Für Gigliola blieb keine Zeit, ihrem Vater zu raten, welche Verhandlungstaktik er tunlichst anwenden sollte.
Ein vielstimmiges Raunen entstand in der Umgebung. Überwiegend Frauen waren es, die ihr Feilschen mit gewitzten Handelsleuten abbrachen und in die Richtung spähten, der sich nach und nach alle Aufmerksamkeit zuwandte.
Der Drachen stürmte aus einer Seitengasse, die auf den Marktplatz mündete. Das Steinpflaster schien zu erbeben. Der Mann, den die riesenhafte Signora mitbrachte, war durchaus normalwüchsig. Schlank und einen Kopf kleiner, wirkte er an ihrer Seite jedoch wie ein Zwerg.
Sie zog ihn am linken Unterarm, und er hatte Mühe, Schritt zu halten. Immer wieder stolperte er. In der rechten Hand hielt er den Seeteufel und die Schlangengurke. Fisch und Gemüse schlenkerten wie eine gallertartige Masse, die in längliche Beutel gefüllt worden war.
Der Ehemann der wutentbrannten Riesin – um niemand anders konnte es sich handeln – sah unglücklich und verzweifelt aus.
Porfirio Nócciolo duckte sich hinter seinem Verkaufsstand wie jemand, der einem angreifenden Stier nun nicht mehr ausweichen konnte.
Gigliola Nócciolo hatte sich verteidigungsbereit neben ihrem Vater aufgebaut und verschränkte die Arme, wodurch ihr kecker Busen betont wurde.
Blacky grinste sich eins – wie die meisten anderen Leute auf dem Marktplatz.
Einen halben Schritt vor dem Verkaufsstand blieb das ungleiche Gespann stehen.
Der rundliche kleine Händler erinnerte jetzt an einen krummbeinigen Mischlingshund, der den Zorn eines kampferprobten Bullenbeißers erweckt hat und sich zum ungleichen Kampf stellen muß.
„Fabrizio!“ sagte die Signora mit schneidender, weit hallender Befehlsstimme. „Leg die Beweisstücke auf den Tisch! Vor die Füße werfen sollte man sie ihm, diesem Halsabschneider!“
Fabrizio gehorchte. Vorsichtig, nachdem seine bessere und größere Hälfte seinen Unterarm losgelassen hatte, schob er den schwammigen Seeteufel und die noch schwammigere Gurke auf die Holzplatte.
„Die Beweisstücke für Ihren Betrugsversuch, Signor Nócciolo“, sagte er lahm.
„Weiter!“ bellte Signora Breganza.
„Wir werden den Fall bei einem Gerichtsschreiber zu Protokoll geben“, erklärte Ehemann Fabrizio folgsam.
„Es sei denn …“ Die Signora sagte es mit erhobener Stimme wie ein diktierender Schulmeister.
„Es sei denn, Sie entschuldigen sich meiner Frau gegenüber ordnungsgemäß und ersetzen den entstandenen Schaden“, sagte Fabrizio seinen auswendig gelernten Satz auf.
Porfirio Nócciolo erstarrte. Er gab sich einen Ruck und wollte seine Gegenrede nun nicht mehr zurückhalten.
Aber seine Tochter kam ihm zuvor.
„Welchen Schaden?“ sagte sie energisch. „Durch was soll Ihnen ein Schaden entstanden sein, Signor Breganza? Ihre geschätzte Gemahlin hat weder den Seeteufel noch die Gurke bereits gekauft. Selbst wenn es sich um verdorbene Ware handeln sollte, ist damit der Tatbestand des Betrugs noch lange nicht erfüllt. Als mein Vater diesen Seeteufel und diese Gurke anbot, hat er sie nur als Musterstücke verwendet. Natürlich hätte er im Falle des Verkaufs frische Exemplare herausgegeben.“
Blacky beobachtete etwas Erstaunliches.
Der gehorsame Ehemann Fabrizio schien seine Umgebung nicht mehr wahrzunehmen. Ein verklärter Ausdruck trat in sein Gesicht. Er strahlte Gigliola geradezu an.
Blacky trat einen Schritt vor und sah, was sich abspielte. Diese kaufmännisch vorgebildete Händlerstochter war ein verteufeltes kleines Luder. Mit tiefem Augenaufschlag, und indem sie ihren Busen noch ein wenig deutlicher in Szene setzte, brachte sie den armen Kerl völlig in Verwirrung.
