Carberrys kantige Kinnlade klappte nach unten. Eine halbe Sekunde lang war er sprachlos.
„Ja, wollt ihr denn italienische Köche werden?“ polterte er dann los.
„Italienische Kochkunst gehört zur Weltspitze“, sagte der Kutscher pikiert. „Misch dich nicht in unsere Angelegenheiten, Mister Carberry. Wir reden dir auch nicht hinein, wenn es um die Borddisziplin geht.“
„Das sind zwei verschiedene Paar Seestiefel“, entgegnete der Profos dröhnend. „Von eurer Kombüsenpfuscherei sind alle betroffen. Wenn einem schlecht wird, wird allen schlecht. Oder wollt ihr das abstreiten?“
„Die Borddisziplin gilt auch für alle“, widersprach der Kutscher. „Und wenn du uns noch lange von der Arbeit abhältst, knurrt euch der Magen noch eine halbe Stunde länger.“
„Wenn ich das Zeug sehe“, sagte der Profos und blickte kopfschüttelnd auf die Kurbelei der Zwillinge, „dann bin ich ziemlich sicher, daß uns der Magen auch noch heute nachmittag knurrt. Wir werden in die Stadt gehen und ein Schwein kaufen müssen, das wir am Spieß braten können.“
Er erhielt keine Antwort mehr. Achselzuckend zog er sich zurück.
Die Arwenacks blickten mit fragenden Mienen zu ihm.
„Pasta“, sagte er kurz angebunden. „Was sie uns vorsetzen werden, ist verdammte Pasta.“
„Also Nudeln“, sagte Bill.
Carberry starrte ihn an, als hätte er es mit einem Fremdling zu tun. Dann aber schluckte er trocken hinunter, nickte nur und ließ sich wieder auf seinen Plankenplatz an der Verschanzung nieder. Ausgerechnet der Jüngste in der Crew – außer den Zwillingen – mußte auf Anhieb wissen, was Pasta war!
Als eine halbe Stunde später das Ergebnis der Kombüsenschufterei an Deck gebracht wurde, gingen den Arwenacks denn doch die Augen über.
Der Kutscher und seine Helfer hatten die Nudeln in verschiedene Schüsseln gefüllt, die sie auf Tragebrettern an Deck schafften. Die Zwillinge hatten Bandnudeln geformt, Blattnudeln, Röhrennudeln und Stabnudeln. Der Pfiff an der Sache bestand jedoch in den Zutaten in Form von unterschiedlichsten Soßen.
Da gab es eine Tomaten-Fleisch-Soße, die mit viel Estragon gewürzt war. Außerdem eine Pilzsoße, eine Käsesoße und eine Kräutersoße. Besonders viel Mühe hatten sich die Kombüsenmänner mit den Frutti di Mare gegeben, den Meeresfrüchten, die in einer flacheren Schüssel angerichtet waren.
Die Arwenacks langten zu.
„Der Hunger treibt’s rein“, sagte Carberry, schaufelte sich Blattnudeln und Tomaten-Fleisch-Soße auf den Teller und schnupperte mißtrauisch. Naserümpfend begann er, weiterzuschaufeln, diesmal vom Teller in die mächtige Futterluke.
Die anderen folgten seinem Beispiel und sahen dabei nicht weniger skeptisch aus.
Der Kutscher, Mac Pellew und die Zwillinge harrten vor der Kombüse aus und beobachteten das Geschehen an Deck.
„Ich bitte zu bedenken“, sagte der Kutscher mit erhobener Stimme, „daß wir ausnahmslos frische Zutaten verwendet haben, wie es in der italienischen Küche üblich ist. Ein außergewöhnlicher Genuß also, denn etwas Derartiges werden die Gentlemen auf See wohl kaum jemals vorgesetzt erhalten.“
Niemand aus der Crew antwortete.
„Hoffentlich bleiben wir möglichst lange auf See“, sagte Ferris Tucker und erntete dafür zustimmendes Brummen. Er stocherte unwillig in Röhrennudeln mit Meeresfrüchten. Die meisten anderen verhielten sich ebenso.
