einsatzbereit sein. Habe ich recht?“
„Allerdings“, antwortete Cubera und konnte sich ein spöttisches Lächeln nicht verkneifen. Nun gut, sicherlich schadete es dem hochwohlgeborenen Gouverneur in der Tat nicht, seine Aktivität unter Beweis zu stellen. Cubera faßte einen schnellen Entschluß. „In Ordnung. Melden Sie sich beim Zahlmeister. Zusammen mit den übrigen Zahlmeistern und Proviantmeistern unserer Schiffe werden Sie die erforderlichen Listen über Materialverluste und derzeitige Ist-Stärke aufstellen. Dazu gehört auch der Verbrauch an Rationen. Vor allem darüber müssen meine Kommandanten und ich genau im Bilde sein, damit wir wissen, wie lange die Vorräte an Lebensmitteln und Trinkwasser noch reichen. Das ist besonders deshalb wichtig, weil die ‚San José‘ und die beiden anderen Schiffe durch die Geretteten überbelegt sind. Entsprechend mehr Tagesrationen werden verbraucht, und wir müssen uns ständig vor Augen halten, daß in diesem Teil der Karibik an eine Ergänzung der Vorräte nicht zu denken ist.“
Don Antonio deutete eine Verbeugung an, was ihm wegen seines Körperumfangs sehr schwerfiel.
„Ich bin mir der Bedeutung der Aufgabe bewußt“, sagte er eilfertig, „und ich danke Ihnen, daß Sie mich damit beauftragen. Ich versichere Ihnen, daß ich Sie mit meinem Arbeitseinsatz nicht enttäuschen werde.“ Er hob die Rechte zu einer Art Ehrenbezeugung, vollführte eine Kehrtwendung mit der Eleganz einer Seekuh und watschelte von dannen.
Capitán Cubera blickte ihm mit gefurchter Stirn nach und hatte trotz allem noch ein ungutes Gefühl.
3.
Für Plymmie, die Bordhündin der „Isabella“, brachte dieser sonnige Morgen den lang ersehnten Landgang. Nach der ungewohnten Enge auf der „Empress of Sea“ genoß sie es sichtlich, über den Strand der Innenbucht zu hetzen – unermüdlich, mit plötzlichen Kehrtwendungen, hakenschlagend und zeitweiligen wilden Sprüngen.
Während nach und nach die Jollen von den einzelnen Schiffen eintrafen, standen die Söhne des Seewolf abseits und hielten ein waches Auge auf ihren vierbeinigen Schützling. Die Wolfshündin, die sie aus dem fernen Finnland mitgebracht hatten, war ihnen ans Herz gewachsen – vielleicht sogar noch mehr als zuvor, seit sie von dem Verlust ihres Vaters erfahren hatten.
Plymmie bedeutete eine gemeinsame Erinnerung, die Philip und Hasard mit ihrem Vater verband. Eine von vielen Erinnerungen, die nun aber, in dieser schmerzlichen Lage, ihr besonders Gewicht gewann.
Die Wolfshündin war eine getretene und mißhandelte Kreatur gewesen, als die beiden Jungen damals in Finnland auf sie aufmerksam geworden waren. Sie hatten das gepeinigte Tier gerettet, hatten es aufgepäppelt und gepflegt und schließlich mit ihrer Überzeugungskraft durchgesetzt, daß die Hündin an Bord der „Isabella“ bleiben durfte. Ohne daß sie es in jenem Moment selbst wußten, hatten Philip und Hasard so gehandelt, wie es der Wesensart ihres Vaters entsprach.
Denn auch für den Seewolf standen an erster Stelle aller Überlegungen stets Gerechtigkeit und Fairneß, Ritterlichkeit selbst dem hinterlistigsten Feind gegenüber.
Ein neuer, harter Zug hatte sich in die Gesichter der beiden Jungen gegraben, seit sie wußten, daß ihr Vater vermißt wurde. Aber sie waren darüber nicht in Wehklagen ausgebrochen. Sie hatten die Trauer und den Schmerz erduldet, wie es auch ein erwachsener Mann an ihrer Stelle getan hätte. Ja, mit ihren dreizehn Jahren waren sie ernster und reifer geworden, und vieles von ihrem kindlichen Wesen war längst verblaßt.
Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als die beiden Jollen der „Isabella“ den Strand erreichten. Während die Männer ins seichte Uferwasser sprangen und die Boote höher an Land zogen, gab es für Plymmie eine kleine Wiedersehensfeier.
Arwenack, der Schimpanse, war als erster an Land gesprungen und hüpfte mit hellem Keckern auf die Hündin zu. Plymmie verharrte, blickte ihm schwanzwedelnd entgegen und nahm dann blitzartig Reißaus, als er zähnefletschend den wilden Mann markierte und sie mit seinen langen Armen umfangen wollte.
Eine rasante Verfolgungsjagd begann, bei der Plymmie endlich einmal im Vorteil war, da es auf dem Strand keine Masten und keine Takelage gab, in die sich ein geschickter Kletterer wie Arwenack flüchten konnte.
Sir John, der Papagei, stieg zeternd von der Schulter des Profos auf und begleitete die Tollerei der beiden Gefährten mit schrillen Rufen.
„Affenärsche! Bilgenratten – Haut in Streifen abziehen – Kakerlaken – teeren und federn!“
Edwin Carberry und die anderen blieben einen Moment vor den Booten stehen, um das Schauspiel zu beobachten.
„Ho, nun seht euch das Viehzeug an!“ rief der Profos der „Isabella“ dröhnend. „Wenigstens die haben was, worüber sie sich freuen können.“
Die Männer lächelten. Rechte Heiterkeit wollte nicht aufkommen. Zu sehr steckte ihnen in den Knochen, was geschehen war. Am schlimmsten von allem war die Tatsache, den Seewolf nicht mehr in der Mitte des Bundes der Korsaren zu wissen. Gewiß, ihr Leben mußte weitergehen. Sie mußten ihren Feinden die Zähne zeigen, um sich zu behaupten.
Aber Philip Hasard Killigrew würde niemals vergessen werden.
Während Plymmie, Arwenack und Sir John weiter ihr lautstarkes Spiel trieben, versammelten sich die Schiffsbesatzungen und die Verteidiger der Schlangen-Insel am Strand. Diesmal nahmen alle teil, die Lagebesprechung war nicht den Repräsentanten des Bundes der Korsaren vorbehalten.
Als erste hatten die „Wappen von Kolberg“ und die „Empress of Sea“ in der Bucht festgemacht. Bald darauf waren auch die weiteren Schiffe des Bundes eingetroffen und hatten ihre angestammten Liegeplätze eingenommen – die „Tortuga“, die „Pommern“, die „Caribian Queen“, der Schwarze Segler und die „Isabella“. Dort indessen, wo sonst die „Le Vengeur“ vertäut gewesen war, lag jetzt die dreimastige Schebecke, die einst dem Algerier Mubarak gehört hatte.
Don Juan de Alcazar und seine Männer traten zum ersten Male in den großen Kreis der Männer und Frauen. Von diesem Tag an waren sie vollwertige Mitglieder des Bundes der Korsaren, und da gab es nicht einen einzigen mißtrauischen Blick, der sich etwa auf sie gerichtet hätte.
Arkana, die Schlangenpriesterin, ergriff als erste das Wort und schilderte die Verluste, die man bei der Verteidigung der Insel hatte hinnehmen müssen. Mehrere ihrer Kriegerinnen und Krieger waren bei der Abwehr des Landeunternehmens gefallen.
„Ich will dies aber nicht in den Vordergrund stellen“, sagte Arkana. „Wir alle wußten, daß mit einem Blutzoll zu rechnen sein würde. Was jedoch am schwersten wiegt, ist der Verlust Hasards. Bis an unser eigenes Ende werden wir nicht aufhören, seiner zu gedenken. Das gilt auch für jene Männer, die auf der ‚Le Vengeur‘ gestorben sind. Ich