Fabrizio rang nach Atem und bemühte sich krampfhaft, seinen angetrauten weiblichen Koloß nichts von seinem Blickkontakt bemerken zu lassen. Wäre eine freundliche Hexe erschienen, um Signora Breganza wegzuhexen – ihr bedauernswerter, unterdrückter Ehemann hätte vermutlich einen Freudenschrei ausgestoßen.
Ein tiefes Grollen entrann sich der Kehle der Signora. „Musterstücke?“ brüllte sie. „Ich höre wohl nicht richtig! Wollen Sie mich auf den Arm nehmen, Sie freche kleine Kröte?“
Gigliola wandte den tiefen Blick nicht von dem bemitleidenswerten Fabrizio.
„Das würde ich bei Ihrem Gewicht wohl kaum schaffen“, sagte sie laut und vernehmlich.
Ringsherum auf dem Marktplatz ertönte Gelächter.
Signora Breganza versetzte ihrem träumerischen Mann einen Hieb in die Seite, daß er kopfüber auf die Beweisstücke zustolperte. Mit knapper Not konnte er sich abstützen und sich selbst davor bewahren, daß er den Seeteufel küßte.
„Laß dir das nicht bieten!“ fauchte sie. „Laß es dir nicht bieten, daß deine Frau so beleidigt wird! Unternimm gefälligst etwas! Und sag dem alten Gauner, daß er uns zum Gericht begleiten wird! Jetzt und auf der Stelle!“
„Ich lasse es mir nicht bieten“, sagte Fabrizio mit schwärmerischen Gesichtsausdruck, ohne den Blick von der Glut der dunklen Augen Gigliolas losreißen zu können, „daß meine Frau so belei…“ Seine Stimme versiegte in einem schmachtenden Klang.
„Signora Breganza“, sagte Porfirio Nócciolo, indem er seinen ganzen Mut zusammenraffte, „ich möchte Ihnen etwas vorschlagen. Ich meine, wir könnten die Angelegenheit bereinigen, indem ich Ihnen kostenlos …“
Die Signora hatte ihn nicht beachtet, nicht einmal zugehört. Ihre Aufmerksamkeit hatte sich jäh auf den Blickwechsel zwischen ihrem Ehesklaven und der Händlerstochter konzentriert. Mit einem röhrenden Wutschrei stürzte die Kolossale auf den Verkaufstisch los und packte zu.
Gigliola konnte nicht mehr ausweichen. Die Signora war zu schnell, erwischte sie am Kragen ihrer Bluse und zog sie nach vorn. Gigliola schrie und wand sich verzweifelt – vergeblich. Ihr Vater versuchte, sie festzuhalten. Fabrizio hängte sich von rechts an sein massiges Eheweib.
Aber der Drachen war mit seiner Kraft allen dreien überlegen.
Blacky konnte es nicht mit ansehen, wie die zauberhafte Gigliola leiden mußte. Kurz entschlossen setzte er sich in Bewegung. Im Vorbeigehen ergriff er eine Scholle, die wahrhaftig fangfrisch zu sein schien. Mit einem weiteren schnellen Schritt näherte er sich der Signora von links und klatschte ihr die Scholle beidseits ins Gesicht.
Sie erstarrte, ließ Gigliola los und schüttelte die lästige Klette an ihrer rechten Körperhälfte ab.
Sie wandte sich zur Seite und war wieder der große, grimmige Bullenbeißer, der von einem vorwitzigen Pinscher angekläfft wurde.
Auf dem Marktplatz kehrte Stille ein.
Die Riesin blickte auf den Mann aus der Crew des Seewolfs hinunter. Einen Moment schien es, als würde sie vor Fassungslosigkeit nicht reagieren können.
Doch jäh packte sie zu, ergriff beide Schultern des schwarzhaarigen Mannes und ließ ihr rechtes Knie ruckartig hochfahren.
Blacky schaffte es mit Mühe, unter ihrem Griff wegzutauchen und auszuweichen. Sie stieß einen enttäuschten Knurrlaut aus und war in der nächsten Sekunde damit beschäftigt, ihr Gleichgewicht nicht zu verlieren. Blacky entfernte sich mit einem federnden Satz vom Verkaufsstand. Er entging damit der drohenden Gefahr, vom mörderischen Lebendgewicht der Signora erdrückt zu werden.
Doch es gelang ihr noch, sich am Rand des Verkaufsstandes festzuhalten. Sie wollte ihre Körpermasse herumwirbeln, um sich auf den vorwitzigen Fremden zu stürzen.
Eine Stimme hielt sie davon ab.
Der Befehl klang fast höflich.
2.