„Anderenfalls“, ließ sich Carberry vernehmen, „werden uns die Zähne ausfallen. Ein paar Tage Pastapampe, und die Beißer fallen uns aus, weil sie nichts mehr zu tun haben.“
„Was für ein Unsinn!“ rief Mac Pellew empört. „Dann müßten ja alle Italiener zahnlos herumlaufen!“
„Hab nicht so genau hingesehen“, entgegnete der Profos mit einem Grinsen und einem beifallheischenden Rundum-Blick. Er las Zustimmung in den Gesichtern der Arwenacks. „Im übrigen“, fuhr er volltönend fort, „werden die Muskeln und sonst noch so einiges erschlaffen, wenn wir uns weiter von diesem Zeug ernähren müssen. Gar nicht auszudenken, wie wir dann dastehen, wenn wir erstmal Old England erreichen!“
„Ziemlich schlapp“, sagte Smoky düster.
Röhrendes Gelächter folgte.
Der Kutscher wurde weiß im Gesicht. Er schickte einen flehentlichen Blick in Richtung Achterdeck, dem einzigen Ort an Bord der Schebecke, wo seine Pastakünste offenbar Anerkennung fanden.
„Richtig.“ Carberry nickte und schaufelte sich mit demonstrativem Widerwillen zum zweitenmal den Teller voll. „Unsereins braucht was Handfestes, Männer. Höchste Zeit, daß wir mal wieder in nördliche Gefilde segeln und einen Bären schießen! Das ist es, was man nötig hat. Hierfür!“ Er stellte den Teller beiseite, winkelte den linken Arm an und tippte auf den Bizeps.
Der Kutscher legte den Zeigefinger an seine Stirn. „Daran denkst du natürlich nicht, Mister Carberry. Warum solltest du auch! Da ist ja sowieso kaum etwas vorhanden, das man mit Nahrung versorgen müßte.“
Der Profos sperrte den Mund auf. Im nächsten Moment zeigte er Anstalten, aufzuspringen.
Die Stimme des. Seewolfs hielt ihn zurück: „Es heißt zwar, daß sich über Geschmack streiten läßt. Aber das sollte niemand an Bord wörtlich nehmen! Was heute in der Kombüse zurechtgezaubert wurde, ist eine beachtliche Leistung. Das sollte man auch dann anerkennen, wenn es einem wirklich nicht schmeckt. So viel vorweg.“
Der Kutscher, Mac Pellew und die Zwillinge strahlten.
„Die Art der Ernährung hat gerade für unsereinen ihre besondere Bedeutung“, fuhr Hasard fort. „Ausfallende Zähne sind vor allem bei Seeleuten zu beobachten, Mister Carberry. Und das hat bekanntlich nicht das geringste mit Nudeln zu tun. Stimmt’s?“
„Aye, aye, Sir.“ Der Profos zog den Kopf ein Stück tiefer zwischen die Schultern.
„Es ist der Mangel an bestimmter Nahrung, der zum Beispiel die Zähne ausfallen läßt“, sagte der Seewolf. „Im Grunde sollte das jeder hier an Bord wissen und allein deswegen die Arbeit des Kutschers und seiner Helfer schätzen. Abwechslung in der Küche ist auf jeden Fall das Beste, was uns passieren kann. Eine Woche lang Nudeln wäre sicherlich genauso vom Übel wie eine Woche Pökelfleisch mit Hartbrot. Eine Kost ist dann gut, wenn sie vielfältig ist, viel frische Bestandteile enthält und nicht zuletzt gut schmeckt. Ich finde, wir sollten dem Kutscher dankbar sein für die Anstrengungen, die er in der Hinsicht unternimmt.“
Einige Männer klatschten zaghaft Beifall. Es wurden mehr.
Gleich darauf fühlte sich der Profos mutterseelenallein.
Er zögerte nur noch einen Augenblick, dann hob er die Riesenpranken und schlug sie gegeneinander, daß es wie ein Schmettern klang.
Der Seewolf verkniff sich ein Grinsen. „Noch etwas“, sagte er abschließend, „zur Borddisziplin gehört auch, daß ein Profos mit gutem Beispiel vorangeht. In jeder Beziehung!“
Carberry starrte seinen Kapitän an.
Der Kutscher und seine Mitstreiter in der Kombüse wechselten Blicke voller Stolz und Freude.
Carberry gab sich einen Ruck, nahm seinen Teller und setzte die Schaufelei fort, diesmal allerdings mit überzeugend gespieltem Wohlbehagen. Innerhalb weniger Minuten war er soweit, sich mit dem nächsten Nachschlag zu versorgen.
„Ist eine Zusatzbemerkung erlaubt, Sir?“ wandte er sich an den Seewolf.
Hasard bejahte mit einem Handzeichen.
„Wie wichtig die Abwechslung beim Essen ist, hat jetzt wohl jeder begriffen“, sagte der Profos. „Und Borddisziplin, die auch verdammt wichtig ist, heißt